Die Selbstzerfleischung der NPD

Wer aufmerksam hinsah, konnte die Zeichen im bayrischen Passau schon lange erkennen: beispielsweise den bekannten Neonazi-Treffpunkt, „Traudel’s Café-Stübchen“, in dem sich nicht nur örtliche Kader trafen, um die Reichsgründung zu feiern. Oder die Verdopplung der Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund binnen Jahresfrist. Dazu die Beisetzung des bekannten Alt-Nazis Friedhelm Busse auf dem Stadtfriedhof, zu der die versammelte Prominenz der extremen Rechten anreiste, vom NPD-Vorsitzenden bis zum Kameradschaftsführer. All das war offensichtlich, und dennoch nahm die breite Öffentlichkeit von dem braunen Treiben in Passau erst Notiz, als der örtliche Polizeichef Alois Mannichl am 13. Dezember 2008 mit einem Messer vor seiner Haustür niedergestochen wurde. Das Outfit des Täters sowie seine dem Attentat unmittelbar vorausgegangenen Worte nährten die Vermutung, er stamme aus dem rechtsextremen Milieu. Gleichwohl sind bislang weder konkrete Resultate noch diese These stützende Ermittlungsergebnisse bekannt.

Mannichl geriet an diesem Tag nicht zum ersten Mal ins Visier der Szene. Sein konsequentes Vorgehen auch gegen Rechtsextreme hatte ihn schnell zur Zielscheibe werden lassen. Im Internet kursierten steckbriefartige Informationen über den Passauer Polizeichef. Auch die NPD hatte sich auf Mannichl eingeschossen: Sie veröffentlichte auf der Webseite des Kreisverbandes Erklärungen, die ihn namentlich angriffen. Und in einer Stellungnahme unmittelbar nach dem Attentat versicherte die Partei zwar, die Behörden bei ihren Ermittlungen unterstützen zu wollen, zeigte aber gleichzeitig Verständnis für den Täter.

Wie zu erwarten war, ließen die Rufe nach einem NPD-Verbot anschließend nicht lange auf sich warten. Insbesondere die bayrische Staatsregierung schwenkte um; hatte sie vorher vehement gegen ein Verbot argumentiert, stellte sie sich nun an die Spitze der Befürworter.
Flügelkämpfe

Aber in welchem Zustand befindet sich die NPD zu Beginn des Jahres 2009 überhaupt?

Der vom NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt in seiner Neujahrsansprache getätigte Appell an die Geschlossenheit der Partei verhallte ungehört. Denn in der NPD toben seit einiger Zeit heftige Richtungskämpfe. Dabei geht es im Kern um ideologische und strategische Differenzen: Will man eine gutbürgerliche „Kümmerer-Partei“ mit Parlamentssitzen sein oder die revolutionär-antikapitalistische Speerspitze einer außerparlamentarischen Bewegung?

Der Richtungsstreit zeigt, dass der „Kampf um die Parlamente“ und der „Kampf um die Straße“ offenbar nur schwer zu vereinbaren sind. 1 Dies bestätigt auch die Kontroverse über die noch junge Strömung der „Autonomen Nationalisten“, die den „Freien Kameradschaften“ zuzurechnen sind. 2 In den 90er Jahren hatte Voigt zu Beginn seiner Amtszeit erfolgreich die Aufhebung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber Neonazi-Organisationen wie den „Freien Kameradschaften“ betrieben und sogar die Integration führender Kader in die Parteistruktur durchgesetzt. Unmittelbar vor der sächsischen Landtagswahl 2004 traten dann die bekannten Neonazi-Größen Thomas „Steiner“ Wulff, Ralph Tegethoff und Thorsten Heise in die NPD ein. Die Unterstützung durch „Freie Nationalisten“, die sich durch kontinuierliche Basis- und insbesondere Wahlkampfarbeit auszeichnen, dürfte zumindest für den Einzug der NPD in den Schweriner Landtag 2006 von (mit-)entscheidender Bedeutung gewesen sein.

Doch seitdem haben sich die Prämissen der Partei verschoben. Die 2004 wortgewaltig verkündete „Volksfront von Rechts“ – das Bündnis von NPD und „Freien Kameradschaften“ – bröckelt. In der NPD werden jene Stimmen lauter, die sich gegen die Zusammenarbeit mit radikalen Neonazis aussprechen. Auch die Parteiführung fürchtet inzwischen um ihren „bürgerlichen Anstrich“ und untersagte im August 2007 den „Autonomen Nationalisten“ die Teilnahme an ihren Aufmärschen, da diese „den Eindruck grundsätzlicher Gewaltbereitschaft“ erweckten. 3 Dies wiederum führt zu einem Abrücken vieler Kameradschaftskader von der NPD. 4

Je weiter sich die NPD distanziert, je enger wird der Schulterschluss zwischen traditionellen und autonomen Neonazis. Das „Aktionsbüro Norddeutschland“ rief die mit den Ideen der „Autonomen Nationalisten“ sympathisierenden Parteimitglieder auf, die NPD zu verlassen. Tatsächlich häufen sich die Austritte von dem radikalen Flügel zuzurechnenden Mitgliedern, insbesondere in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Bayern.

