Alternativen zum Kapitalismus – Lehren aus den bisherigen Versuchen von Wirtschaftsdemokratie

Bisher (in isw-report 79) haben wir untersucht, welchen Kurs der Kapitalismus aufgrund seiner inneren Gesetze nimmt und nehmen muss; welche Alternative heute besteht und wie die bisherigen Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, zu beurteilen sind und welche Lehren diese Versuche nahe legen.

Die Schlussfolgerungen lauten:

 

1) Der Neoliberalismus, der "finanzmarktgetriebene Kapitalismus" spitzt die Krisen zu, doch die Wurzel des Übels liegt in den allgemeinen Entwicklungsgesetzen des Kapitalismus. Die Krisen entspringen allesamt der allgemeinen Funktionslogik des Kapitalismus – die Krise der Realwirtschaft, des Finanzsektors, der sozialen Unsicherheit, der Armut, des Hungers, der Umwelt, der Demokratie, zunehmender Kriege und Kriegsgefahr. Will man sie überwinden, genügt es nicht, der kapitalistischen Wirtschaft eine moderierende Regulationsweise überstülpen zu wollen. Man muss in die Funktionsmechanismen der kapitalistischen Wirtschaft selbst eingreifen. Die Logik und die Macht des Kapitals muss aufgehalten werden, indem man die Entscheidungen in der Wirtschaft selbst demokratisiert.

 

2) Der Kapitalismus birgt keine Strategie zur Lösung seiner Widersprüche und kann keine haben. Auch "Public New Deal" und "Green New Deal" ändern nichts an Wachstumszwang, am Zwang wachsender Ausbeutung von Ressourcen und Menschen. Schon heute hat der Kapitalismus die aktive Zustimmung großer Teile der Bevölkerung verloren. Auch die passive Hinnahme seines Regimes ist bei der wachsenden Zahl der "Verlierer" nicht gewährleistet. Der Ausweg, den der Kapitalismus bereit hält: autoritär nach innen, in wachsendem Maß militärisch aggressiv nach außen.

 

3) Die menschliche Alternative dagegen lautet: Kooperation in der Gesellschaft statt Konkurrenz, Solidarität unter den Völkern statt mörderischer "globaler Wettbewerb". Drei große mögliche Stränge der Kritik am Kapitalismus und der Parteinahme für eine neue Gesellschaft lassen sich ausmachen: Menschen, die der Kapitalismus in Existenznot treibt, sowohl in seinem Innern wie an seiner "Peripherie"; Menschen, die aus ethischen Gründen eine Gesellschaft ablehnen, in der Erfolg im Triumph über den anderen besteht bis hin zum Krieg gegen alle, die im Weg zum Maximalprofit stehen; und Menschen, die zwar den Kapitalismus bejahen oder hinnehmen, aber die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur auch für ökonomisch unsinnig halten.

 

4) Die theoretischen Diskussionen und historischen Erfahrungen mit Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und der Einführung wirtschaftsdemokratischer Elemente führen zu wichtigen Erkenntnissen für die weitere Strategie des Kampfes um Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft:

4.1) Die frühen "Musterexperimente" von Genossenschaften der Anarchisten und utopischen Kommunisten haben die Kritik von Marx bestätigt, dass es sich hier um "Sozialismus der Kleinbürger" handelt, um zum Scheitern verurteilte Nischenprojekte, die noch dazu vom Wesentlichen ablenkten, nämlich der "Negation des Kapitalismus", der Überwindung der kapitalistischen Machtverhältnisse in der allgemeinen Wirtschaft. Genossenschaften, die sich in die Konkurrenz am kapitalistischen Markt einreihen, unterliegen den selben Gesetzen wie die kapitalistischen Konkurrenten. Die "gesellschaftliche Maßgabe", die Parameter, nach denen die Wirtschaft insgesamt funktionieren, müssen geändert werden.

4.2) Dieser Kampf, die "Negation des Kapitalismus", muss geführt werden unter der Bedingung der Vorherrschaft des Kapitalismus. Es macht also keinen Sinn, ein abstraktes Ideal aufzuzeichnen, von dem dann ein Muster für heute abzuleiten wäre. In den Worten von Marx: "Der Kommunismus ist für uns nicht ein Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach sich die Wirklichkeit zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen ergeben sich aus der jetzt bestehenden Voraussetzung."

4.3) Wie der Kampf ausgeht, ist völlig offen. Die von Marx konstatierte "Naturgesetzlichkeit", mit der das Proletariat den Kapitalismus aufheben würde, ist nicht gegeben. Weder ist das Proletariat, die Arbeiterklasse, die einzige relevante Kraft in der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus, noch ist sicher, ob der Kapitalismus am Marsch in die Katastrophe gehindert werden kann. Doch kommt der Arbeiterklasse eine Schlüsselrolle zu und werden die antikapitalistischen Kräfte aus "objektiven" Gründen stärker.

