16. November 2001

Am 16.11. beschloß der Deutsche Bundestag eine deutsche Beteiligung an "Enduring Freedom". Hat das nachdenkliche Innehalten, für das ich Ende September zu werben versuchte, überhaupt noch eine Chan

in: UTOPIE kreativ, H. 136 (Februar 2002), S. 120-130

Dieser Aufsatz entstand zwischen dem 2. und dem 6. Januar 2002. Die Leserinnen und Leser erreichen wird er Ende Januar. Es gilt, was auch schon meiner ersten Wortmeldung zu den Folgen der Terroranschläge vom 11. September im Novemberheft 2001 von "UTOPIE kreativ" (Heft 133) voranzustellen war: Niemand weiß, welche neuen Entwicklungen sich bis dahin vollzogen haben werden. Zum Zeitpunkt der Entstehung des ersten Beitrages Ende September hatten die USA schon angekündigt, daß sie auf die Terroranschläge mit Krieg antworten würden, aber sie hatten diesen Krieg noch nicht begonnen. Seit dem 7. Oktober 2001 führen sie unter dem Code-Namen "Enduring Freedom" - "Fortdauernde Freiheit" - mit umfassenden Bombardements und dem Einsatz von Bodentruppen Krieg gegen den Terrorismus, und zwar - wie sie selbst sagen: "zunächst" - in Afghanistan. Der 16. November markiert ein entscheidendes Datum für den Platz Deutschlands in diesem Krieg: An diesem Tag beschloß der Deutsche Bundestag eine deutsche Beteiligung an "Enduring Freedom" mit einem Kontingent von 3.900 Soldaten. Am 22. Dezember folgte ein Beschluß zur Beteiligung von 1.200 deutschen Soldaten an einer UN-mandatierten internationalen Schutztruppe für die nach der Zerschlagung des Taliban-Regimes in Afghanistans Hauptstadt Kabul installierte Übergangsregierung. Am 3. Januar 2002 melden die Agenturen: die Fortsetzung der US-Bombardements in Afghanistan; die Verstärkung von US-Aufklärungsflügen über Somalia - einem Land, das schon mehrfach als nächstes Ziel des Anti-Terror-Krieges genannt wurde -; das Eintreffen eines Vorauskommandos der Bundeswehr in Kabul; das Auslaufen einer sechs Schiffe und 750 Marinesoldaten starken Flotte der Bundesmarine in das Seegebiet zwischen Somalia und dem Jemen. Hat das nachdenkliche Innehalten, für das ich Ende September zu werben versuchte, überhaupt noch eine Chance?

Am 14. Dezember 2001 notierte der Nestor des aufklärerisch-streitbaren Journalismus in Deutschland, der 91jährige Erich Kuby, in seiner Kolumne Der Zeitungleser in der Wochenzeitung Freitag zum Thema 11. September: "Ich war als Soldat der Großdeutschen Wehrmacht für mehr als 2000 Tage in den Zweiten Weltkrieg involviert gewesen, so daß mich nicht sonderlich erstaunte, was diesen Büro-Türmen angetan wurde. Immerhin war Dresden, eine der schönsten deutschen Städte, von Flugzeugen in ein Ruinenfeld verwandelt worden." 1

Ich scheue mich vor einer solchen Bezugnahme. Kann und darf man die mehr als 56 Jahre auseinander liegenden Ereignisse tatsächlich so in Verbindung zueinander setzen? Die Bombardierung der deutschen Stadt Dresden in den letzten Monaten des von Deutschland vom Zaune gebrochenen und mit äußerster Brutalität in die Welt getragenen, viele Millionen Menschenopfer fordernden Krieges - und die Anschläge auf das US-amerikanische New York mitten im Frieden? Öffnet das nicht kurzschlüssigen ›Rechtfertigungen‹ des New Yorker Geschehens Tür und Tor? Und verstellt den Blick für die neue Art der Bedrohung, der sich die Welt seit dem 11. September ausgesetzt sieht?