Innerhalb der Parteispitze kracht es ebenfalls gewaltig. Auf der erwähnten Beerdigung des ehemaligen FAP-Vorsitzenden Friedhelm Busse versah der frühere persönliche Referent des Parteivorsitzenden Udo Voigt, Thomas „Steiner“ Wulff, Busses Sarg mit einer Reichskriegsflagge inklusive Hakenkreuz. Besorgt um ihr öffentliches Ansehen, lief die Mehrheit des Präsidiums Sturm gegen Wulffs Vorgehen. Allerdings distanzierten sich auf der anderen Seite zugleich einflussreiche NPD-Führungsfiguren, wie der mittlerweile zum stellvertretenden Vorsitzenden aufgestiegene Rassist Jürgen Rieger aus Hamburg, in einem offenen Brief an den „lieben Udo“ von den Abgrenzungsbemühungen seiner Parteifreunde. Ein breites Bündnis aus „Freien Aktivisten“, Kameradschaften und einzelnen NPD- und JN-Verbänden drohte unverhohlen, die Zusammenarbeit im Rahmen der „Volksfront“ zu beenden, falls die Partei ihre „billigen und herabwürdigenden“ Angriffe nicht beende. 5

Die Finanzaffäre

Zu einem Flächenbrand gerieten die Streitigkeiten im Zusammenhang mit der „Affäre Kemna“. Der NPD-Bundesschatzmeister Erwin Kemna hatte über Jahre hinweg mehr als 700 000 Euro an Parteivermögen veruntreut, um sein marodes Küchenstudio am Leben zu erhalten. Mittlerweile ist er rechtskräftig zu einer fast dreijährigen Freiheits-strafe verurteilt und aus der Partei ausgetreten.

Politische Konsequenzen zog jedoch niemand aus der Führungsriege der Partei; auch der Parteivorsitzende selbst wies jegliche Schuld von sich. Stattdessen pochte man auf eine angebliche „Alleinschuld“ Kemnas.

Die Basis gibt sich mit diesen Erklärungsversuchen aus der Berliner Parteizentrale allerdings keineswegs zufrieden. Nicht zuletzt deshalb muss Voigt auf dem fürs Frühjahr anberaumten Bundesparteitag fürchten, abgewählt zu werden.

In der Tat scheint seine Abwahl nach über zwölf Jahren an der Spitze der Partei dieses Mal anzustehen: Andreas Molau, stellvertretender NPD-Landesvorsitzender aus Niedersachsen und Pressesprecher der Landtagsfraktion in Schwerin, wird gegen Voigt antreten. Und seine Chancen stehen nicht schlecht, denn der ehemalige Waldorfschullehrer hat mit den beiden Landtagsfraktionsvorsitzenden Holger Apfel (Sachsen) und Udo Pastörs (Mecklenburg-Vorpommern) sowie dem Generalsekretär Peter Marx einflussreiche Fürsprecher.

Voigt hingegen ist angeschlagen. Prominente Unterstützer kann der sture Bayer bislang nicht präsentieren, seine Mittlerrolle zwischen den beiden Parteiflügeln hat er ebenfalls verloren. Selbst die „Freien Kameradschaften“, deren Integration in die Partei einer seiner größten Erfolge war, wenden sich zunehmend von Voigt ab.

Wie sich Molau inhaltlich positionieren wird, bleibt indes einstweilen unklar. Er steht zwar für einen angeblich „modernen“ Nationalismus und möchte verstärkt um rechtskonservative Wählerschichten werben, kooperierte aber im Niedersachsenwahlkampf selbst mit den Neonazis der Freien Kameradschaftsszene und sicherte diese Zusammenarbeit sogar vertraglich ab.

Entscheidungsjahr 2009

Dieses Jahr könnte über den weiteren Kurs und Erfolg der NPD entscheiden. Und Erfolge benötigt die Partei dringend: Seit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2006 scheiterte sie bei allen Wahlantritten kläglich an der Fünf-Prozent-Hürde, zuletzt in Bayern. Trotz eines ausgesprochen auf nationalkonservativ getrimmten Wahlkampfs konnten die Rechtsextremen nicht von den erdrutschartigen Verlusten der CSU profitieren.