4.4) Eine der frühen marxistischen Vorstellungen war, man müsse zunächst die Staatsgewalt erobern und mit ihren Direktiven dann Wirtschaft und Gesellschaft demokratisieren. In seinen Arbeiten zur Pariser Kommune hat Marx diese Vorstellung relativiert. Klar wurde, dass der Staat selbst völlig verändert werden muss, dass die staatliche Kommandogewalt übergehen muss in eine solidarische gesellschaftliche Verfassung auf allen Ebenen und in allen Sektoren. Dementsprechend besteht die "wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt", im Voranschreiten von Demokratie auf den verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen. "Revolution" heißt nicht Eroberung des Reichstags, sondern Übernahme der Entscheidungen in Wirtschaft und Gesellschaft durch das Volk, durch die gesellschaftlichen Gruppen.

4.5) Wie schon die Erfahrungen und Probleme der Räterepublik und der Rätekonzeptionen im Anschluss an den Ersten Weltkrieg in Deutschland gezeigt haben, muss eine ökonomistische Verengung auf die Betriebe als "politisches Nervenzentrum" der Gesellschaft vermieden werden. Alle Lebensbereiche müssen demokratisch gestaltet werden und alle Teile der Bevölkerung – ob in Großbetrieben beschäftigt oder nicht – müssen gleichberechtigt mitmachen können.

4.6) Reformen im Kapitalismus, auch die Zunahme von Demokratie in der Wirtschaft, haben in der Regel einen Doppelcharakter. Auf der einen Seite stabilisieren sie fürs erste den Dominanzstatus des Kapitals, das sich mit der Reform zunächst einmal "Ruhe" verschafft hat. Zum anderen aber, und das ist der entscheidende Aspekt, muss die Position derer, die auf Strukturveränderung aus sind, gestärkt werden. Es gilt Kautskys Wort, dass jede Reform richtig ist, die die Stellung der antikapitalistischen Kräfte ausbaut.

4.7) Das skandinavische Modell hält zwei Lehren bereit. Einmal demonstriert es, dass das kapitalistische Akkumulationsmodell tatsächlich zu verbinden ist mit einer Regulationsweise, die weit sozialer ist, als sie das neoliberale Modell als allein möglich vorschreiben will. In Schweden sind die Sozialleistungen höher, ist Bildung unabhängiger von sozialer Herkunft, und doch entwickelt sich die kapitalistische Wirtschaft mindestens so "gut" wie in den strikt neoliberalen Ländern. Allerdings liefert gerade Schweden auch den empirischen Beweis, dass, wie es Mindner, einer der Väter des Modells, sagte, es nicht genügt, "Funktionssozialismus" zu praktizieren, womit die soziale Regulierung der durch die kapitalistische Wirtschaft verursachten Schäden gemeint ist. In den letzten Jahren und vor allem in der Krise wurden die sozialen Schutzzäune des Sozialstaats weitgehend abgebaut. Um dies zu verhindern, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter, muss die Gesellschaft direkt in die Nutzung der Produktionsmittel eingreifen können, muss also Eigentum vergesellschaftet werden.

4.8) Der reale Sozialismus ist nicht gescheitert an den Prinzipien der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der gesamtgesellschaftlichen Planung, sondern vor allem an seinem entscheidenden Mangel, dem Fehlen von Demokratie. Dieses Fehlen hat viel zu tun mit seinem "Geburtsfehler", dass die neue Gesellschaftsordnung nicht von demokratischen Massenbewegungen, sondern von Avantgardeparteien, Guerillas oder ausländischen Truppen eingeführt wurde. Dazu kamen erhebliche "endogene" Fehler (und auch Verbrechen) der machtausübenden Parteien. Im Ergebnis: Es kann nicht darum gehen, Elemente des Marktes und der Konkurrenz in den Sozialismus einzubauen, sondern durchweg – von der zentralen Ebene bis in Betriebe und Wohnviertel – Demokratie durchzusetzen. Die Menschen selbst haben zu entscheiden, was sie brauchen, wie sie es produzieren und verteilen. Dies müssen gesellschaftlichpolitische Setzungen sein, nicht solche von Angebot und kaufkräftiger Nachfrage und entsprechender Gewinnplanung in den Unternehmen.

 

5) Noch einmal der Kerngedanke der Betrachtungen: Es geht zwar einerseits um ein Ideal, das wir erreichen wollen in Wirtschaft und Gesellschaft. Aber wie wir dahin gelangen, müssen wir von den Möglichkeiten abhängig machen, die in der heutigen Wirklichkeit stecken, um zu diesem Ideal zu gelangen. Wenn das Ideal sich zusammensetzt aus den Kategorien "Solidarität/Kooperation/Demokratie", dann geht es um zweierlei: 1) Alle Strukturen zu bekämpfen, die solche Prinzipien niederhalten – das wäre dann die "Negation des Kapitalismus". 2) Alle Elemente und Strukturen, die in die "ideale" Richtung weisen, zu unterstützen und zu entwickeln.

 

Hier handelt es sich um Kapitel V aus isw-report 79 "Wirtschaftsdemokratie und Vergesellschaftung - Zu einer solidarischen Gesellschaft jenseits des Kapitalismus". Erschienen im Januar 2010. Siehe www.isw-muenchen.de/report790.html.