Über die Erfindung des Geldes

in (29.08.2012)

Ich möchte im Folgenden der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion zur Frage des Geldes ein paar Hintergründe liefern, dann meine eigene Position erläutern und schließlich aufzeigen, wie eine tatsächliche Debatte auszusehen hätte.* Zunächst zur Geschichte:

1. Adam Smith stellte in Der Wohlstand der Nationen die These auf, dass, nachdem in der menschlichen Gesellschaft die Arbeitsteilung aufgetreten war, die die einen etwa aufs Jagen und die anderen darauf spezialisiert hatte, Pfeilspitzen herzustellen, die Menschen damit begonnen hätten, Dinge miteinander zu tauschen (etwa sechs Pfeilspitzen für ein Biberfell). Diese Gewohnheit allerdings musste logischer Weise zu einem Problem führen, das ÖkonomInnen seitdem als das Problem des „doppelten Zufalls der Wünsche“ bezeichnen: Damit ein Austausch möglich wird, müssen beide Seiten etwas haben, das der andere als Tauschgut akzeptiert. Dies, so wurde angenommen, musste schließlich dazu führen, dass die Leute Dinge horteten, von denen sie annahmen, sie seien wahrscheinlich allgemein erwünscht, was diese Dinge genau deshalb noch erwünschter und deshalb letztlich zu Geld gemacht habe. Der Tauschhandel habe so das Geld erschaffen und das Geld schließlich den Kredit.

2. Ökonomen des 19. Jahrhunderts wie Stanley Jevons und Carl Menger behielten die grundlegende Ausrichtung von Smith´s These bei, entwickelten aber hypothetische Modelle dafür, wie aus dieser Situation das Geld hatte entstehen können. Alle gingen sie davon aus, dass in allen Gemeinschaften ohne Geld das ökonomische Leben nur die Form des Tauschhandels hatte annehmen können. Menger behauptete von den Mitgliedern solcher Gemeinschaften, dass sie „ihre Güter zu Markte trügen“, wobei er von Marktplätzen ausging, auf denen eine große Vielfalt von Produkten erhältlich war, die aber nur direkt getauscht wurde mit allem, was den Leuten als nützlich erschien.

3. AnthropologInnen schwärmten langsam in alle Welt aus und begannen zu beobachten, wie Ökonomien, in denen kein Geld benutzt (oder zumindest nicht für alltägliche Transaktionen genutzt) wurde, tatsächlich funktionierten. Was sie entdeckten, war zu allererst eine verwirrende Vielfalt von Arrangements, angefangen mit wettberwerbsartigem Schenken über kommunales Lagern bis hin zu Orten, an denen die ökonomischen Beziehungen darum zentriert waren, dass Nachbarn ihre jeweiligen Träume schätzten. Was sie nicht fanden, war irgendein Ort, irgendwo, an dem die ökonomischen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft die Form annahmen, die die Ökonomen behauptet hatten: „Ich gebe Dir zwanzig Hühner für diese Kuh.“ Deswegen zieht die Anthropologie-Professorin Caroline Humphrey (Cambridge) in ihrem Schlüsselwerk zum Thema, Barter and Economoic Desintegration (1985), den Schluss: „Kein Beispiel von schlichter und einfacher Tauschökonomie ist je beschrieben worden, geschweige denn die Entstehung des Geldes aus ihr; die gesamte zugängliche Ethnographie legt nahe, dass es so etwas nie gegeben hat.“

a. Nur, um das zu betonen: Ökonomen hatten also behauptet, dass alle (100%) nicht-monetären Gesellschaften Tauschhandelsökonomien gewesen wären. Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass die tatsächliche Anzahl beobachtbarer Fälle in Tausenden von Studien bei 0% liegt.

b. Ganz ähnlich lag auch die Anzahl dokumentierter Marktplätze, auf denen Menschen regelmäßig auftauchen, um Dinge direkt und ohne irgendeinen Bezug zu Geld zu tauschen, ebenfalls bei Null. Wenn irgendeine soziologische Behauptung jemals empirisch widerlegt werden konnte, dann war es diese.

