Studieren wie im Supermarkt?

Die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung

Zu Studienkonten und anderen Modellen

Studieren, arbeiten, sich engagieren und den Haushalt schmeißen - und das bei überfüllten Hörsälen, leeren Bibliotheken und ständig steigenden Lebenshaltungskosten. Wer kennt sie nicht, die kleinen und großen Probleme des Alltages? Es könnte aber alles noch schwerer werden. Kaum bemerkt von den Studierenden basteln diverse Landesregierungen an der sogenannten nachfrageorientierten Hochschulfinanzierungsmodellen. Hierzu gehört auch das Studienkontenmodell, das in Nordrhein-Westfalen eingeführt werden soll. In den Medien wurde dieses Modell häufig positiv dargestellt, da es als Gegenentwurf zu den sogenannten Langzeitgebühren gilt. Dabei wurde übersehen, dass die Studienkonten nichts anderes als eine Version der Bildungsgutscheine sind. Diese sind Konzepte einer nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung, die die Bildungslandschaft nachhaltig verändern wird.

Die Idee der Bildungsgutscheine:

Die Idee der Bildungsgutscheine stammt vom us-amerikanischen Volksökonomen Milton Friedman. Er hat dieses Konzept erstmals 1955 für Schulen in den Vereinigten Staaten konzipiert. In Deutschland wird diese Debatte jedoch für Hochschulen geführt. Grundgedanke ist es, den Studierenden Gutscheine zu geben oder diese an sie zu verkaufen. Besucht einE StudentIn dann beispielsweise eine Vorlesung, so ‚bezahlt' er/sie diese mit Gutscheinen. Die Hochschulen wiederum erhalten für ‚eingenommene' Gutscheine Geld vom Staat bzw. vom jeweiligen Bundesland. Den Studierenden soll so eine Nachfragemacht zukommen, mit der sie die Hochschulen als Anbieter disziplinieren. Die Hochschule, so die Logik, muß so ‚gut' sein, dass sie ausreichend Studierende ‚wirbt' und dadurch viele Gutscheine einnimmt. Zu beachten ist hier, dass die ‚Qualität' gleichzusetzen ist mit ‚Masse'. Eine Hochschule gilt als ‚gut', wenn sie viele Studierenden immatrikuliert hat. Hinter dieser Idee eines Bildungsmarktes steht die Ideologie eines ökonomisch verwertbaren Bildungsbegriffes.

Was ist Bildung in der Ökonomie?

Um die Zielrichtung der Bildungsgutscheine einordnen zu können muß zunächst definiert werden, was Bildung leisten soll. Ist Bildung dazu da, Menschen lediglich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren oder wird ein humboldt'sches Bildungsideal zu Grunde gelegt? Ist Bildung nicht mehr als ein reines Erlernen von Berufen? Soll und muß Bildung Menschen nicht dazu befähigen, ihre Interessen zu erkennen um an gesellschaftlichen Prozessen zu partizipieren? Kann Bildung an ihrer ökonomischen Relevanz gemessen werden oder geht es nicht vielmehr um die gesellschaftliche? Ist Bildung nicht ein elementarer Bestandteil demokratischer Prozesse und Voraussetzung für die Mündigkeit der BürgerInnen? Die positive Beantwortung dieser Fragen läßt nur einen Schluß zu: Bildung muß frei und allen zugänglich sein! Der Druck, in einem kapitalistischen System den Wert von ‚Humankapital' zu steigern scheint aber größer zu sein, als das Ziel, Menschen das kritische Denken, den Zugang zu Bildung und der Partizipation an der Gesellschaft zu ermöglichen. Dieser ökonomische Druck ist die Grundlage der Diskussion um Bildungsgutscheine. Dabei wird ein Bildungsbegriff unterstellt, der an AUSbildung rientiert ist. Ziel ist es offensichtlich, möglichst viele Menschen mit einem Minimum an Aufwand fit für den Arbeitsmarkt zu machen. Vom "humboldt'schen Bildungsideal" oder einer emanzipatorischen Bildung bleibt hier nicht viel übrig. Unter diesen Gesichtspunkten soll im folgenden auf einige konkrete Auswirkungen der nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung eingegangen werden.

Studiengebühren durch die Hintertüre?

