Wirklich wahre Goldgruben

Bergbauwahn bei Multis in Mexiko – Rekordgoldpreis als Antriebsfeder

Mariano Abarca Roblero war ein erbitterter Gegner des kanadischen Bergbauunternehmens Blackfire. In seinem Heimatort, der kleinen Kreisstadt Chicomuselo im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, setzte er sich mit anderen Einwohnern dafür ein, die Ausbeutung der Barytvorkommen(Schwerspat) im Landkreis durch den Multi zu verhindern. Abarca gehörte zu den wichtigsten Figuren des landesweit organisierten Mexikanischen Netzwerks der Bergbaugeschädigten (REMA). Der vierfache Familienvater bezahlte sein Engagement mit dem Leben. Am Abend des 27. November 2009 wurde er vor seinem Haus erschossen. Der Täter entkam. Die Bewohner von Chicomuselo machen Blackfire für den Mord verantwortlich.

In den Monaten zuvor hatten Unternehmen und Behörden vergeblich versucht, Abarca Roblero zu beugen. Bereits im Juli 2009 hatte Blackfire schweres Geschütz gegen den unliebsamen „Rädelsführer"aufgefahren: In der eingereichten Klage wird er der Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Vereinigung und dem organisierten Verbrechen bezichtigt. Weitere Anschuldigungen: Angriffe auf Kommunikationswege, Vermögensschädigung und Friedensstörung. Am 17. August 2009 entführte die Polizei ihn unter Anwendung von Gewalt praktisch von der Straße weg. Die Regierung des Bundesstaates Chiapas versuchte, ihm im Gegenzug für seine Freilassung die Aufgabe des Protestes abzuverhandeln. Abarca lehnte ab. Nach weltweiten Protesten kam er zehn Tage später frei. Bis zu seiner Ermordung begleiteten ihn Drohungen von Seiten des Unternehmens.

 

In Chicomuselo geht es ausnahmsweise nicht vorrangig um Gold, sondern um ein für die Ölförderung wichtiges Mineral.Dennoch ist der Fall beispielhaft für eine wahre Offensive vor allem internationaler Bergbaukonzerne - allen voran kanadischer - im Land. Unterstützt von der mexikanischen Regierung sichern sie sich weitreichende Schürfrechte für die kommenden vier Jahrzehnte. Eine neue Goldgräberstimmung ist ausgebrochen. Die Bergbaumultis sind wenig gewillt, Rücksicht auf die Belange der Bevölkerung zu nehmen. Zu viel gibt es für sie zu gewinnen. Dagegen warnen die Kritiker vor einer ökologischen und sozialen Zeitbombe.

 

Ungekannte Ausmasse Auf den ersten Blick geht es oft um die Reaktivierung alter Gold- und Silberminen, deren zum Teil bis auf die Kolonialzeit zurück reichende Ausbeutung sich mit traditionellenTechnologien und bei einem niedrigen Goldpreis lange Zeit nicht lohnte. Doch die neuen Konzessionen umfassen viel umfangreichere Gebiete. Allein für die ersten Monate dieses Jahres weisen die offiziellen Daten des Energieministeriums 231 Konzessionen an ausländische Interessenten für Schürfrechte auf einer Gesamtfläche von zwei Millionen Hektar aus. In mehr als 80 Prozent bekamen Konzerne mit Sitz in Kanada den Zuschlag. Es scheint so, als könnte die mexikanische Regierung das nationale Territorium nicht schnell genug in Konzession vergeben. Alejandro Villamar von der Koordination des erwähnten Netzwerks REMA hat auf der Grundlage der offiziellen Zahlen hochgerechnet: Aufgrund des Vergabewahns der zurückliegenden Jahre dürften inzwischen für gut 50 Millionen Hektar mexikanischen Boden Schürfrechte bestehen. Bei gut 13 Millionen Hektar geht es direkt - das heißt ohne Strohmänner - um ausländische Engagements. Um sich die Dimensionen klar zu machen: 50 Millionen Hektar entsprechen etwas mehr als einem Viertel des gesamten Staatsgebietes und deutlich mehr als beispielsweise der Fläche der Bundesrepublik Deutschland. Würden die Schürfrechte alle genutzt, gliche Mexiko heute schon einer einzigen Kraterlandschaft.

