Last Exit Griechenland?

Mit Syriza raus aus der Krise

Viele werfen der Allianz der Radikalen Linken (SYRIZA) in Griechenland vor, dass ihr Regierungsprogramm nicht radikal genug sei. Vergleicht man es etwa mit dem von François Mitterrand Anfang der 1980er Jahre, erscheinen die Forderungen von SYRIZA tatsächlich gemäßigt, denn vieles davon orientiert auf Sozialstandards, die im Verlauf der Krise erst zerstört wurden: Die Tarifautonomie soll wiederhergestellt und der Mindestlohn auf das Niveau von 2009 angehoben werden. Eine Reihe von Sofortmaßnahmen soll helfen, die größte Not in Griechenland zu lindern. Es geht um einen Zugang aller zu medizinischer Versorgung (jedeR Vierte ist ohne Krankenversicherung und hat nur im äußersten Notfall Zugang zu medizinischer Versorgung), die Nutzung staatlicher und kirchlicher Immobilien, um die Wohnungsnot abzufedern, und um Regelungen zur Tilgung von Bank- und Steuerschulden für niedrige Einkommensschichten sowie für kleine und mittlere Unternehmen. Vieles davon liegt schon als Gesetzentwurf vor – mit Finanzierungsberechnung. In Griechenland wäre es nicht einmal eine sonderlich radikale Maßnahme, die Banken in öffentliches Eigentum zu überführen, denn die Rettung der Banken hat den griechischen Staat insgesamt ein Vielfaches ihres heutigen Börsenwertes gekostet. Was die bürgerliche Presse in ganz Europa skandalisiert und was trotz allem die Radikalität des Programms von SYRIZA ausmacht, ist der erklärte Wille, mit dem neoliberalen Regime in der EU zu brechen. Etwa mit dem Vorhaben, den (oftmals tatsächlich ineffektiven) Verwaltungsapparat auf ein für Westeuropa unbekanntes Niveau zu schrumpfen. Auch die griechischen BürgerInnen, die dem populistischen Märchen vom aufgeblähten Staatsapparat aufgesessen waren, wissen inzwischen, was solche ›Verbesserungen‹ bedeuten: weniger LehrerInnen, KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen, mehr Kinder pro Schulklasse und weniger Verwaltungspersonal in den Hochschulen – keinesfalls jedoch größere Effektivität. Sie haben verstanden, wie Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit angeblich erhöht werden – nämlich durch niedrigere Löhne. Und auch wie die Staatsfinanzen ›gesunden‹ sollen – durch radikale Rentenkürzungen.

GEGEN DAS MEMORANDUM

Eine Aufkündigung des Memorandums von 2010 hat für SYRIZA aus zwei Gründen eine zentrale Bedeutung: Erstens ist die Politik, die es vorschreibt, an ihren erklärten Zielen gescheitert. Lagen die öffentlichen Schulden Griechenlands zum Zeitpunkt, als das Memorandum beschlossen wurde, bei 120 Prozent der Wirtschaftsleistung, so sind sie heute, nach vier Jahre dieser ›Reformpolitik‹, auf 175 Prozent gestiegen. Zweitens ist eine Stimme für die Linke gleichzeitig ein Votum gegen das Memorandum. Dessen Kündigung wird deshalb als Ausdruck der Volkssouveränität gesehen. Das allein wird aber nicht genügen. Das Memorandum muss durch einen Plan ersetzt werden, die griechische Gesellschaft wieder aufzubauen.

Die Ausgangsbedingungen dafür sind allerdings schlechter denn je. Nach vier Jahren Austeritätsregime ist vieles zerstört, auf das sich aufbauen ließe. In vielen Bereichen muss quasi von vorn angefangen werden. Hunderte von Gesetzen, Verordnungen und Regierungsmaßnahmen, die aus den Verpflichtungen des Memorandums hervorgegangen sind, prägen heute das Wirtschafts- und Sozialleben in Griechenland: Arbeitsverhältnisse wurden flexibilisiert, Individual- und Betriebsverträge in die Kostenkalkulation vieler Unternehmen integriert, der herabgesetzte Mindestlohn ist vor allem in kleinen Unternehmen inzwischen bestimmend. Gleichzeitig gibt es auch in bürgerlichen Kreisen der EU-Staaten Diskussionen über die Notwendigkeit eines Politikwandels, denn es ist kaum zu übersehen, dass das PIIGS-Modell mit Anleihen, Memoranden, Troika-Regime und radikalem Sparkurs gescheitert ist.