Indes: Was Erich Kuby am 14. Dezember zu Papier brachte, war im Oktober und November Inhalt auch schon so manchen Leserbriefes in den großen Wochen- und Tageszeitungen der Republik. Menschen, die die Bombardierungen in den vierziger Jahren miterlebt hatten, brachten zur Begründung ihrer Kritik an der am 7. Oktober 2001 von den USA begonnenen Bombardierung Afghanistans neben Dresden auch Hamburg oder Potsdam in Erinnerung, und nicht selten gelangten die Autorinnen und Autoren zu einem Schluß, wie ihn auch Erich Kuby zieht: "Für die Amerikaner war es der erste Fall, daß sie im eigenen Land einem terroristischen Überfall ausgesetzt waren. Das, und nicht die Zerstörung zweier Hochhäuser, ist die Ursache dafür, daß der Welt beigebracht worden ist, mit dem 11. 9. 2001 sei ›alles anders geworden‹. Für einen Deutschen meiner Generation, geboren 1910, galt das nicht, so daß zum Beispiel ich nicht ohne weiteres eingesehen habe, daß zum Ausgleich für Manhattan ein ganzes Land, also Afghanistan, flächendeckend bombardiert werden mußte..." 2

Die Ablehnung des Bombenkrieges durch Menschen, die solch einen Krieg noch erlebt haben, ist in Deutschland viel weiter verbreitet, als das von der Politik - und auch von der großen Mehrheit der Medien - reflektiert wird. Und sie begründet sich offensichtlich häufig mit Argumenten, die nicht unbedingt mit aktuellen Parteipositionen oder der Haltung der einzelnen zu den verschiedenen Parteien zu tun haben. Schon im September 2001 fürchteten einer vom Spiegel in Auftrag gegebenen Infratest-Umfrage zufolge 72 Prozent der Befragten, durch eine Beteiligung Deutschlands an NATO-Militäraktionen gegen die Urheber der Terroranschläge in einen Krieg hinein-gezogen zu werden. Für eine solche Beteiligung votierte dennoch eine Mehrheit von 58 Prozent, wobei zwischen West- (63 Prozent) und Ostdeutschland (39 Prozent) erhebliche Unterschiede bestanden. Ausdrücklich gegen eine deutsche Beteiligung sprachen sich im Westen 32 Prozent der Befragten aus, im Osten 55 Prozent. 3

Alles auf Gleichschritt

Erich Kuby bezweifelt, daß mit dem 11. September "alles anders geworden" sei, und begründet seinen Zweifel mit dem vielfachen Schon-da-gewesen-Sein von Bombenterror und in Schutt und Asche gelegten Städten. "Auf welcher Welt", fragt auch Günter Gaus, "leben diese ahnungslosen jungen Reporter und gedankenlosen oder eingeschüchterten Politiker, die die Einmaligkeit einer Tragödie bezeugen wollen, der schon so viele im Wesenskern gleich geartete Tragödien vorangegangen waren und der so viele folgen werden? ... Was war, zum Beispiel, in Nagasaki?" Und weiter: "Meine Generation ist an vielen Orten Europas Teilhaber von Tragödien einstürzender Häuser gewesen. Wozu gehörten: verschüttete Männer, Frauen und Kinder - ganz überwiegend unschuldige Zivilisten; zerfetzte Menschen, brennende Menschen, irrsinnig gewordene Menschen, beißender Rauch und Feuersbrünste, von deren Glut man nicht glauben konnte, daß sie noch einmal gelöscht werden würde. Wir waren Teilhaber an schierem Entsetzen. Und im Laufe der Jahre wurden wir Zeitzeugen von niemals endenden Wiederholungen der Tragödien solcher Art anderwärts auf der Welt: in Hanoi beispielsweise statt in Coventry, Warschau oder meiner Heimatstadt; um von ganzen Landstrichen in Vietnam, Kambodscha, Laos nicht zu reden." 4

Es stimmt: Aus solcher Sicht ist der 11. September nicht die Zäsur, die so viele in ihm zu erkennen vermeinen. Aber er bleibt Zäsur, was das Zustandekommen dieser Tragödie betrifft, und vor allem: Er wird Zäsur durch das, was in seiner Folge bereits geschehen ist und weiter geschehen wird.

Zum Beispiel in der deutschen Politik. Da gibt es im sauerländischen Siegen den ›Fall Nolz‹: Der Gesamtschullehrer Bernhard Nolz wird suspendiert, weil er es gewagt hatte, auf einer Trauerkundgebung für die Opfer des 11. September Kritik an der Politik der USA zu äußern. In einem ausführlichen Beitrag dazu zitiert Autor Geert Platner auch aus der Schulamtsinformation des Staatlichen Schulamts Prignitz, also aus einer ganz anderen Gegend der Republik. Dort heißt es in der Ausgabe 06/2001 im Zusammenhang mit Stellungnahmen zum 11. September und seinen Folgen: "Es ist Ihre [der Lehrerinnen und Lehrer] Aufgabe, konsequent die Einschätzung der Landes- und Bundesregierung zu übermitteln. Die Freiheit der Lehrkraft geht keineswegs so weit, die eigene politische Einstellung in die Erziehungsarbeit einzubringen." Platner kommentiert treffend: "Nun verstehen wir die Botschaft des Beamtenrechts: Die ›volle Hingabe‹ gilt dem Bundes- und Landesherrn, die ›geforderte Zurückhaltung‹ den Grundrechten und dem Bildungsauftrag." 5