In NRW soll mit dem Studienkonto ein Modell eingeführt werden, dass der Idee der Bildungsgutscheinen entspricht. EinE StudentIn erhält hier die Semesterwochenstunden (SWS) der Regelstudienzeit plus 20%. Bei einem Studiengang mit acht Semestern Regelstudienzeit und 160 SWS erhält man als StudierendeR demnach 160 + 20% = 192 SWS kostenlos als Gutscheine. Diese kann man über die doppelte Regelstudienzeit einsetzen, hier also 16 Semester lang. Wer diese Zeit überschreitet oder besonders fleißig studiert (und nicht nur die Pflichtscheine macht) zahlt nach Verbrauch der Gutscheine für jede SWS 25 Euro. Bei 20 Semesterwochenstunden müssen dann 500 Euro an Gebühren pro Semester bezahlt werden, so dass Studienkonten Studiengebühren durch die Hintertüre sind.

Wir basteln uns einen Bildungsmarkt

Die Studiengebühren sind noch nicht einmal die weitreichendsten Konsequenzen einer nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung.Wenn die vorliegenden Pläne tatsächlich umgesetzt werden, dann hätte dies gravierende Auswirkungen für die Hochschullandschaft in NRW. Der/die StudentIn soll ‚KundIn' werden und mit den Füßen über die ‚Qualität' der Hochschule - und über deren Finanzierung - abstimmen. Dies ist der Fall, da die staatliche Mittelzuweisung an die Hochschulen von der Anzahl der eingeschriebenen Studierenden abhängt. Das heißt zum einen, dass wenig nachgefragte Hochschulen in letzter Konsequenz schließen müssen oder zumindest nicht mehr staatlich finanziert werden. Es kann also zu einem Abbau von Studienplätzen kommen. Zum anderen ist das Modell an dieser Stelle in sich widersprüchlich. Wenn Hochschulen über die Nachfrage finanziert werden, dann müssen sie möglichst viele Studierende ‚werben'. Abstrakter hieße das, dass alle Studierenden zur ‚besten' Hochschule gehen würden, genauer: Zur Hochschule mit dem besten Ruf. Dadurch wird das Lehrenden-Lernenden-Verhältnis an Hochschulen mit gutem Ruf ungünstiger und die ‚Qualität' der Hochschule läßt nach. Also muß selektiert werden! Da weniger Studierenden im Studienkontenmodell gleichbedeutend mit weniger staatlichen Mitteln sind, bietet es sich an, den Preis anzuheben. In der Marktlogik bleibend bedeutet ein höherer Preis weniger Nachfrage. Das Modell der Bildungsgutscheine führt demnach zu ‚Aldi-Hochschulen' und ‚Feinkost- Käfer-Hochschulen'. Entscheidend ist, wieviel man bereit und in der Lage ist, für seine Hochschulbildung auszugeben. Dies ist sozial- und bildungspolitisch eine Katastrophe. Zum einen, da eine weitere ungerechte und ungerechtfertigte Reproduktion der Eliten stattfindet; zum anderen weil sich die Bundesrepublik einen Ausschluß studierwilliger Menschen nicht leisten kann. Die OECD hat Deutschland im Vergleich mit anderen Staaten bezüglich der Studierquote im hinteren Drittel eingeordnet. Gerade 28% eines Jahrganges beginnen hier ein Studium - OECD-weit sind es im Schnitt rund 40%.

Orichdeenfächer und ProfessorInnen

Spinnt man den Gedanken der nachfrageorientierten Hochschulfinanzierung weiter, so sind auch Orchideenfächer und verbeamtete ProfessorInnen vom Aussterben bedrohte Spezies. Viele Studierende bedeuten viel Geld vom Staat. Die sogenannten Orchideenfächer zeichnen sich jedoch dadurch aus, dass sie gerade wenig Studierende haben. Die Gefahr, dass diese kleinen Fächer sich nicht mehr über Bildungsgutscheine refinanzieren können, ist durchaus real.