4. ÖkonomInnen haben größtenteils die anthropologischen Untersuchungsergebnisse akzeptiert, wenn sie direkt mit ihnen konfrontiert waren, aber sie haben keine der Annahmen verändert, die sie zu ihren falschen Thesen geführt haben. Derweil wiederholen alle Lehrbücher weiterhin dieselbe alte Abfolge: am Anfang war der Tauschhandel, dann das Geld, dann der Kredit – nur statt dass sie tatsächlich sagen, Stammesgesellschaften hätten regelmäßig Tauschhandel betrieben, machen sie eine imaginative Übung daraus („Stell Dir vor, was du tun würdest, wenn du kein Geld hättest.“) oder sie unterstellen vage, dass alles, was in Stammesgesellschaften tatsächlich getan wurde, irgendetwas mit Tauschhandel zu tun gehabt haben muss.

Was ich [in meinem Buch Schulden. Die erste 5000 Jahre] gesagt habe, ist also alles andere als kontrovers. Wenn die ÖkonomInnen damit konfrontiert werden, warum sie immer wieder dieselbe Geschichte erzählen, lautet die Antwort für gewöhnlich: „Ihr bietet halt keine andere Geschichte an!“ In gewisser Weise treffen sie damit den Punkt. Denn das Problem ist, dass kein Grund zu der Annahme besteht, es gäbe eine einzige Geschichte für den Ursprung des Geldes. Meine These dazu ist folgende:

1. Wenn Geld einfach ein mathematisches System ist, mit dem man anteilige Werte vergleicht, sagen wir, eins von diesen ist 17 von jenen wert, und das möglicherweise die Form eines zirkulierenden Mediums annimmt oder auch nicht, dann muss irgendetwas in dieser Abfolge unter unterschiedlichsten Umständen und aus verschiedensten Gründen in der Geschichte der Menschheit aufgetreten sein. Vermutlich entstand das Geld, so wie wir es heute kennen, in einem langen Prozess, in dem verschiedene Entwicklungen zusammenliefen.

2. Es gibt allerdings allen Grund zu der Annahme, dass der Tauschhandel und das damit zusammenhängende Problem des „doppelten Zufalls der Wünsche“ nicht zu den Umständen gehörte, in denen das Geld erstmals auftauchte.

a. Der große Makel des ökonomischen Modells ist, dass es Promptgeschäfte unterstellt. Ich habe Pfeilspitzen, du hast Biberpelze, wenn du die Pfeilspitzen nicht sofort brauchst, kein Problem. Aber selbst wenn wir annehmen, dass Nachbarn in kleinen Gemeinschaften irgendwie Gegenstände miteinander tauschen, warum in alles in der Welt sollten sie sich auf Promptgeschäfte beschränken? Wenn dein Nachbar die Pfeilspitzen im Moment nicht braucht, wird er sie vermutlich irgendwann in der Zukunft brauchen, und selbst wenn nicht, bist du immer noch sein Nachbar – du wirst zweifelsohne irgendetwas haben, was er gebrauchen kann, oder du wirst ihm irgendwann irgendeinen Gefallen tun können. Ohne die Unterstellung von Promptgeschäften gibt es also kein Problem des „doppelten Zufalls der Wünsche“ und deshalb auch keine Notwendigkeit, das Geld zu erfinden.