 

Bei fast allen umstrittenen Bergbaufällen geht es um ausländische Multis. Dies hat seinen Grund. Denn aus dem Ausland kommt die Technologie, die die koloniale Minenausbeutung wie eine Sandkastenbuddelei erscheinen lässt. Statt Stollen zu treiben, wird heute der weitaus radikalere offene Tagebau bevorzugt - was in den meisten Stammländern der Bergbauriesen wegen seiner Umweltschädlichkeit verboten ist. Ganze Berge werden innerhalb kurzer Zeit von riesigen Schaufelradbaggern abgetragen, gesprengt und zermahlen- oft mehrere tausend Tonnen pro Tag. Edelmetalle werden unter hohem Wasserverbrauch mit giftigen Substanzen wie Blausalzsäure (Zyanid) und Quecksilber aus dem Gestein gelöst. „Umweltauflagen bestehen nur auf dem Papier", sagt Villamar. Die neue Technologie verlangt vor allen Dingen den intensiven Einsatz von Maschinen, der Arbeitseinsatz ist gering. Die oft behaupteten positiven Beschäftigungswirkungen sind mehr als zweifelhaft. Meist werden neben den Maschinen auch die Ingenieure aus dem Ausland importiert.

 

Ungeahnte Gewinne Die heutige Ergiebigkeit der Gold- und Silberminen pro Tonne Gestein ist weit geringer als invorausgegangenen kolonialen Ausbeutungsperioden oder unter dem Präsidenten Porfirio Díaz (mit einer vierjährigen Unterbrechung von 1877 bis 1911). Ein Feingehalt von mehr als 5 Gramm Gold pro Tonne ist schon überdurchschnittlich. Aber 3-5 Gramm reichen derzeit für ein äußerst lukratives Geschäft: Denn betrug der Preis für die Feinunze Gold (31,10 Gramm) auf dem Weltmarkt im Jahr 2003 etwa 280 US-Dollar, so bewegt er sich heute im Rekordbereich von 1200 Dollar. Dies ist der Grund dafür, dass nun viele stillgelegte Minen wieder für die Ausbeutung interessant werden. Mit dem Gold werden als Nebenprodukt oft Silber und andere Metalle und Mineralien abgebaut. Doch die Spekulation auf einen anhaltend hohen Goldpreis ist entscheidend.

 

Beispiel Goldcorp: In der Kommune Mazapil, Bundesstaat Zacatecas, betreibt dieser kanadische Konzern seit kurzem die größte Goldmine Mexikos. Auf seiner Webseite beschreibt sich der Multi als derjenige Goldproduzent, der auf dem amerikanischen Kontinent „in Ländern mitniedrigem politischen Risiko" zu den geringsten Kosten produziert und am schnellsten wächst. Im ersten Quartal 2010 produzierte Goldcorp nach eigenen Angaben weltweit 625000 Feinunzen Gold zu durchschnittlichen Kosten von 325 US-Dollar pro Unze. Für Mazapil wird erwartet, dass sich die Investitionen von 1,7 Milliarden Dollar bereits nach einem Jahr amortisiert haben. Eine perverse Logik: Je schneller der Raubbau an der Natur vonstatten geht, je mehr Tonnen goldhaltiges Gestein in möglichst kurzer Zeit zermahlen werden, desto besser für die Konzerne. Denn der auf Spekulation beruhende Goldpreis könnte wiederabstürzen und die weitere Produktion unrentabel machen.

 

Ungeheure Kosten Dass der Tagebau riesige Löcher in die Landschaft reißt, ist noch das geringste Problem. Nach Daten der mexikanischen Statistikbehörde INEGI ist die Bergbauindustrie für den überwältigenden Teil freigesetzter Giftstoffe wie Blei, Arsen, Kadmium und Blausäure verantwortlich. Dramatische Konsequenzen werden für den Wasserhaushalt befürchtet. Einerseits glauben weder betroffene Bevölkerung noch Umweltschützer den Beteuerungen der Bergbauunternehmen, das Grundwasser sei vor Vergiftung geschützt. Andererseits gibt es den wasserintensiven Tagebau oft in Regionen, in denen die Bevölkerung unter Wassermangel leidet. Einige Beispiele:

> Der tägliche Wasserverbrauch der erwähnten Goldcorp-Mine in Mazapil entspricht dem gesamten täglichen Wasserkonsum der knapp 1,4 Millionen Bürger des Bundesstaates Zacatecas.

