Prekarität und Karneval

Die Kosten rebellieren II und Euromayday 2006 in Hamburg

350-400 und 2.000-2.500 - so viele TeilnehmerInnen zählten die Konferenz "Die Kosten rebellieren II" und der Euromayday 2006 in Hamburg. Allein gemessen an diesen Zahlen waren beide ...

... Veranstaltungen durchaus erfolgreich. Doch eine gelungene Mobilisierung war - auch gemessen an den formulierten Erwartungen der VeranstalterInnen - nicht das einzige Erfolgskriterium. Während am diesjährigen Hamburger Euromayday nicht ganz so viele Menschen teilnahmen wie 2005, war die Konferenz "Die Kosten rebellieren II" deutlich besser besucht als ihre Vorgängerin aus dem Sommer 2004. Die Strömungen, Netze und Einzelpersonen, die in den letzten zwei Jahren die Debatten und Widerstandspraxis im weiten Feld von Migration, Erwerbslosigkeit und (prekarisierter) Arbeit geprägt haben, waren in Hamburg nahezu vollständig vertreten. Die einzigen, die auch diesmal fehlten, waren - bis auf wenige, die Regel bestätigende Ausnahmen - die linken hauptamtlichen GewerkschaftssekretärInnen.

Euromayday 2006 oder wer ist St. Prekarius?

Die VeranstalterInnen hatten sich im Vorfeld bemüht, für die Work-Shops klare Diskussionsstränge aufzuzeigen und den häufig konferenztypischen Markt der Möglichkeiten weitgehend zu vermeiden. Die Trias aus den Forderungen nach bedingungslosem Grundeinkommen, Mindestlohn und Arbeitszeitverkürzung einerseits und die durchgängige Bezugnahme auf Migration als widerständige Bewegung waren die roten Fäden, an denen sich die Diskussionen entlang hangeln sollten. Dies gelang mal mehr, mal weniger gut. Die bewusste zahlenmäßige Beschränkung der Work-Shops hatte die Kehrseite, dass teilweise in Gruppengrößen von 50-70 Leuten diskutiert werden musste. In der Konsequenz konnte manche spannende Frage zwar angerissen, aber nicht weiter vertieft werden. So beschlich einen schon manchmal das Gefühl, dass die linke Debatte im Bereich sozialer Kämpfe stagniert. Durchbrochen wurde dieses Gefühl immer dort, wo es tatsächlich zu einem Austausch realer Alltags- und Kampferfahrungen kam, und das war zum Glück nicht selten. In diesen konkreten Diskussionen hat sich dann z.B. unversehens auch gezeigt, wie relativ bedeutungslos die großen Leitforderungen für die realen Auseinandersetzungen sind. Weder beim Gate-Gourmet-Streik, noch bei Agenturschluss oder gewerkschaftlichen Organizing-Versuchen, weder im individuellen Alltagswiderstand noch in der konkreten Praxis antirassistischer Initiativen spielen Grundeinkommen, Mindestlohn oder Arbeitszeitverkürzung eine nennenswerte Rolle. Umgekehrt musste man z.B. bei manchen VerfechterInnen der Grundeinkommensforderung den Eindruck bekommen, die konkrete Alltagspraxis dieser Gruppen beschränke sich auf reine Aufklärungsarbeit. Somit war "Die Kosten rebellieren II" auch ein - möglicherweise unbeabsichtigter - Hinweis darauf, dass die genannten Großforderungen zwar nicht falsch, aber eben blutleer sind, wenn sie nicht im konkreten alltäglichen Widerstandsverhalten sichtbar und mit Leben gefüllt werden können. "Die Kosten rebellieren II" war eine Konferenz zum Thema Migration, Prekarisierung, Widerstand. Zwei Fragen sind dabei - zumindest nach dem oberflächlichen Eindruck aus einigen wenigen Work-Shops - nicht diskutiert worden: zum einen die kontroverse Frage nach der Bestimmung und dem Charakter der viel beschworenen Prekarisierung und zum anderen die Frage nach dem politischen Umgang der Linken mit der eigenen prekären Existenz. Einen Work-Shop, wo sich z.B. linke prekäre Selbstständige - vermutlich ein nicht unbedeutender Teil der Anwesenden - darüber hätten austauschen können, wie sie mit dem eigenen Verwertungsdruck umgehen, gab es nicht. Dabei stellen sich durchaus wichtige Fragen an die prekarisierte Linke selbst: Wie gehst du damit um, wenn du plötzlich gegen FreundInnen und GenossInnen konkurrieren musst? Was ist, wenn politische Netzwerke zum Verwertungsfaktor werden? Wie ökonomisch nützlich sind auf einmal Kader- und Mackerstrukturen? Den Mobilisierungszweck für den Euromayday erfüllte "Die Kosten rebellieren II" nur eingeschränkt: Die streikenden Studierenden aus dem letzten Jahr fehlten, und auch die überregionale Beteiligung war geringer. Dennoch: Auch diesmal schien am 1. Mai in Hamburg die Sonne, und es kamen doch mehr, als anfangs zu befürchten war. Die Euromayday-Parade war bunt, hip und entspannt, die Stimmung ausgelassen bis gut. Wenn es nur darum gegangen wäre, ein kulturelles Gegengewicht zum gewerkschaftsoffiziellen 1. Mai zu setzen, dann könnte man durchaus zufrieden sein. Auch etliche (autonome) Altlinke sind diesmal mitgelaufen, die sich ansonsten schon seit Jahren nicht mehr am 1. Mai blicken lassen. Doch der Anspruch war sehr viel weitergehender: Der Euromayday sollte das prekarisierte Proletariat auf die Straße bringen und gleichzeitig der Kristallisationspunkt für allerlei Organisierungs- und Diskussionsprozesse im sozialen Alltag sein. Daran gemessen ist der Euromayday auch diesmal gescheitert. Der Euromayday 2006 war die Selbstdarstellung eines Teils der subkulturellen linken Szene. Politisch problematisch wird das an dem Punkt, wo die eigene Identität zum Ausdruck von sozialer Prekarisierung schlechthin verlängert wird. Dabei war genau wie 2005 die prekarisierte Putzfrau auch diesmal nicht auf der Straße. Wenn die Euromayday-VeranstalterInnen behaupten, jene Putzfrau sehe heute eben anders aus, sei Studentin, die mit Putzen dazu verdiene (vgl. ak 504), so ist das bestenfalls die halbe Wahrheit. Während die Akademikerin aus der Generation Praktikum vielleicht tatsächlich durch den Euromayday angesprochen wird, hat die illegalisierte Migrantin mit Sicherheit genauso gefehlt wie die ältere Proletarierin, die spätabends oder frühmorgens durch die Büros feudelt. Wenn überhaupt dürfte die zusammen mit ihren KollegInnen von Lidl, den SchulhausmeisterInnen und anderen prekarisierten Lohnabhängigen unter ver.di-Fahnen beim DGB mitgelaufen sein.

