Von Kätzchen und Tigerinnen

Weiblichkeit als Camouflage: Terrorismusforschung und differenz-feministische Ansätze.

Seit dem Zweiten Weltkrieg hat die Zahl von Frauen, die aktiv in politische Konflikte involviert sind, deutlich zugenommen. 

Die wenigen Studien, die sich diesem Phänomen widmen, tendierten bislang jedoch häufig dazu, Täterinnen politischer Gewalt zu dämonisieren und zu pathologisieren. Am Beispiel von Gudrun Ensslin – einer der Mitbegründerinnen der Roten Armee Fraktion, die sich 1970 in Westdeutschland formierte – möchte ich zeigen, wie wertvoll differenzfeministische Ansätze für die Erforschung von Terrorismus und politischer Gewalt sein können. 

Frauen und linke Gewalt. Mit Aktionen wie Sigrid Rügers Tomatenwurf1 kündigte sich bereits Ende der 1960er in Westdeutschland dieZweite Welle des Feminismus an. Leicht hatten es Feministinnen in der Neuen Linken jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: „Frauenpolitik“, so Ute Kätzel, „galt als ‚konterrevolutionär‘ und ‚kleinbürgerlich‘“.2 Nur wenige Frauen waren in Führungspositionen in Organisationen wie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und der Außerparlamentarischen Opposition (APO).

In Anbetracht dieser Ausgangssituation ist es umso überraschender, dass Frauen von Beginn an zentrale Rollen in den militanten linken Gruppen spielten, die sich in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik formierten. Gisela Diewald-Kerkmann hat nachgewiesen, dass der Frauenanteil in der Roten Armee Fraktion (RAF) zeitweise bei sechzig Prozent lag. Auch in der Bewegung 2. Juni (B2J) waren viele Frauen involviert. Schließlich entstand in den späten 1970ern auch noch die Rote Zora, eine feministische Fraktion des militanten Netzwerks Revolutionäre Zellen, die ab 1986 eigene Wege ging. Anders als die meisten linksextremen Gruppen dieser Zeit verstand sich die Rote Zora als bewaffneter Flügel der internationalen Frauenbewegung.

Zu Unrecht wurde die hohe Beteiligung von Frauen in linksterroristischen Organisationen mitunter als „Nebeneffekt“ der Frauenbewegung dargestellt. So mutmaßte zum Beispiel der frühere Verfassungsschutzpräsident Günter Nollau: „Vielleicht ist das ein Exzess der Befreiung der Frau.“3 Tatsächlich aber haben die meisten Täterinnen politischer Gewalt keinen feministischen Hintergrund4, und die überwältigende Mehrheit von Feministinnen lehnt Gewalt ab. Warum es höchste Zeit für feministische Ansätze in der Terrorismusforschung ist, möchte ich am problematischen Diskurs über Gudrun Ensslins Rolle im bewaffneten Kampf veranschaulichen.   

Ensslin – eine schizoide Hysterikerin? Gudrun Ensslin wurde 1940 als viertes von sieben Kindern in einer Pastorenfamilie in Bartholomä, Deutschland geboren. Als Kind war sie aktiv in der christlichen Jugendbewegungund in den 1960er Jahren nahm sie an vielen Aktionen und Kundgebungen der Studentenbewegung teil. 1967 wurde ihr Sohn Felix geboren, der nach dem Selbstmord seines Vaters Bernward Vesper bei Pflegeeltern aufwuchs. Ensslin war Mitbegründerin der RAF, Kassenwart und bis zu ihrem Tod im Gefängnis 1977 eine der führenden ideologischen Kräfte der Gruppe.

In Medien und Wissenschaft wurde Ensslin – überspitzt formuliert – vor allem als emotional und sexuell abhängige Geliebte von Andreas Baader und schizoide Hysterikerin porträtiert.5 Ensslins Körper und Sexualität waren ein Lieblingsthema der Boulevard-Presse. Die Tageszeitung BILD druckte 1974 Nacktaufnahmen von Gudrun Ensslin ab, mit der Bildunterschrift: „Szenen aus dem Leben einer Terroristin: Pfarrerstochter Gudrun Ensslin als nackte Darstellerin in einem Pornofilm“. Noch 2003 präsentierte eine BBC-Dokumentation ähnliches Material und stellte sie als eine Frau vor, die vom „Sex-Kätzchen zur Tigerin wurde“.6 Im Gefängnis wurde Ensslin ein „kühles, schizoid anmutendes Temperament“ attestiert, sie wurde nicht nur als „seelisch abhängig“ von Andreas Baader, sondern auch als „leidenschaftlich und hysterisch“ dargestellt.7 Auch die vehemente Kritik, die sie und Ulrike Meinhof an den Haftbedingungen von RAF-Mitgliedern äußerte, wurde als „hysterische Übertreibung“ interpretiert.8

