Droht ein zweites Tschernobyl?

in (13.11.2008)

„FingeRWEg von Belene" heißt die Kampagne, mit der die Umwelt- und Menschenrechtsorganisation urgewald gegen den Neubau eines Atomreaktors im Erdbebengebiet in Bulgarien mobil macht. utopia sprach mit Heffa Schücking von der Umwelt-  und Menschenrechtsorganisation über das umstrittene Projekt.

utopia: Heffa, ihr protestiert gerade gegen den Neubau eines Atomkraftwerkes in Bulgarien. Was hat das mit den Menschen in Deutschland zu tun?

Heffa Schücking: RWE, Deutschlands zweitgrößter Energieversorger, will sich mit 49% an dem Projekt beteiligen. Das heißt, RWE betreibt nicht nur weiter Atomreaktoren in Deutschland, sondern baut mit dem Geld deutscher Stromkunden in Osteuropa ein neues Kraftwerk. Und das, obwohl der Konzern in Deutschland den so genannten „Atom-Konsens",  die Ausstiegsvereinbarung, unterzeichnet hat.

Was genau kritisiert ihr an dem Projekt?

Belene ist eines der gefährlichsten Atomprojekte in Europa. Die Idee, dort einen Reaktor zu bauen, stammt aus den frühen Achtzigern, aber schon 1983 warnten sowjetische Wissenschaftler vor dem Bau eines Atomkraftwerks an diesem Standort.

Einer der Hauptkritikpunkte ist damals wie heute das Erdbebenrisiko in der Region. Bei dem letzten großen Beben 1977 starben über 100 Menschen nur wenige Kilometer vom geplanten AKW-Standort entfernt. Hinzu kommt, dass es sich bei Belene um ein bisher unbekanntes russisches Reaktormodell handelt. Somit gibt es weder Betriebserfahrung noch unabhängige Prüfungen über dessen Sicherheit.

Dabei beziehen sich die Verantwortlichen auf Sicherheitsstandards der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO...

Das sind keine Sicherheitsstandards, sondern schwammige Richtlinien.

Die Kritik hört sich oft danach an, als sei das Unfallrisiko ein Problem des Ostens, während die Atomkraftwerke im Westen sicher seien...

Jedes Atomkraftwerk birgt Risiken. Die meisten Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen, das überall auftreten kann. Deshalb fordern wir auch die Abschaltung aller AKWs. Wenn man jedoch die mangelhafte Sicherheitskultur, die starke Korruption im Energiesektor und die Erdbebengefahr in Bulgarien sieht und alle Faktoren zusammenzieht, kann man sagen, dass Belene eines der gefährlichsten Atomkraftwerke ist.

Wie kann sich ein so riskantes Projekt lohnen? Müssen die Betreiber keine Versicherung abschließen?

Die schwachen rechtlichen Rahmenbedingungen in Osteuropa sind einer der Gründe, warum  sich RWEs Atomambitionen auf den Osten konzentrieren.  Während AKW-Betreiber in Deutschland im Falle eines Super-Gaus mit 2,5 Mrd. Euro haften, liegt die Haftungsobergrenze in Bulgarien bei nur 80 Mio. Euro. Letztlich sind natürlich beide Regelungen völlig unzureichend. Die Bundesregierung hat kürzlich auf Anfrage eines CSU-Abgeordneten errechnet, dass bei einem schweren Atomunfall Schäden in Höhe von 5.500 Mrd. Euro entstehen können. Das wird niemand versichern. Und selbst wenn: Die Kosten der Versicherung würden Atomkraftwerke unrentabel machen.

Welchen Einfluss können die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf das Projekt nehmen?

Erstmal möchte ich sagen, dass jeder betroffen ist und Einfluss nehmen sollte. Belene ist ungefähr so weit von Deutschland entfernt wie Tschernobyl. Wenn da was schief geht, dann wird die Strahlung - wie bei der Tschernobyl-Katastrophe - vermutlich auch in Deutschland ankommen. Deshalb sollten sich jetzt möglichst viele Menschen zur Wort melden. Wir haben dafür einen Protest-Coupon erstellt, mit dem jeder dem RWE-Konzern die Meinung sagen kann. (Anmerkung der Online-Redaktion: Unterschriften sind auch online möglich.)

Diejenigen, die noch Strom von RWE beziehen, sollten zu einem Ökostromanbieter wechseln. Die Gründe sollte man RWE dann am besten auch mitteilen. Mit Belene, dem Weiterbetrieb von Atomanlagen in Deutschland und Kohlekraftwerksneubauten gibt es derer genug.

2006 habt ihr bereits einige Banken dazu gebracht, nicht bei Belene mitzumachen. Gibt es bei RWE auch Chancen?

Ich bin optimistisch. Bisher ist der Vertrag noch nicht unterzeichnet. Auch im RWE-Aufsichtsrat sitzen Kritiker des Projektes. Bei starken öffentlichen Protesten gibt es Chancen, dass der Konzern aussteigt.

 

Weitere Infos: www.urgewald.de

Online-Aktion: www.campact.de

-----

Dieser Artikel kann gerne weiterverbreitet werden, unter folgenden
Bedingungen:  Nennung der Autorin bzw. des Autors und des Erscheinens
in der utopia; keine kommerziellen Zwecke; keine Bearbeitung. (Lizenz)