SCHULDENABBAU MIT LINKS?

Ein wichtiger Schlüssel zur Lösung ist der Schuldenabbau. Es ist völlig unmöglich, öffentliche Schulden von 175 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung zu bedienen, denn allein die jährlichen Zinsen machen dann über zehn Prozent der Staatseinnahmen aus. Bei einer so hohen Zinslast wird niemand Griechenland Kredite geben, jedenfalls nicht zu einem bezahlbaren Zinssatz. Das Schuldenproblem ist ein europäisches und kann nur auf dieser Ebene gelöst werden. Andernfalls sind überschuldete Staaten gezwungen, einseitig vorzugehen – das hat jedoch negative Implikationen nicht nur für sie selbst, sondern auch für das Projekt einer europäischen Integration. Ein relevanter Teil der Schuld muss also weg, und die Tilgung der Restschuld muss mit einer Wachstums- und Beschäftigungsklausel verbunden werden. Dies entspricht exakt dem Modell des Londoner Schuldenabkommens von 1953, mit dem die deutschen Vor- und Nachkriegsschulden geregelt wurden.

Die Beseitigung des Schuldenproblems ist eigentlich eine technische Frage, deren Beantwortung jedoch eine politische Entscheidung vorausgehen muss. Dazu bedarf es einer europäischen Schuldenkonferenz. Wie kann eine nicht bedienbare Schuld auf ein vernünftiges Maß reduziert werden, ohne die europäischen SteuerzahlerInnen zu belasten? Die Bedingung ist wichtig, denn wir müssen die Interessen und Ängste der europäischen Bevölkerung im Blick haben, auch wenn das Schuldenproblem aufgrund einer unseriösen Finanzpolitik der Geberländer, vornehmlich Deutschlands, entstanden ist. Unseriös ist diese Politik, weil sie die Kreditvergabe an Bedingungen knüpft, die dem Kreditnehmer jede Möglichkeit rauben, jemals wieder wirtschaftlich auf die Füße zu kommen. Von den Regierungen der Geberländer wird also Geld zum Fenster hinausgeworfen – auch wenn die SteuerzahlerInnen dies vorerst nicht merken.

Zur Lösung des Problems gibt es verschiedene Ansätze, in denen die Europäische Zentralbank eine Rolle spielt. Axel Troost (2013) hat gezeigt, wie so etwas aussehen könnte. Was spricht dagegen? Nur das neoliberale Dogma, dass Menschen, Unternehmen und Gemeinwesen für ihre wirtschaftlichen Fehlleistungen bestraft werden müssen und dass es die Krise auszunutzen gilt, um dieses neoliberale Programm in Griechenland und ganz Europa durchzusetzen. Eine linke Regierung muss also das Schuldenproblem anpacken. Der erste Schritt zu einer Verhandlung der öffentlichen Schulden, den SYRIZA als führende Kraft einer zukünftigen Regierung Griechenlands mit den europäischen Partnern beginnen will, besteht darin, den Nöten der Bevölkerung Vorrang vor den Forderungen der Geldgeber einzuräumen. Praktisch haben die Verhandlungen bereits begonnen, denn europäische PolitikerInnen kommentieren längst die Vorschläge von SYRIZA. Der Prozess wird nicht einfach werden, obwohl kaum mehr bezweifelt wird, dass das sogenannte Hilfsprogramm gescheitert ist: Einen »Rettungsring aus Blei« hatte Michael Schlecht, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, es 2011 genannt.

