Interview mit dem Filmemacher Uli Stelzner
Im November beherbergt das Moviemento Kino in Berlin eine Werkschau der Filme von Uli Stelzner und Thomas Walter. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit ihm über seine Arbeit als Filmemacher und die aktuelle Lage Guatemalas.
Wie ist die Idee entstanden, eine Werkschau zu machen?
Die Initiative kam vom Moviemento Kino. Die haben zuletzt meinen letzen
Film La Isla aufgeführt und es war immer voll. Dann haben sie den Film
zusammen mit Angriff auf den Traum für Schulklassen angeboten und haben
gesehen, dass die Filme total gut angekommen sind. Im Zuge dessen ist
uns auch aufgefallen, dass wir mittlerweile seit 20 Jahren Filme in
Guatemala machen und es sich mal lohnt aufzuzeigen, was sich auch in so
einer kontinuierlichen Filmarbeit für uns, aber auch innerhalb der
Gesellschaft, mit den Filmen ändert. Es ist zudem gut, eine Bilanz zu
ziehen und das Medium Dokumentarfilm dahingehend abzuklopfen, was es
gerade in so einer Gesellschaft wie Guatemala erreichen kann.
Wo liegt für Sie der Reiz im Dokumentarfilm?
Das Medium ist für mich sehr attraktiv, weil es sehr viele Fähigkeiten
vom Macher abverlangt. Es ist sehr kreativ, da man mit Bildgestaltung,
Musikkompositionen und Dramaturgie zu tun hat. Es ist in der Machart
sehr individuell, aber je nachdem, wie man dann mit Filmen umgeht, ist
es etwas, was sich sehr stark sozialisieren lässt. Es ist ein Medium,
das gerade in solchen Ländern wie Guatemala sehr attraktiv ist.
Warum gerade dort?
Die gesamten 20 Jahre und auch die Erklärungen, warum die Filme dort so
viel bewegen, hat etwas mit dem ganz konkreten politischen, sozialen und
kulturellen Kontexten zu tun. Guatemala hat mit nur wenigen Ausnahmen
nie eine eigene Filmproduktion gehabt, und das Fernsehen war über
Jahrzehnte stark zensiert. Sowohl Journalisten als auch Filmemacher,
wenn sie nicht umgebracht wurden oder ins Exil gegangen sind, haben per
Selbstzensur schon die Schere im Kopf angesetzt. Eine unabhängige
Dokumentarfilmtradition, die Geschichte reflektiert, gibt es daher
nicht. Deshalb fehlt die eigene Identität in den Massenmedien. Weder das
Kino noch die Fernsehprogramme reflektieren wirklich, was in dem Land
passiert und was mit den Menschen passiert. Das macht meiner Ansicht
nach die Bedeutung nicht nur unserer Filme aus.
Welche Entwicklung haben Sie während der 20 Jahre Filmarbeit
durchgemacht? Hat sich auch Ihre Sichtweise auf das Filmemachen
verändert?
Schwer zu sagen – jeder Film ist eine völlig neue Aufgabe. Ich habe zwar
inzwischen eine bestimmte Professionalität, aber ich fange immer wieder
von vorne an. Die Themen sind unterschiedlich, jeder Film erwartet eine
eigene Bildsprache, man arbeitet meistens mit einem neuen Team
zusammen, man wächst und lernt an den eigenen Filmen. Nicht nur wegen
des Publikums oder des fertigen Produkts, sondern auch im Umgang mit dem
Thema und den Protagonisten. Das geht oft sehr nahe, ist sehr intensiv
und wurde von mal zu mal intensiver, da man es ja auch immer genauer
wissen will. Ich empfinde es als gegenseitigen Lernprozess.
Inwiefern?
Von unserer Seite aus, was wir an Input und Ideen mitgebracht haben und
was wir mit der jungen Filmemacher-Generation in Guatemala auch
gemeinsam aufgebaut haben. Inzwischen sind die Guatemalteken fester
Bestandteil des Filmteams, bei dem Menschenrechtsfestival bin ich der
einzige von acht Leuten, der aus Deutschland kommt. Wenn ich jetzt
überlege, dass das wirklich 20 Jahre sind, hat es total Sinn gemacht,
unabhängig von der politischen Konjunktur oder einer Konjunktur der
Solidarität die Mühen der Menschen mit zu beschreiten. Das ist für mich
ein wahnsinniges Privileg, diesen Prozess mitzumachen. So wie wir
arbeiten, steckst du die Niederlagen der Leute dort auch mit ein. Das
schafft einen wahnsinnig interessanten Blick auf die Welt.