Wie aber sollen etwa Lehrerinnen und Lehrer selbstbewußt mit ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit umgehen, wenn auf der obersten Ebene der Politik - im Bundestag - auf eine für die Bundesrepublik präzedenzlose Weise Gleichschritt eingefordert wird? Die Dokumente der Bundestagssitzung vom 16. November 2001 vermitteln einen anschaulichen Eindruck davon, zu welch politischer Belanglosigkeit Diskussion und Widerspruch verkommen können, wenn erst einmal ein Klima geschaffen ist, das einem Ausnahmezustand - und damit einer Situation, in der unbedingter Gehorsam schon fast selbstverständlich wirkt - durchaus nahe kommt.

Wobei an diesem 16. November die Demokratie einen doppelten Schaden nahm, denn indem Bundeskanzler Gerhard Schröder die Abstimmung über den Regierungsantrag "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA" 6 mit der Vertrauensfrage verband, verwischte er das Bild der Haltung zum Krieg gleich zweifach: In der rot-grünen Regierungskoalition stimmten etliche Abgeordnete der Kriegsbeteiligung zu, obwohl ihr ›Ja‹ gar nicht dieser Frage, sondern der des Fortbestandes der Koalition galt, und CDU/CSU und FDP stimmten geschlossen mit ›Nein‹, obwohl sie mit übergroßer Mehrheit für die Kriegsbeteiligung sind. 7

Wie sollte unter solchen Bedingungen eine seriöse Debatte stattfinden? Da gibt zur Erläuterung ihres ›Ja‹ in der Abstimmung eine Gruppe von 48 Abgeordneten der SPD - unter ihnen so bekannte Protagonisten eines eigentlich unangepaßten, eigenständigen Denkens wie Hermann Scheer, Klaus Wiesehügel, Andrea Nahles und Detlev von Larcher - eine Erklärung 8 ab, in der die Bundesregierung "aufgefordert" wird, "auf das schnellstmögliche Ende des Bombardements und der Kampfhandlungen hinzuarbeiten und verstärkt humanitäre Hilfe zu leisten" 9 . Es fällt schwer, in dieser Erklärung mehr zu sehen als nur eine Beschwichtigung des eigenen Gewissens. Denn es ging bei diesem Antrag nun einmal mitnichten um humanitäre Hilfe, und es ging auch nicht um ein Ende der Kampfhandlungen, sondern es ging ganz und gar eindeutig um eine Beteiligung von 3.900 deutschen Soldaten an diesem Krieg - wobei dem gesamten Bundestag vorenthalten wurde (und dieser das mit Ausnahme der PDS auch unwidersprochen hinnahm), in welcher konkreten Weise, an welchem konkreten Ort und in welchem konkreten Zeitraum diese Beteiligung stattfinden soll.

Darüber verlautbarte auch am 22. Dezember nichts, als der Bundestag erneut über einen Einsatz deutscher Soldaten zu befinden hatte. Nunmehr stand zur Debatte der Antrag "Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan" 10 . Es wäre eine gute Gelegenheit für die 48 gewesen, doch einmal nachzufragen, in welcher Weise der Bundeskanzler denn in den Wochen seit dem 16. November "auf das schnellstmögliche Ende des Bombardements und der Kampfhandlungen" "hingearbeitet" hatte. Die Realität war doch: Trotz einer mittlerweile in Kabul installierten Übergangsregierung und trotz unaufhörlicher Meldungen darüber, daß die Macht der Taliban endgültig gebrochen sei, setzten die USA ihre Bombenangriffe fort und beteiligten sich mit Spezialtruppen an Kampfhandlungen am Boden. Und Realität war auch: Die USA waren - und sind bis heute - weit davon entfernt, von irgendwem aus dem Anti-Terror- Bündnis Ratschläge entgegen zu nehmen. Ein Nachfragen der 48 gab es jedoch nicht.

Damit wurden auch alle anderen Forderungen der 48 vom 16. November zum wertlosen Stück Papier. Zum Beispiel auch die, wonach "das humanitäre Kriegsvölkerrecht" der "entscheidende Maßstab" sein müsse und darum insbesondere dem Artikel 57 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention von 1949, der bei militärischen Angriffen die Vermeidung von zivilen Opfern zur Pflicht macht, Geltung zu verschaffen sei. 11 Auf welche Weise dies geschehen soll? Die 48 "erwarten von Bundeskanzler Schröder, daß er für die Dauer des militärischen Einsatzes seinen Einfluß dahingehend nutzt, die Amerikaner zum zielgenauen Einsatz der Bomben nur auf militärische Ziele und Einrichtungen terroristischer Netzwerke ausschließlich in Afghanistan zu bewegen" 12 .