EXIT KEIN AUSWEG

Von links wie von rechts wird immer wieder vorgeschlagen, Griechenland – und Länder mit ähnlichen Problemen – sollten die Eurozone zeitweilig oder für immer verlassen, und mit Hilfe einer wachstumsorientierten Währungs- und Geldpolitik versuchen, wieder auf die Beine zu kommen. Diese Haltung verkennt jedoch, dass monetäre Souveränität in der heutigen Welt nur wenigen Ländern vorbehalten ist: Die Wechselkurse werden nicht von nationalen Behörden bestimmt, sondern kommen durch Währungsspekulation zustande, und sie spiegeln längst nicht mehr nur das Wettbewerbsgefälle zwischen unterschiedlichen Volkswirtschaften wider. Würden Staaten mit zerrüttetem Produktionsgefüge, hohen Schulden und Zahlungsbilanzdefiziten sich in eine vermeintliche Währungssouveränität flüchten, käme es zu heftigen Spekulationsangriffen auf ihre Währungen. Wechselkurse würden einbrechen und Importe würden sich enorm verteuern. Der Ausstieg eines Landes aus dem Euro würde sich aber auch auf die Staatsanleihen anderer schwächelnder europäischer Staaten auswirken. Neue Spar- und Ausgabenkürzungsprogramme wären die Folge. Sofern derartige Vorschläge von links kommen, basieren sie auf der Vorstellung, dass es einen griechischen »nationalen Weg« zum Sozialismus geben könne, eine linke Regierung folglich jede Bindung an das kapitalistische Gebilde der EU (vor allem an den Euro) kappen müsse. Im Kapitalismus ist aber jede politische Macht ein kapitalistisches Gebilde (auch die Griechische Republik). Auch der Vergleich mit dem revolutionären Russland hinkt, weil Russland, später die Sowjetunion, fast ein ganzer Kontinent war – abgesehen davon, dass der »Sozialismus in einem Land« auch damals eine Notlösung war, nachdem die Revolutionen in anderen europäischen Ländern gescheitert waren. Deshalb sucht SYRIZA nach einer Lösung innerhalb der Eurozone. Die Rückkehr in die Kleinstaaterei kann keine Perspektive sein. Die Problem der EU, die Übermacht der größeren Staaten sowie undemokratische Entscheidungsprozesse, in denen die Parlamente zu bloßen Ratifizierungsorganen degradiert werden – all das muss gemeinschaftlich und nicht nationalstaatlich gelöst werden. Dennoch kann ein »Ja« zu einer europäischen Lösung des Schuldenproblems für Griechenland nicht bedingungslos sein, und die Bedingung ist das Überleben der griechischen Gesellschaft. Genau dies drückt sich in einer Erklärung von SYRIZA aus: »Wir werden keine einseitigen Schritte unternehmen, es sei denn wir werden dazu gezwungen!«

Die Verhandlungen werden zweifellos hart sein. Nicht in erster Linie, weil Positionen des neoliberalen Dogmatismus geräumt werden müssen, sondern weil zum ersten Mal in Europa die Linke auf Augenhöhe mit den VertreterInnen der Kapitalmacht verhandeln will. Das Memorandum muss durch ein realistisches Aufbauprogramm ersetzt werden. Nicht dass wir davon ausgehen, die VerhandlungspartnerInnen zu überzeugen; aber letztlich haben sie nichts als ihre gescheiterten ›Rettungspakete‹ zu bieten. Wir müssen deutlich machen, dass diese Politik nicht alternativlos ist, und wir müssen die Solidaritätsbewegung mit Griechenland mit Argumenten versorgen. Dazu bedarf es breiter gesellschaftlicher Bündnisse. Wir müssen GewerkschafterInnen, Jugendzentren, Kirchengemeinden, SozialdemokratInnen und Grüne für dieses Anliegen gewinnen. Die Linke in Europa kann nur stark werden, wenn es ihr gelingt, breite Bevölkerungskreise auf ihre Seite zu ziehen.