Jetzt steht mit Otto Pérez Molina ein Ex-Militär kurz vor dem Wahlsieg
für das Präsidentenamt. Was bedeutet es für das Filmfestival, sollte
Molina die Stichwahl gewinnen?
Erstmal ist es überhaupt ein Erfolg, das Festival zweimal organisiert zu
haben. Wir hatten beim ersten Mal enorme Schwierigkeiten, beim zweiten
Mal aufgrund der internationalen und der Unterstützung durch die
Regierung schon nicht mehr. Wenn jetzt Pérez Molina Präsident werden
würde, ist schwer einzuschätzen, ob wir das Festival so in der Form
weitermachen können. Aber wir sind professioneller geworden und unsere
Arbeit wird jetzt auch mehr geschätzt. Nicht nur von der Gesellschaft
bzw. dem Publikum, sondern auch von Menschenrechtsorganisationen, Teilen
der Diplomatie oder Teilen der Vereinten Nationen, die vor Ort sitzen.
Das Festival bietet einen politischen Diskussionsfreiraum, den es so in
der Form – vor allem auch mit dem Medium – bisher nicht gegeben hat. Wir
sind also per se erstmal schwer angreifbar.
Obwohl die Themen der Filme Pérez Molina kaum gefallen dürften?
Pérez Molina ist aufgrund meines Films und der Filme, die beim letzten
Festival uraufgeführt wurden, sauer auf uns. Das sind finnische
Reportagen von 1982 gewesen, wo er das erste Mal auf Bildern als junger
Offizier in der Aufstandsbekämpfung zu sehen ist. Nach der Uraufführung
mit dem finnischen Regisseur haben wenig später Guatemalteken einzelne
Szenen auf youtube hochgeladen. Dort sind 40.000 bis 50.000 Klicks zu
verzeichnen, und das hat das Ansehen von Pérez Molina gestört und auch
seine Vergangenheit wieder in die politische Debatte eingebracht. Ich
denke, das ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass er doch nicht im
ersten Wahlgang gewonnen hat. Insofern hat er durchaus Grund, uns im
Auge zu behalten. Trotzdem, wenn man Präsident eines Landes ist, dann
sollte man eigentlich die Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit als solche
respektieren, und davon gehen wir erstmal aus und lassen uns nicht
einschüchtern.
Für die Aufnahmen zu Ihrem letzten Film La Isla waren Sie auch in den
Archiven der Nationalpolizei. Dort arbeiten vor allem Nachkommen der
Opfer der Verbrechen. Sehen Sie diese Aufklärungsarbeit gefährdet?
Man muss eines sagen: Die Menschenrechtsarbeit als solche, die
Aufarbeitung der Vergangenheit und die Arbeit des Archivs fand in einem
politischen Klima statt, das dem ganzen sehr offen gegenüberstand.
Präsident Álvaro Colom hat natürlich in vielen Aspekten die Erwartungen
nicht erfüllt, aber gerade für die Menschenrechtsszene war es eine Zeit,
in der sehr viel für die Aufarbeitung und Erinnerung gemacht worden
ist. Das Archiv konnte in einem guten Rahmen und bis jetzt auch
ungefährdet arbeiten. Ein Ergebnis sind jetzt eben auch die ersten
Gerichtsprozesse, die aufgrund der gefundenen Dokumente eingeleitet
worden sind. Pérez Molina sagte in einem Interview mit dem ZDF, in dem
es auch um den Film La Isla ging, er werde das Archiv nicht schließen.
Das kann er auch nicht so einfach, weil es eine staatliche Institution
ist, und die internationale Gemeinschaft das Archiv finanziell und
politisch unterstützt. Auf der anderen Seite muss man klar sehen: Wenn
er Präsident wird, dann ist im Prinzip das Militär wieder an der Macht
und das Militär ist eigentlich zu allem fähig. Insofern wird es nicht
einfach werden. Aber ich denke, dass die Leiter des Archivs auch einen
Plan B in der Tasche haben, um ihre Arbeit weiterführen zu können.
Um auf die Wahlen zurück zu kommen: Ein weiterer interessanter Aspekt
ist, dass das Linksbündnis Frente Amplio nur auf rund 2,5 Prozent kam.
Wie ist dieses katastrophale Ergebnis zu erklären?
