Kleinbürger-Sozialisten versus unorthodoxe Linke

Linkspartei.PDS und WASG treten in Berlin gegeneinander an

Die WASG in Berlin hat sich entschieden. Sie wird zu den Abgeordnetenhauswahlen am 17. September nicht zusammen mit der Linkspartei.PDS antreten. Das Ergebnis war vorhersehbar: ...

... In Berlin ist der Graben zwischen PDS und WASG zu groß, als dass er in kurzer Zeit überbrückt werden könnte. Der Streit zwischen Ex-PDS und WASG in Berlin fußt auf unterschiedlichen politischen Kulturen

Es kam nicht überraschend, dass die Berliner WASG alleine zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst diesen Jahres in der Hauptstadt antreten wird. Der Landesvorstand der Partei ist dominiert von AkteurInnen, die bereits 2004 ein Volksbegehren zur Absetzung des rot-roten Senats initiierten. Ihr Vorwurf: SPD und PDS in Berlin betreiben zusammen unsoziale und neoliberale Politik. Einige der Protagonisten, etwa Michael Prütz und Rouzbeh Taheri, sind ehemalige PDS-Mitglieder. Dass die Berliner WASG-Basis nun mehrheitlich, wenn auch äußerst knapp, Anfang März mit 51 Prozent für einen alleinigen Wahlantritt votierte, ist nur konsequent. Denn trotz des bundesweiten Fusionsprojekts zwischen Linkspartei.PDS und WASG hat sich an der Politik der PDS im Berliner Senat, die sich meist einer Sachzwang-Sparlogik unterordnet, nichts geändert.

Zwar wird die Wahlalternative in Berlin kaum den Einzug in das Abgeordnetenhaus schaffen. Denn sie wird nur wenig Geld für den Wahlkampf zur Verfügung haben und verfolgt eine Politik, die vielen WahlbürgerInnen zu utopisch erscheinen dürfte. So werden ihr maximal drei Prozent der Stimmen eingeräumt - die Berliner WASG spricht selbst von "fünf Prozent plus x". Doch so oder so könnte sie zum Zünglein an der Waage werden. Denn die Ära des rot-roten Senats in Berlin scheint ihrem Ende entgegen zu gehen. Umfragen sehen die PDS derzeit bei 13 Prozent in der Wählergunst - bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2001 bekam sie noch 22,6 Prozent. Die SPD wird mit 37 Prozent gehandelt. Sie hat unter Klaus Wowereit die Ex-PDS realpolitisch entzaubert und ihr keinen Raum gelassen, sich als "bessere Sozialdemokraten" zu präsentieren.

Fragt sich, warum die Berliner Linkspartei.PDS angesichts ihrer schlechten Umfragwerte nicht die Auseinandersetzung mit der WASG zur Profilierung gegenüber der SPD nutzte. Wenigstens einen handfesten Streit über diverse Privatisierungsfragen wäre zu provozieren gewesen. Mit dem Rückenwind der Bundestagswahl hätte die Linkspartei.PDS sogar mit einem Bruch der Berliner Koalition drohen können. Die SPD ist wenig scharf auf eine Neuauflage der großen Koalition mit der CDU in der Hauptstadt. Also wäre sie wohl durchaus zu Zugeständnissen an die Linkspartei.PDS bereit gewesen. Aber Risiko ist nicht das Ding der Berliner PDS-Funktionäre. Fest davon überzeugt, mit ihrer Politik das Schlimmste zu verhindern und im Rahmen der Möglichkeiten "linke" Politik zu betreiben, waren sie zu keinerlei Zugeständnissen in Richtung ihrer KritikerInnen von der WASG bereit. Risiko ist nicht das Ding der Berliner Linkspartei.PDS