> In Cerro de San Pedro nahe der Stadt San Luis Potosí hat das kanadische Unternehmen New Gold Minería San Xavier in den vergangenen Jahren nicht nur mehrere Hügel gesprengt und abgetragen - darunterden kleinen Berg, der im Wappen des Bundesstaates San Luis Potosí wiedergegebenist. Die Mine verbraucht 32 Millionen Liter Wasser am Tag. Mehr, als alle Haushalte der Millionen-Stadt zusammen.

> In San José del Progreso im südlichen Bundesstaat Oaxaca erhofft sich das Unternehmen Fortuna Silver Mines, ebenfallsaus Kanada, eine reiche Gold- und Silberausbeute. In Bälde sollen täglich 1500 Tonnen Gestein zerkleinert und ausgewaschen werden. Die dafür benötigten 1,5 Millionen Liter Wasser täglich sollen unter anderem aus einem kleinen Stauteich der Gemeinde und aus dem zwölf Kilometer entfernten Fluss Atoyac beschafft werden. Von den 1000 Familien im Dorf hat nur ein Viertel einen Trinkwasseranschluss. Der Grundwasserspiegel ist in den letzten Jahrzehnten ohnehin ständig gesunken. Als Dorfbewohner im Frühjahr 2009 das Minengelände besetzten, machten zwei Monate später mehrere Hundertschaften staatlicher Sicherheitskräfte samt Hundestaffel den Weg für Fortuna Silver Mines frei.

 

Mit den Bergbaukonzernen kommt vielfach auch die Zerstörung des sozialen Gefüges in der lokalen Bevölkerung. Die Konzessionen für Schürfrechte sind keine Eigentumstitel. Um ungestört arbeiten zu können, gehen nationale wie internationale Minenunternehmen überall ziemlich gleich vor: Mit einem Mix aus Versprechen, Spaltungen von Dorfgemeinschaften, auf den ersten Blick großzügigen Angeboten für den Ankauf von Land, Drohungen und Bestechungen gelingt es ihnen häufig, sich ehemaliges Gemeinde- sowie nachdem Nießbrauchsrecht genutztes Ejido-Land anzueignen. In mehr als einem Fall bringen sie Ortsbürgermeister und Ejido-Vorsitzende auf ihre Seite, die dann hinter dem Rücken der Bewohner Verträge mit den Multis abschließen. In Chicomuselo in Chiapas beispielsweise haben Banküberweisungen und Flugzeugtickets für die Familie des Bürgermeisters nachgeholfen.

Starker Widerstand „Wir müssen dafür sorgen,dass mehr Unternehmen wie Goldcorp nach Mexiko kommen", erklärte Präsident Felipe Cálderon am 24. März, als er der offiziellen Inbetriebnahme der Mine in Mazapil beiwohnte. Viele seiner Mitbürger sehen das anders. In mehreren Bundesstaaten zogen sich kleinere Bergbaukonzerne nach Bevölkerungsprotesten still und heimlich wieder zurück. In Chicomuselo, wo sich ein Sohn des ermordeten Mariano Abarca anstelle seines Vaters engagiert, ließ die Regierung des Bundesstaates wohl aus Angst vor einem sozialen Aufstand die Baryt-Mine vonBlackfire schließen.

 

In San Luis Potosí und San Pedro hat das Breite Oppositionelle Bündnis (FAO) gegen die Mine San Xavier seinen Kampf inzwischen bis in die Aktionärsversammlung von New Gold in Toronto getragen. Würde New Gold nicht mit Duldung der mexikanischen Regierungsbehörden Gerichtsbeschlüsse ignorieren, hätte der Tagebau längst geschlossen werden müssen. Im NetzwerkREMA und länderübergreifenden Initiativen formiert sich zusehends Widerstand gegen die Bergbaumultis. Zu erwarten, dass er sich angesichts der Gewinnperspektivenfür die Konzerne kurzfristig durchsetzen kann, wäre allerdings naiv.

 

Gerold Schmidt lebt in Mexico D.F. Er schriebin LP21/3 zu Pemex, in Heft 5 zu „15 Jahre Zapatismus" und in Heft 6 die Rubrik„LunaLuna".