Ein weiteres Problem ist das Beamtenrecht der ProfessorInnen. Wenn man die Studierenden mit den Füßen abstimmen lassen will, dann muß man das Beamtentum abschaffen, da die Hochschulen flexibel auf die Nachfrage der Studierenden reagieren müssen. Konkret heißt dies, das auf schwankende Nachfrage auch mit schwankendem Personalzahlen reagiert werden muß. Dieses hire-and-fire ist mit dem derzeitigen Beamtenrecht aus guten Gründen nicht möglich. Sollte man dies jedoch im Sinne der Bildungsgutscheine ändern, so hätte das gravierende Auswirkungen auf die Grundlagenforschungen. Jede nicht direkt ökonomisch verwertbare Forschung steht dann zur Debatte oder entfällt sofort. JedeR HochschullehrerIn wird bemüht sein, ‚Argumente' für seine/ihre Weiterbeschäftigung zu liefern. Da bietet sich in Zeiten der chronischen und systematischen Unterfinanzierung der Hochschulen an, dies z.B. an Drittmitteln festzumachen. Diese wiederum werden von der Wirtschaft i.d.R. mit der Erwartung bestimmter, ökonomisch nutzbarer Erkenntnisse vergeben. Was beispielsweise mit Rassismusforschung oder Erziehungswissenschaften geschieht, ist unklar. Die Forschungsergebnisse derartiger Lehrstühle sind in den meisten Fällen nicht unmittelbar ökonomisch nutzbar. Der gesellschaftliche Nutzen dieser Fächer steht dennoch außer Frage. Bei einer Privatisierung der Hochschulfinanzierung ist es mehr als fraglich, ob die gesellschaftliche Relevanz noch ausschlaggebend für das Weiterbetreiben derartiger Forschung sein wird. Anders ausgedrückt: Wer nicht bereit ist, Hochschulen staatlich zu finanzieren, der muß auch bereit sein, auf diverse soziale Errungenschaften zu verzichten!

Hochschulzugang wird privatisiert:

Eine weitere unvermeidliche Konsequenz der Bidungsgutscheine wird die Privatisierung des Hochschulzugangs sein. Wenn die Hochschulen in die Lage versetzt werden sollen, mit ihrer spezifischen ‚Qualität' zu werben, dann kann der Staat die Anzahl der Studierenden nicht vorgeben. Die Hochschulen werden also so viele Studierende aufnehmen, bis sie ein ihrer Meinung nach optimales DozentInnen-StudentInnen-Verhältnis erreicht haben. Das Abitur als generelle Hochschulzugangsberechtigung ist dann obsolet. Derzeit ist diesem Vorgehen noch ein Riegel durch das sogenannte Numerus-Clausus-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes (1972) vorgeschoben. Das Urteil besagt im Kern, dass das Abitur die Berechtigung zur Aufnahme eines Studiums beinhaltet. Schaffen wir in Deutschland über die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung jedoch einen Bildungsmarkt, so wird diese Berechtigung zu einem formalen Recht degradiert, sich an einer Hochschule zu bewerben. Vielen jungen Menschen würde durch die zusätzlich entstehende Hürde der Zugang zu Bildung versperrt, was sozialpolitisch unverantwortlich, bildungspolitisch kontraproduktiv und wirtschaftspolitisch schwachsinnig ist.

Die skizzierten Entwicklungen bei der Einführung nachfrageorientierter Hochschulfinanzierungsmodelle sorgen für eine grundlegende Neuordnung der Hochschullandschaft. Weitgehend an der studentischen Öffentlichkeit vorbei werden hier die Weichen für die zukünftige Bildungspolitik gestellt. Aufgrund der systemischen Änderungen können diese Modelle - einmal eingeführt - nur schwer wieder rückgängig gemacht werden. Deshalb gilt es, sich gerade jetzt dagegen zu wehren. Dies kann man z.B. auf der Aktionshomepage (http://www.gute-bildung.de) des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren (ABS) in Protestform tun. Diesem Bündnis gehört auch der AStA der Universität zu Köln an. Wir werden diesen Prozeß weiter kritisch begleiten und unsere Einflußmöglichkeiten geltend machen, um die Einführung der Studienkonten zu verhindern.

Weitere Fragen zu diesem Thema beantworten wir Euch gerne. Mailt einfach an bilpol@asta.uni-koeln.de.

Klemens Himpele

Bildungspolitikreferent

Jana Schultheiss

Projektleiterin Bildungspolitik