b. Was AnthropologInnen stattdessen tatsächlich dort beobachtet haben, wo Geld nicht im Umlauf war, war nicht ein System expliziten Leihens und Verleihens, sondern ein breites System an nicht-spezifizierten Krediten und Schulden. Wenn ein Nachbar etwas von deinem Eigentum haben möchte, reichte es in den meisten solcher Gesellschaften aus, es zu loben („Was für ein großartiges Schwein!“); die Reaktion bestand dann darin, dass es sofort abgegeben und zugleich darauf insistiert wurde, dass es sich um ein Geschenk handele und der Geber auf keinen Fall jemals etwas als Gegenleistung hätte haben wollen. Tatsächlich schuldete der Empfänger ihm nun einen Gefallen. Nun konnte er den Gefallen abwarten, da es ja ganz angenehm ist, jemanden dir gegenüber in der Pflicht zu wissen, oder er konnte etwas ausdrücklich Nicht-Materielles einfordern („Weißt du, mein Sohn ist in Deine Tochter verliebt...“). Er konnte auch ein anderes Schwein oder etwas verlangen, was er für ungefähr gleich viel wert hielt. Aber es ist kaum vorstellbar, wie all das zu einem System führen soll, in dem es möglich ist, anteilige Werte gegeneinander abzuwägen. Selbst wenn, was manchmal vorkommt, die Partei, die den Gefallen schuldet, dich mit einem unerwünschten Geschenk bedrängt und man dies als unangemessen empfindet – ein paar Küken zum Beispiel –, wird man ihn als Geizhals verspotten, aber es ist unwahrscheinlich, dass man es für notwendig hält, mit einer mathematischen Formel anzurücken, nur um zu bemessen, für wie geizig man ihn hält. Demzufolge findet man, wie Chris Gregory herausgestellt hat, in so genannten ‚Schenkökonomien’ eine ausgedehnte Rangfolge verschiedener Arten von Gütern – Kanus sind in etwa gleich viel wert wie vererbte Halsketten, beide sind mehr wert als Schweine und Walzähne, die wiederum mehr wert sind als Hühner etc. –, aber was man nicht findet, ist ein System, mit dem man bemessen könnte, wie viele Schweine ein Kanu wert sind.

3. All das bedeutet nicht, dass es Tauschhandel nie gegeben hätte. Er ist zu vielen Zeiten und an vielen Orten dokumentiert. Aber er taucht typischer Weise zwischen Fremden auf, zwischen Leuten, die normalerweise keine moralische Beziehung zueinander unterhalten. Es hat einen Grund, warum in fast allen europäischen Sprachen die Worte „verhandeln“ und „Tauschhandel“ ursprünglich mit „betrügen, belügen, abzocken“ verknüpft sind. Es gibt nach wie vor keinen Grund zu der Annahme, dass ein solcher Tauschhandel zur Entstehung des Geldes führen musste. Das liegt daran, dass Tauschhandel in drei bekannten Formen auftritt:

a. Tauschhandel kann die Form singulärer Interaktionen zwischen Leuten annehmen, von denen es unwahrscheinlich ist, dass sie sich je wieder treffen. Dabei mag das Problem des „doppelten Zufalls der Wünsche“ vorkommen, aber es führt nicht zur Entstehung eines Geldsystems, weil rare und gelegentliche Ereignisse nicht zur Entstehung von allgemeingültigen Systemen führen.

b. Wenn es permanente Handelsbeziehungen zwischen Fremden in geldlosen Ökonomien gibt, dann deshalb, weil die eine Seite weiß, dass die andere spezifische Produkte besitzt, die sie erweben möchte – also gibt es kein Problem vom „doppelten Zufall der Wünsche“. Statt die Leute dazu zu bringen, ein zirkulierendes Tauschmedium (Geld) zu schaffen, um ihre Transaktionen zu vereinfachen, führte solche Art von Handel zur Erschaffung eines Systems traditioneller Äquivalente, die den Launen von Angebot und Nachfrage relativ unabhängig gegenüber standen.

c. Manchmal wird Tauschhandel zu einer weit verbreiteten Interaktionsform, wenn etwa Menschen, die es gewohnt sind, bei alltäglichen Transaktionen Geld zu benutzen, plötzlich ohne Geld auskommen müssen. Dies passiert, wenn etwa die Geldmenge weniger wird (wie in Russland in den 1990ern) oder weil die Leute keinen Zugang dazu haben (Insassen von Gefängnissen oder Kriegsgefangenenlagern). Das kann nicht zur Erfindung des Geldes führen, weil Geld bereits erfunden wurde. [...]

Die Langlebigkeit des Mythos vom Tauschhandel ist seltsam. Er geht ursprünglich auf Adam Smith zurück. Andere Elemente von Smith’ These sind von den Mainstream-ÖkonomInnen längst verworfen worden – die Arbeitswerttheorie ist nur das prominenteste Beispiel. Warum also werden in diesem Falle [der These, dass der Tauschhandel das Geld hervorgebracht hat] so viele verzweifelte Versuche unternommen, sich Zeiten und Orte auszudenken, wo so etwas passiert sein musste, und das trotz der überwältigenden Beweislage, dass dem nicht so war?