Um das zu verstehen muss ein näherer Blick auf die Linkspartei.PDS in Berlin geworfen werden. Die Nachfolgepartei der SED setzt sich eben vor allem aus alten SED-Mitgliedern zusammen. Zwar sind es an der Spree nur noch knapp 10.000 (1989 hatte die SED DDR-weit über 2,2 Millionen Mitglieder). Gerade bei ihnen dürfte es sich um den "harten Kern" der Nomenklatura der DDR handeln, die sich in der Hauptstadt konzentriert hatte. Insgesamt sind über 90 Prozent der Linkspartei.PDS-Mitglieder, die überwiegend im Ostteil der Republik leben, älter als 40 Jahre - 60 Prozent sogar älter als 60 Jahre. Das heißt, das Gros der heutigen Linkspartei.PDS-Mitglieder sind schon vor 1989 in der Partei gewesen. "Es-war-nicht-alles-schlecht" ist bei vielen trotziges Credo, denn sie fühlen sich wegen ihrer DDR-Biografie in Gesamtdeutschland unwürdig behandelt. Ihr Denken ist nicht selten dem Kleinbürger-Sozialismus unter Ulbricht und Honecker verhaftet. Es unterscheidet sich auch deshalb stark von einem (west-)linken Alltags- und Politikverständnis. Auch 16 Jahre nach der Wende ist da bei den meisten kein Platz für unorthodoxe Politikansätze.

"Sparen bis es quietscht", wie SPD-Bürgermeister Wowereit forderte, klingt so auch in den Ohren vieler Berliner PDS-Leute als einzig gangbarer Weg im hoch verschuldeten Bundesland. Dabei verwechseln sie gerne ihre private Haushaltskasse, die keinen Minusstand aufweisen darf, mit Finanzpolitik auf Länderebene. Die anhaltende Veräußerung von Landeseigentum, die bislang nicht zum Abbau des Schuldenbergs geführt hat, rechtfertigt man damit, dass man doch den Kindern und Enkel nicht noch mehr Schulden aufhalsen dürfe - als ob die Landesschulden direkt auf private Konten angerechnet würden. Da hilft es auch nicht, wenn die Linkspartei.PDS auf Bundesebene eine antizyklische Geldpolitik fordert und keynesianisch die Binnennachfrage ankurbeln will.
Vorgehen der Berliner WASG stößt durchaus auf Sympathie

Am Streit in Berlin offenbart sich, dass der durch die vorgezogenen Bundestagswahlen ausgelöste Fusionsprozess (dank Oskar Lafontaines Mithilfe) zu hektisch abläuft und zu viele Widersprüche einfach unter den Teppich gekehrt werden. Die monatelang anhaltenden Querelen in Berlin passen den Parteiführungen von Linkspartei.PDS und WASG nicht in das Konzept von der beschworenen "einmaligen Chance für eine gesamtdeutsche Linke". Insofern erklärt sich auch der Auftritt von WASG-Vorstand Klaus Ernst und Bodo Ramelow, dem Fusionsbeauftragen der PDS, kurz nach der Urabstimmung in Berlin. Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, bei denen die Linkspartei.PDS hofft, die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken, gaben sie ein beredetes Beispiel ihres autoritären Führungsstils ab. Die beiden Wessis aus der Gewerkschaftsszene konnten ihre Abneigung gegen die Entscheidung der Berliner-WASG - und deren Vorstandspersonal - nicht verhehlen und gaben sich absurden Kleinrechenspielen des Abstimmungsergebnises hin.

Doch dürften sie mit ihrem Auftreten eher weitere Zweifel gesät haben. Das Vorgehen des Berliner WASG-Vorstands - und auch die Kritik der WASG an der Regierungsbeteiligung der Linkspartei.PDS in Mecklenburg-Vorpommern - findet durchaus auch Sympathien bei der WASG-Basis in anderen Bundesländern. Nicht wenige fürchten, dass die Linkspartei.PDS mit ihren 60.000 Mitgliedern die kleinere WASG mit ihren 12.000 schluckt. Zwar ist vom Entstehen einer neuen Partei die Rede, doch schon heute ist klar, dass sie von der Ex-PDS dominiert sein wird.

Lorenz Matzat

aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 504/17.3.2006