Noch deutlicher drückt sich die Hilflosigkeit kritischen Denkens in der SPD in der Erklärung ihres Abgeordneten Edelbert Richter am 16. November aus: Er sei "der Meinung, daß die zivilen Opfer in der Region schon jetzt jedes hinnehmbare Maß bei weitem übersteigen, daß der Einsatz heimtückischer Waffen wie Streubomben nicht nur jetzt unschuldiges Leben grausam tötet, sondern auch in der Zukunft für lange Zeit unverantwortliche Risiken für die Zivilbevölkerung mit sich bringt, daß in keiner Weise erkennbar ist, wie die völkerrechtlich legitimen Ziele, die angestrebt werden, durch die gegenwärtigen Militärmaßnahmen erreicht werden können, daß mit dem Krieg wahrscheinlich nicht nur der Terror bekämpft werden soll, sondern zugleich geopolitische Interessen in der Region wahrgenommen werden, daß die Militärmaßnahmen immer mehr Menschen einem gewaltbereiten Islamismus zutreiben und die Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens der Regionen zunehmend erschweren, daß sie die Gefahr zukünftiger terroristischer Gewaltakte eher erhöhen als vermindern und daß sie nicht dazu beitragen, durch die Verhinderung von Armut und Ungerechtigkeit den Nährboden für Fanatismus und Gewaltbereitschaft auszutrocknen" 13 .

Das ist eine in der Kompaktheit der Argumente kaum zu überbietende und im Parlament sonst nur von der PDS vorgetragene Darstellung von Gründen, vehement gegen den Krieg und die deutsche Beteiligung an ihm zu stimmen. 14 Aber Richter stimmte trotz allem mit ›Ja‹. Und begründete das damit, daß er "der Bundesregierung [zutraut], gemeinsam mit den anderen Regierungen der Europäischen Union alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Regierung der USA von willkürlicher Hegemonialpolitik abzubringen und zur Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts zu bewegen" 15 .

Bundeswehr unkontrolliert ›im Einsatz‹

Auch bei der Abstimmung am 22. Dezember stimmte Edelbert Richter wie fast seine gesamte Fraktion wieder mit ›Ja‹. 16 Und das, obwohl - wie er gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Heinz Schmidt in einer neuerlichen Erklärung feststellte - "dem Parlament für seine Entscheidung wesentliche Informationsgrundlagen [fehlen]". Und zwar Informationen über "die tatsächliche militärische Lage und die strategischen Planungen der von den USA geführten Aktion ›Enduring Freedom‹", weiter über "die Kräfteverhältnisse der afghanischen Kriegsparteien" und schließlich über "die humanitäre Situation, das Ausmaß an zivilen Opfern und Zerstörungen der Infrastruktur" 17 .

Und auch ein weiterer wesentlicher Zusammenhang vermochte - obwohl deutlich benannt - am ›Ja‹ Richters und Schmidts nichts zu ändern: "Der deutsche Beitrag", stellten sie in ihrer Erklärung fest, "steht in dem Widerspruch, einerseits in ›uneingeschränkter Solidarität‹ an ›Enduring Freedom‹ als Konfliktpartei in Afghanistan beteiligt zu sein und gleichzeitig mit dem Ruf des unbeteiligten Neutralen in Kabul und Umgebung schlichtend und beruhigend einen Friedensprozess sichern zu sollen" 18 .

Dies ist in der Tat zu einem ›Markenzeichen‹ der Parlamentsdebatten um die Beteiligung der Bundeswehr an Einsätzen im Ausland geworden: Das Parlament nimmt seine Rechte auf Information und Kontrolle nur sehr eingeschränkt wahr. Selbst die einfachste der von der PDS am 22. Dezember gestellten Fragen - wo sich denn die am 16. November vom Bundestag zur Beteiligung an "Enduring Freedom" beschlossenen Bundeswehrkontingente derzeit befänden - wurde nicht beantwortet, und auf die Gefahr einer Vermischung der Aufgaben der am 16. November und am 22. Dezember beschlossenen Kontingente wurde gar nicht eingegangen. Der Mythos von der Notwendigkeit absoluter Geheimhaltung hat sich bereits so vieler Abgeordneter bemächtigt, daß sie bereit sind, dafür buchstäblich jeden Preis zu zahlen.