Selbst bei einer vollständigen Schuldenstreichung wären die Probleme nicht aus der Welt. Griechenland, der immer größer werdende ›europäische Süden‹, aber auch die Länder in Osteuropa brauchen dringend neue wirtschaftliche Impulse – das Projekt der europäischen Integration insgesamt braucht einen neuen politischen Anstoß. Von Gewerkschaftsseite (DGB, EGB) wird ein europäisches Investitionsprogramm gefordert. Auch wenn die vorgeschlagenen Finanzierungsinstrumente nur bedingt zur Umverteilung beitragen, und der Plan die Belange der südlichen EU-Länder, die ja Hauptbetroffene der Krise und der neoliberalen Umstrukturierungspolitik sind, zu wenig berücksichtigt, so weist er doch in die richtige Richtung. Dennoch: Heute reicht es nicht mehr, einen keynesianischen Ausgabenplan zu entwerfen. Wir müssen die Richtung der Transformation klar bestimmen und die Instrumente wie die notwendigen Mittel der Umgestaltungspolitik viel stärker in einen solchen Plan einbeziehen, als es derzeit der Fall ist.

UMBAU ÖKOLOGISCH-SOZIAL

Eine – wenn auch anspruchsvolle und kostspielige – Perspektive wäre die ökologische Umgestaltung der Produktion, nicht allein der Energieproduktion, sondern der Produktion insgesamt. Der europäische Binnenmarkt setzt solchen Projekten natürlich Grenzen, weil kaum zu verhindern sein wird, dass nicht-ökologische Waren produziert werden. Möglich wäre aber als erster Schritt, sie von der Liste der Güter zu streichen, die von der öffentlichen Hand eingekauft werden. Länder, die sich dieser Herausforderung stellen, werden sicherlich an der Spitze einer künftigen Revolutionierung der Produktivkräfte stehen. Griechenland hat zum Beispiel gute natürliche Voraussetzungen für eine ökologische Energie- und Landwirtschaftsproduktion. Für uns wäre es also von großem Vorteil, wenn die europäische Wirtschafts- und Innovationspolitik sich in diese Richtung entwickeln würde.

Natürlich wäre es Unsinn, auf eine allgemeine Kursänderung in der EU zu warten. Die Europäische Union ist ein Staatenbund, und Kursänderungen setzen immer eine Veränderung innerhalb ihrer Mitgliedsländer voraus. Die neue griechische Regierung wird deshalb ein Programm der sozial-ökologischen Umgestaltung im eigenen Land in Angriff nehmen müssen. Dieses wird mit einem sozialen und ökonomischen Sofortprogramm zwar nicht identisch sein, davon aber auch nicht zu trennen. In einem ersten Schritt muss die öffentliche Nachfrage genutzt werden, um den Markt in diese Richtung zu beeinflussen. Zweitens müssen die Sektoren bestimmt werden, die sich am ehesten für einen solchen Umbau eignen. In Griechenland sind das die Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie sowie die Energiewirtschaft und der Tourismus. Wissenschaft und Innovationsforschung müssen zu dieser Entwicklung beitragen.

VERWALTUNG ALS BÜNDNISPARTNERIN

Ein wichtiges Instrument für jedes Wiederaufbauprogramm ist die öffentliche Verwaltung. Ausgerechnet diese ist in Griechenland aber schon lange ein Problem. In der Nachkriegsperiode und während der siebenjährigen Diktatur (1967–1974) wurde die Verwaltung unter Bedingungen eines Ausnahmezustandes aufgebaut, Menschen mit fortschrittlichen Ansichten waren vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen. Aber auch nach 1974 wurden Stellen im öffentlichen Dienst weiterhin nach parteipolitischen Kriterien besetzt. Die öffneten einer Korruption Tür und Tor, die von den Regierungen geduldet, in vielen Fällen sogar gefördert wurde. Der ›neue Geist‹ des Neoliberalismus hat sein Übriges getan, dadurch dass das Öffentliche diffamiert und privatwirtschaftlichen Interessen unterstellt wurde.