Die reale Bedeutung großer Forderungen

Hamburg sah am 1. Mai 2006 drei Demonstrationen, deren Verhältnis vor allem ein Nicht-Verhältnis war: keine Konfrontation, noch nicht einmal artikulierte und politisch bestimmte Abgrenzung. Man hatte schlicht nichts mit einander zu tun. Weder die so genannte revolutionäre 1.-Mai-Demo (mit 800-1.000 TeilnehmerInnen überraschend stark) noch die Euromayday-Parade hatten versucht, wenigstens durch Flugblätterverteilen auf der Gewerkschaftsdemo für die Alternativen zu mobilisieren. Auf einen eigenen Block hatte man genauso von vorneherein verzichtet wie auf die politische Auseinandersetzung mit dem DGB um einen eigenen Redebeitrag. Der Euromayday hat somit auch darauf verzichtet, zumindest den Versuch zu unternehmen, sich - durchaus konfrontativ - auf die anderen (prekarisierten) Klassensegmente zu beziehen. Der 1. Mai 2006 in Hamburg symbolisierte somit vor allem einen tiefen kulturellen Bruch. Das Tragische daran ist, dass dieser Bruch gleichzeitig für einen Abschied steht: Kaum ist die "soziale Frage" in Gestalt der Prekarisierungsdebatte Thema geworden, da verabschiedet sich die (postautonome) Linke auch schon wieder von wesentlichen Facetten der proletarischen Reproduktion. Nach Ausdruck und Habitus hat der Euromayday eher zu einer linken Selbststilisierung beigetragen als zu einem sozialen Brückenschlag. Dirk Hauer aus: ak - analyse & kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 506/19.5.2006