Nun stehen heuer mit den Urnengängen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland weitere wichtige Prüfungen an. In alle drei Landtagswahlen setzt die Partei große Hoffnungen. In Sachsen soll nach dem spektakulären Ergebnis vom September 2004 trotz massiver innerfraktioneller Konflikte mit Austritten, Rücktritten und Ausschlüssen der Wiedereinzug in den Landtag geschafft werden. Aufgrund ihrer besonderen gesellschaftlichen Verankerung im Freistaat scheint dieses Ziel nicht unrealistisch, selbst wenn Prognosen die NPD derzeit unter fünf Prozent sehen. Aber als „Sieg“ ließe sich ein bloßer Wiedereinzug (nach einem Wahlergebnis von über neun Prozent 2004) nicht verkaufen.

Durch einen gelungenen Wahlkampf im Saarland hoffen die Parteistrategen endlich Bewegung in das Projekt „Westausdehnung“ zu bringen. Tatsächlich scheinen die Bedingungen in keinem anderen westdeutschen Bundesland derart günstig: wirtschaftliche Probleme durch den Strukturwandel und ein gutes eigenes Ergebnis von vier Prozent bei der letzten Landtagswahl 2004. Doch ein schwacher NPD-Landesverband und unbekannte Kandidaten könnten die Hoffnungen der Partei einmal mehr zerschlagen.

Bleibt noch Thüringen. Hier konnten die Nationaldemokraten bereits im Vorfeld einen ersten Erfolg feiern. Denn entgegen der im „Deutschland-Pakt“ 2004 mit der DVU getroffenen Vereinbarung wird die NPD auf dem Wahlzettel stehen – die sich im Siechtum befindende DVU musste den realen Machtverhältnissen in der extremen Rechten Tribut zollen. Ob es für die NPD aber zum Einzug in den Landtag reichen wird, ist offen.

Dabei wären die Gelegenheitsstrukturen für die NPD derzeit eigentlich günstig: Im Bund regiert eine große Koalition, die Bundesrepublik befindet sich in einer Rezession, und gerade in Ostdeutschland trifft die Parteipropaganda immer wieder auf verbreitete einschlägig rechtsextreme Orientierungen. Aber die NPD ist aufgrund ihrer internen Querelen derart mit sich selbst beschäftigt, dass ein erfolgreicher Wahlkampf momentan kaum vorstellbar scheint.

Die prekäre Finanzsituation der Bundespartei erschwert die Bemühungen zusätzlich. Und die Ermittlungen im „Fall Kemna“ sind noch nicht abgeschlossen; zurzeit wird geprüft, ob das Finanzgebaren der NPD gegen das Parteiengesetz verstößt. In einem solchen Fall drohen erneut Rückforderungen des Staates.

2009 könnte sich deshalb die Zukunft der Partei insgesamt entscheiden. Dabei scheint für die NPD kein Ausweg aus dem Dilemma in Sicht – auch nicht durch einen Führungswechsel. Denn selbst wenn Molau die Parteiführung übernehmen sollte, bleiben die ideologischen und strategischen Differenzen in der Partei bestehen. Sollte er einen eher nationalkonservativen Kurs einschlagen, werden sich, neben den parteiunabhängigen Strukturen, gerade die radikalen – insbesondere jüngeren – Mitglieder von der NPD abwenden. Doch ebendiese Aktivisten sind für die mitgliederschwache Partei in Wahlkämpfen nicht ersetzbar. Auf der anderen Seite wiederum verstellte ein Rückgriff auf NS-Nostalgie, Geschichtsrevisionismus und gewaltbereite Kader mögliche weitere Wahlerfolge.

Offenbar steckt die NPD in einem grundsätzlichen Dilemma. Warum sollte man unter diesen Bedingungen die Partei verbieten? Sie befindet sich derzeit in einem desolaten Zustand – und zerlegt sich selbst. Ihr drohen hausgemachte, existenzgefährdende Zahlungsprobleme, substanzielle Mitgliederverluste und die Rückkehr ins wahlpolitische „Null-Komma-Ghetto“. Der Höhenflug der NPD scheint vorerst gestoppt.

1 Vgl. Marc Brandstetter, Die vier Säulen der NPD, in: „Blätter“, 9/2006, S. 1029-1031.
2 Vgl. Lorenz Korgel, Links anziehen, rechts marschieren, in: „Blätter“, 2/2006, S. 157-159.
3 Vgl. NPD-Parteipräsidium, Unsere Fahnen sind schwarz – unsere Blöcke nicht!, www.npd.de.
4 Christian Worch wiederum knüpft eine zukünftige Kooperation an einen Wechsel der Parteispitze; vgl. seine „Apodiktische Erklärung“ vom 29.12.2008.
5 Stellungnahme Freier Kräfte zur „Erklärung des NPD-Parteipräsidiums zur Beisetzung von Friedhelm Busse“, 5.8.2008.