Mir scheint, dass dies genau auf jenen Begriff von Rationalität zurückgeht, dem auch Adam Smith anhing: dass Menschen rationale, kalkulierende Tauschhandelnde sind, stets auf der Suche nach ihrem materiellen Vorteil; und dass es deshalb möglich war, ein wissenschaftliches Feld aufzubauen, das solches Verhalten untersucht. Das Problem ist aber, dass die wirkliche Welt dem in jeder Hinsicht zu widersprechen scheint. In tatsächlichen Dörfern finden wir nämlich Leute, die, statt nur an das beste Geschäft zu denken, das sie im Tausch eines Gegenstandes gegen einen anderen mit ihrem Nachbarn rausschlagen können, vielmehr daran interessiert sind, in wen sie sich verlieben, wen sie hassen, wem sie aus der Klemme helfen, wen sie blamieren und wen demütigen können usw. – vom Kleinkriegeführen mal ganz abgesehen.

Selbst wenn sich Fremde trafen und Tauschhandel entstand, hatten die Leute um einiges mehr im Kopf als die größtmögliche Anzahl von Pfeilspitzen für die kleinste Anzahl von Muscheln zu bekommen. Dafür bringe ich in meinem Buch eine Reihe von Beispielen. [...]

Schließlich ist es leichter zu verstehen, warum ÖkonomInnen sich den Herausforderungen des Mythos’ vom Tauschhandel gegenüber so defensiv verhalten und warum sie nicht aufhören, die gleiche alte Geschichte zu erzählen, obwohl sie wissen, dass sie nicht wahr ist. Wenn was sie beschreiben nicht das ist, wie wir uns „normalerweise“ verhalten, sondern wie uns durch den Markt gelehrt wurde uns zu verhalten – wer ist es dann heutzutage, der das Lehren tatsächlich betreibt? In erster Linie ÖkonomInnen. Die Frage des Tauschhandels führt nicht nur direkt zum Kern dessen, was die Ökonomie ist – die meisten ÖkonomInnen beharren noch immer darauf, dass die Ökonomie im Wesentlichen ein enormes Tauschhandelssystem mit Geld als bloßem Werkzeug ist (eine Position, die umso seltsamer anmutet, als heute die Mehrzahl ökonomischer Transaktionen der Welt darin besteht, in irgendeiner Form mit Geld herumzuspielen) –, sondern sie führt auch direkt zum Status der Ökonomie selbst: Ist sie eine Wissenschaft, die beschreibt, wie Menschen sich tatsächlich verhalten oder eher eine, die vorschreibt, wie sie sich verhalten sollten? (Man bedenke, dass Wissenschaften Hypothesen über die Welt generieren, deren Evidenz überprüft werden und die verändert oder verworfen werden können, wenn sich empirisch nicht erfüllt, was sie vorhergesagt haben.) Oder ist die Ökonomie stattdessen eine Technik innerhalb einer Welt, die zum großen Teil von ÖkonomInnen selbst erschaffen worden ist? Oder ist sie, wie es für viele österreichische Ökonomen scheint, eine Art Glauben, eine in den Worten großer Propheten (wie etwa Ludwig von Mises) verkörperte Wahrheit, die der Definition nach Recht haben müssen und deren Theorien (bis hin zu erfundenen Geschichten in unbekannten historischen Epochen) verteidigt werden müssen, egal was die empirischen Wirklichkeiten ihnen entgegenhalten?



* Der vorliegende Text ist ein Ausschnitt einer Antwort, die der Autor auf eine Kritik des Ökonomen Robert F. Murphy an seinem Buch Schulden. Die ersten 5000 Jahre formuliert und in dem Blog http://www.nakedcapitalism.com veröffentlicht hat. Gekürzt und aus dem Englischen übersetzt von Jens Kastner.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Sommer 2012, „Übers Geld reden“.