Terrorismus-und feministische Theorie. In den vergangenen Jahren haben sich in der Terrorismus- und Extremismusforschung Ansätze etabliert, die Manifestationen politischer Gewalt nicht isoliert betrachten, sondern innerhalb spezifischer historischer Zusammenhänge analysieren. Einer dieser Ansätze, der „Collective Action Approach“, versteht bewaffneten Widerstand als eine extreme Zuspitzung größerer sozialer Bewegungen. Die Methode erweist sich als vielversprechend, um die Entstehung von Linksterrorismus in Westdeutschland zu analysieren. Da der„Collective Action Approach“ Gender-Dynamiken weitestgehend ignoriert, kombiniere ich die Methode mit Ansätzen aus der feministischen Theorie. Mit Luce Irigaray und Rosi Braidotti beziehe ich mich dabei vor allem auf Vertreterinnen des Differenzfeminismus. In monosexuellen Systemen wie der westlichen Kultur und Sprache, ist die Rolle der Frau – so Irigaray – darauf beschränkt, als das Andere zum männlichen Subjekt zu fungieren. Der affirmative Dekonstruktivismus von Braidotti und Irigaray beginnt mit einer bewussten Adaption dieser Rolle. Durch mimetische Inszenierungen weiblicher Züge wird dabei die patriarchale Konstruktion von Weiblichkeit von innen heraus in Frage gestellt. Mimesis ist, wie Braidotti ausführt, in diesem Kontext zu verstehen als eine „Praxis des ‚als ob‘, […] eine politische und intellektuelle Strategie, die auf dem subversiven Potential von Wiederholungen basiert“.9

Terrorismus wurde und wird vor allem mit Männlichkeit und Eigenschaften wie Aktivität, Macht und Gewalt assoziiert. Weiblichkeit erwies sich daher bei klandestinen Operationen im urbanen Raum westdeutscher Städte in den 1970ern durchaus als Vorteil. Während beispielsweise zwei wartende Männer in einem Auto der Polizei schnell auffielen, weckten Frauengruppen oder Paare weniger Verdacht. In der Geschichte von RAF und B2J lassen sich zahlreiche Beispiele für einen strategischen Einsatz von Weiblichkeit finden. RAF-Mitglied Birgit Hogefeld etwa setzte ihre „weiblichen Reize“ ein, um den jungen GI Edward F. Pimental 1985 von einer Diskothek in einen tödlichen Hinterhalt zu locken. Susanne Albrecht überraschte 1977 einen Freund ihrer Familie mit einem Blumenstrauß, um seine Entführung durch die RAF einzuleiten. Darüber hinaus wurden Waffen häufig in Handtaschen und Kinderwägen versteckt. Diese und andere Fälle haben mich zur Schlussfolgerung kommen lassen, dass Frauen in der RAF und B2J Weiblichkeit als Camouflage einsetzten und dabei bewusst auf mimetische Strategien zurückgriffen. 

Neue Perspektiven auf Terroristinnen. Als Gudrun Ensslin in den Untergrund ging, brach sie radikal mit gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie als Frau und Mutter gestellt wurden – eben dies unterscheidet sie von männlichen Mitstreitern. Dass sie von einer christlichen Pfarrerstochter zur Chefideologin einer terroristischen Organisation werden konnte, mag schockieren und irritieren. Statt ihre Beteiligung am bewaffneten Kampf der RAF mit sexueller Abhängigkeit oder Persönlichkeitsstörungen zu erklären, sollte zukünftige Forschung unbewusste Prozesse und situationsbedingte Dynamiken auf psychischer und sozialer Ebene in Betracht ziehen. Unterschiedliche Formen von Differenzen, wie von Braidotti angeführt, erweisen sich als entscheidungsrelevante Faktoren im Radikalisierungsprozess von weiblichen Terroristinnen wie Gudrun Ensslin und müssen daher berücksichtigt werden.

Hysterie scheint das Schlüsselkonzept einer maskulinorientierten Wissenschaft zu sein, um weiblichen Terrorismus zu pathologisieren. Doch die meisten Kämpferinnen waren weder krank noch verrückt.Wenn wir den Rekurs auf Weiblichkeit der Frauen linksterroristischer deutscher Gruppen als Mimesis anstatt als Hysterie verstehen, erschließen sich neue Perspektiven auf weibliche Beteiligung am bewaffneten Kampf. Der gezielte Einsatz femininer Rollen durch Terroristinnen kann dann als strategische Subversion von Weiblichkeit verstanden werden. Ziel meines Forschungsprojektes ist es, diese Hypothese zu überprüfen und differenzfeministische Ansätze fruchtbar zu machen, um sowohl repressive als auch emanzipatorische Aspekte von weiblichem Terrorismus herauszustellen.

 

Anmerkungen:

Der Titel von Katharina Karchers Magistraarbeit ist: „Guns'n Roses – women's participation in leftist terrorism since the 1970s inGermany“. Derzeit schreibt sie an der Universität Utrecht im Rahmen des Forschungsprogramms „Gender and Ethnicity“ an ihrer Dissertation zum Thema.

1 Vgl. dazu an.schläge, April 2008. 

2 Kätzel 2002, S. 16.

3 Zitiert nach der SPIEGEL-Titelgeschichte, Ausgabe 33,1977.

4 Gerade in religiös und ethnisch-national motivierten sowie rechtsradikalen Gruppierungenkann weibliche Beteiligung durchaus Hand in Hand mit konservativen undanti-feministischen Zielsetzungen gehen.

5 Eine nennenswerte Ausnahme ist beispielsweise Margarethevon Trottas einfühlsamer Film „Die bleierne Zeit“ von 1981.

6 Vgl. „Raf – Baader Meinhof – in love with terror“, Part 1,auf YouTube

7 Aust 1998, S. 319; DER SPIEGEL 25/1972 vom 12.06.1972, S.67; Eager 2008, S. 59.

8 Kraushaar 2008, S. 24

9 Braidotti 1994, S. 39.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at