Dennoch ist in der öffentlichen Verwaltung auch ein großes Wissenspotenzial vorhanden, das eine gute Basis für den Wiederaufbau bilden kann. Linke Politik muss auf dieses Potenzial setzen und die Menschen im öffentlichen Dienst für eine Verwaltungsreform gewinnen. Sie müssen am Umbau direkt beteiligt werden.

STEUERFLUCHT BEKÄMPFEN

Damit eine Steuerreform, durch die hohe Einkommen und Vermögen stärker belastet werden sollen, Wirkung zeigen kann, müssen diese effektiv erfasst werden. Dazu ist ein Vermögensregister nötig, das den Besitz griechischer StaatsbürgerInnen im In- und Ausland lückenlos dokumentiert. Es ist bezeichnend, dass ein solches – obwohl im Memorandum beschlossen – bis heute nicht erstellt wurde. Stattdessen sind die Kontrollstellen der Finanzämter in den letzten zehn Jahren durch Einstellungsstopp und Versetzungen zu einem großen Teil aufgelöst worden – und das war politisch beabsichtigt. Auch haben die bürgerlichen Regierungen bisher sorgfältig vermieden, die Steuerflucht großer Unternehmen (beispielsweise durch An- und Verkäufe innerhalb eines Konzerns) zu erfassen. Es gibt aber auch viele kleine Unternehmen, die aus existenziellen Gründen Steuerflucht begehen. Wie können solche Kleinunternehmen erhalten und in die Steuerlegalität geführt werden? Welche Rolle können dabei öffentliche Banken, öffentliche Investitionen und eine vernünftige Steuerpolitik spielen? Hier muss angesetzt werden, um das Bündnis von Teilen des Kleinbürgertums und der Arbeiterklasse, mit dem bürgerlichen Parteiensystem zu brechen.

BANKEN IN ÖFFENTLICHER REGIE

Das zweite wichtige Instrument für den Wiederaufbau ist der Kreditsektor. Infolge von Staatshilfen und Rekapitalisierung befinden sich die wichtigsten griechischen Banken heute in öffentlicher Hand. Sie werden aber von ihren alten Leitungen verwaltet und spielen im Wirtschaftsleben keine Rolle. Weitere Bankenzusammenschlüsse sind geplant, wie auch der Verkauf staatlicher Aktienpakete an Private. Deren Erlös soll in die Kreditrückzahlung fließen. Es droht der Ausverkauf des griechischen Bankensektors, und zwar an spekulative Hedgefonds. Die Erlöse werden jedoch bei Weitem nicht die Summen decken, die der griechische Staat an Stützungsdarlehen und Rekapitalisierungsmitteln an die Banken gezahlt hat. Die einzige realistische Möglichkeit besteht also darin, dass der Eigentümer seine Rechte wahrnimmt und die Banken wirklich in öffentliche Regie überführt, rekonstruiert und in den Dienst des wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Aufbaus stellt. Beispiele für solche Formen öffentlicher Kreditsysteme finden wir bei unseren europäischen Partnern: negative (etwa die deutschen Landesbanken) und auch positive (wie die regionalen Sparkassen und Genossenschaftsbanken oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau).