Zum einen hat sich die Linke seit der Unterzeichnung des
Friedensvertrages nicht wirklich erneuert. Wenn man wirklich genau
nachsieht, sind die führenden Köpfe heute dieselben wie vor 20 Jahren.
Außerdem haben sie einer jungen Linken durch ihre sehr hierarchische
Haltung die Türen versperrt. Zum anderen kann man natürlich immer sagen,
dass sie nicht die Mittel haben, um mit den großen Parteien zu
konkurrieren. Bei denen steht wirklich viel Kapital dahinter, das die
Linke eigentlich nie hat. Trotzdem gibt es Beispiele aus anderen Ländern
Lateinamerikas, die beweisen, dass es nicht unbedingt eine Frage der
finanziellen Möglichkeiten ist. Die Linke in Guatemala ist aber
zerstritten und hat sich wie gesagt nicht erneuert.
Welche Rolle spielt Präsidentschaftskandidatin Rigoberta Menchú?
Die Figur Rigoberta Menchú ist im Ausland zwar anerkannt, im Land selber
hat sie diesen Rückhalt aber nicht. Der beste Beweis für die
Unglaubwürdigkeit der Linken ist, dass jetzt Teile des Linksbündnisses
mit dem Gegenspieler von Pérez Molina, Manuel Baldizón, gemeinsame Sache
machen. Das sind eben Rigoberta Menchú und Pablo Monsanto, ehemaliger
comandante der Guerilla. So fühlen sich natürlich viele Wähler der
Linken verraten und verkauft. Mit diesem Opportunismus werden sie wieder
Teil des Systems, statt auf eine eigene unabhängige Entwicklung zu
setzen. Sie werden möglicherweise mit ein paar Posten abgespeist, aber
positiv wird sich das auf die Entwicklung der Linken nicht auswirken.
Die Linke ist in einer Sackgasse. Es findet jetzt ein Generationswechsel
statt: Die traditionelle Linke hat im Prinzip keine Chance mehr,
sondern die junge Generation von heute muss sich an dieser Linken
orientieren, um neue, andere Formen des politischen Ausdrucks zu finden.
War die Frente Amplio also von vorneherein zum Scheitern verurteilt?
Sie ist ja auch relativ kurzfristig entstanden und es gibt unglaublich
viel Kompetenzgerangel unter den verschiedenen linken Fraktionen. Vor
den Wahlen war also nicht wirklich Zeit, sich zu konstituieren und eine
gemeinsame Strategie zu entwickeln. Die Diskussionen haben zu lange
gedauert und anscheinend sind auch viele Konflikte nur unter den Tisch
gekehrt worden, um die Frente Amplio zu gründen. Das Ergebnis ist jetzt
ein Scherbenhaufen.
Vor dieser Perspektive: Was sind Ihre Pläne in Guatemala?
Für mich persönlich ist jetzt die Etablierung des
Menschenrechtsfestivals politisch wichtiger als ein eigener Film. Das
Festival ist eine wahnsinnige Chance für Guatemala. Aufgrund des Profils
des Festivals, internationale Filme zu zeigen, internationale Gäste zu
haben, aber auch einen Großteil an Mitdiskutanten aus dem Land – nicht
nur aus der Stadt, sondern auch aus ländlichen Regionen – entsteht ein
Diskussionsprozess, den Guatemala braucht. Wir versuchen, so einen
Freiraum zu schaffen und verschiedene Gruppierungen zusammen zu bringen,
damit die gegenseitig hochgezogenen Grenzen und Spaltungen aufhören.
Die junge Generation bekommt die Möglichkeit, andere Bilder zu sehen und
selber in den Spiegel zu gucken, um zu sehen, was sie aus den Prozessen
in anderen Ländern lernen können. In diese Richtung geht gerade meine
ganze Energie.
Angaben zur Person:
Uli Stelzner arbeitet seit 20 Jahren zwischen Guatemala und Deutschland und war 2010 Mitbegründer des Menschenrechtsfilmfestivals Memoria, Verdad, Justicia in Guatemala. Seine kritischen Dokumentationen sorgen für Bewegung und Veränderung in der guatemaltekischen Gesellschaft und international für Gesprächsstoff.
Interview erschienen in LN-Ausgabe: Nummer 449 - November 2011
Der Lateinamerika Nachrichten e.V. und das Kino Moviemento in Berlin Kreuzberg veranstalten vom 10. bis 16. November 2011 eine Werkschau der Filme von Uli Stelzner und Thomas Walther. Programm siehe: www.linksnet.de/de/termin/27006