RÜCKGEWINNUNG DES ÖFFENTLICHEN

Ein zentrales Ziel der Memoranden ist die Privatisierung öffentlicher Unternehmen und von Infrastruktureinrichtungen. Es ist klar, dass die Linke diese Vorhaben stoppen muss. Schwieriger sieht es jedoch mit der schrittweisen Deprivatisierung aus, weil eine entschädigungslose Verstaatlichung völlig unrealistisch ist. Und noch schwieriger scheint ein Umbau, der Bürokratismus, Ineffektivität und Korruption bekämpfen könnte. Wie im Fall der öffentlichen Verwaltung liegt auch hier die Antwort in einem Prozess der Demokratisierung und größeren öffentlichen Kontrolle. Die Notwendigkeit, wichtige Großunternehmen in strategischen Bereichen unter ­öffentliche Kontrolle zu bringen oder zu halten, schließt keineswegs aus, mit anderen ­in- und ausländischen (privaten wie öffentlichen) Unternehmen zu kooperieren – im Gegenteil. Die Erweiterung und Modernisierung dieser Unternehmen setzt Mittel und technische Kenntnisse voraus, über die sie oft nicht allein ­verfügen. Aber: Die Regeln solcher Koope­rationen werden vom griechischen Staat gesetzt. Es werden dort die arbeitsrechtlichen, sozialen und ökologischen Vorschriften Anwendung finden, die für öffentliche ­Unternehmen dann gelten werden – einschließlich deren Kontrolle durch die Beschäftigten und die Öffentlichkeit.

Diese Vorschläge, die die Wiederherstellung eines zerstörten Gemeinwesens zum Ziel haben, erfordern nicht nur einen großen Einsatz von Ressourcen und viele engagierte Menschen, sondern auch eine zentrale Planung. Dies birgt die Gefahr eines übermächtigen Staates, der nur begegnet werden kann, wenn »das Öffentliche« zu voller Geltung kommt: Jenseits einer funktionierenden und kompetenten kommunalen und regionalen Selbstverwaltung braucht es dafür gewählte Institutionen, die den Beschäftigten und den BürgerInnen verpflichtet sind und für Transparenz und öffentliche Kontrolle sorgen. Wie solche Institutionen im Detail gebildet werden können und wie sie funktionieren werden, wissen wir noch nicht. Die Theorie kann hier Impulse geben, aber keine Rezepte liefern. All das muss sich in der Praxis bewähren, denn neue Formen der Produktionsverhältnisse und des Zusammenlebens können nur entlang realer Probleme entstehen respektive sich weiterentwickeln. Unbeantwortet ist bislang auch die Frage, wie Ansätze solcher Veränderungen und Neuerungen stabilisiert werden können. So sind in ganz Griechenland Schritt für Schritt funktionierende Solidaritätsnetze entstanden (vgl. Benos in diesem Heft), auch wenn sie längst noch nicht so dicht sind, wie es nötig wäre. Dort finden viele Menschen elementare Gesundheitsversorgung; Baukreditnehmer, die ihr Einkommen verloren haben und vor der Obdachlosigkeit stehen, erhalten Rechtsbeistand; Kinder bekommen Nachhilfe und es werden Lebensmittel an notleidende Familien verteilt. Wie können nun die Erfahrungen dieser selbstverwalteten Strukturen, die aus der Not entstanden sind, in den Aufbau sozialer Dienstleistungen einfließen? Und was bedeuten Selbstverwaltung und Transparenz im Sozialbereich?

Das Wahlziel von SYRIZA 2012 war es unter anderem, Kräfteverhältnisse im Parlament herbeizuführen, die die geplante neoliberale Verfassungsänderung verhindern konnten. Das wurde erreicht. Nun gilt es, eine Bewegung auf die Beine zu stellen, die imstande ist, eine demokratische Verfassungsreform durchzusetzen, eine Reform, mit der Institutionen der direkten Demokratie geschaffen, öffentliches Eigentum geschützt, Rechte der Lohnabhängigen verbrieft, eine öffentliche Kontrolle von Großunternehmen eingeführt und schließlich die Bekämpfung von Diskriminierung sowie die Integration von MigrantInnen zur staatlichen Pflicht erhoben werden.

Nur so kann es gelingen, dem autoritären »postdemokratischen« Regime des Neoliberalismus wie auch der Gefahr des Neonazismus demokratisch entgegenzuwirken.

LITERATUR

Troost, Axel und Philipp Hersel 2013: Was passiert, wenn die EZB Verluste macht? Die Gefahren für SteuerzahlerInnen und Inflation sind erfreulich begrenzt, www2.alternative-wirtschaftspolitik.de/uploads/m3413.pdf

 

Erschienen in "Gespenst Europa" - Luxemburg 1/2014, 50ff.

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