Dabei trafen Richter und Schmidt doch am 22. Dezember den Nagel auf den Kopf, wenn sie in ihrer Erklärung feststellten, daß sich offensichtlich "die bisherigen politischen, geheimdienstlichen, polizeilichen und diplomatischen Fehler, die es schon bei der Verfolgung Bin Ladins und seiner Helfer gab, fortsetzen" und "ignoriert [wird], daß der Charakter krimineller terroristischer Netze gerade nicht vorrangig in Form militärischer harter Ziele besteht, sondern in Form militärisch unangreifbarer Verbindungen" 19 . Trotzdem verhält sich die übergroße Mehrheit des Parlaments genau so, wie das zu ›richtiger‹ Kriegsbeteiligung gehört. Und entmachtet sich damit selbst.

Wobei es in allen Fraktionen Stimmen gibt, die vor diesem Kurs warnen - nur: Wie öffentlich ist das? Wieviel Medienaufmerksamkeit finden sie damit?

So erklärte der mit ›Nein‹ stimmende FDP-Abgeordnete Jürgen Koppelin, daß für ihn "auch nach dem Beschluß des UN-Sicherheitsrates die Aufgaben der Bundeswehr bei einem Einsatz in Afghanistan" sowie "die Zeitdauer" dieses Einsatzes "im Unklaren" blieben. Ebenso "unklar" sei, "welche Rolle die USA bei einem Einsatz der Bundeswehr übernehmen", und "ob die USA weitere Militärschläge in Afghanistan beabsichtigen", und schließlich sehe er "mit Sorge", "dass der Deutsche Bundestag im Unklaren gelassen wird, wer nach einem dreimonatigen Einsatz in Afghanistan das Kommando über den Einsatz übernimmt" 20 .

Ihre Stimmenthaltung am 22. Dezember begründeten die Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten Winfried Hermann, Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Monika Knoche zusammengefaßt mit Überlegungen zum Sinn des UN-Mandats überhaupt: "So sehr auch wir den Menschen in Afghanistan den Frieden wünschen, so bleiben doch erhebliche Bedenken am Zustandekommen wie auch am Friedenswert des Mandats selbst. ... Einer Truppenentsendung in ein hochriskantes Umfeld, in einen instabilen politischen Kontext, der zwischen Krieg und Frieden pendelt, mit einem teilweise unpräzisen und eher symbolischen Mandat, können wir nicht zustimmen." 21

Und auch Helmut Rauber von der CDU/CSU-Fraktion begründete seine Stimmenthaltung mit grundsätzlichen Zweifeln am Sinn dieses Mandats: "Die Warlords sind an einer Präsenz der UN, die ihre Kreise stört, nicht interessiert. Wir dürfen nicht übersehen, daß es die Nordallianz war, die dieses Land zwischen 1992 und 1996 ruinierte, und daß das dazu führte, daß die Taliban, die ›law and order‹ brachten, als Befreier begrüßt wurden. Jetzt sind wir dabei, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. ... Daß Deutschland seine Verpflichtungen im Kampf gegen den internationalen Terrorismus erbringen muß, ist unstrittig. Wo bei diesem Mandat dieser Beitrag aber konkret liegt, ist schwer zu erkennen." 22

Argumente über Argumente! Natürlich aus unterschiedlicher Position heraus entwickelt, natürlich unterschiedlich begründet - aber alle dazu verdammt, ins vollständig Marginale abzurutschen. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder im September verkündete "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA hat den Bundestag verändert. Entscheidungen von größter historischer Tragweite, wie sie der Einsatz der Bundeswehr im Ausland zweifellos darstellt, werden im Schnellverfahren ›durchgezogen‹. Es geht um die Zukunft des ganzen Landes - und doch ist niemand auf die Idee gekommen, ähnlich wie etwa in der Debatte zur Gentechnik, dem Bundestag einen ganzen Tag fraktionszwangsfreier Diskussion einzuräumen. So geschieht, was der schon zitierte FDP-Abgeordnete Jürgen Koppelin am 22. Dezember "mit innerer Betroffenheit" konstatierte: "daß Auslandseinsätze der Bundeswehr fast zu einer Routinenangelegenheit werden" 23 .

Friedensbewegung zerstreut und unentschlossen

Der Selbstentmächtigung des obersten Parlaments der Republik kann nur dann Einhalt geboten werden, wenn die Wählerinnen und Wähler selbst sich ihr widersetzen. Haben sie ein wirkliches Interesse daran, daß sich die Ablehnung des Krieges und der deutschen Beteiligung an ihm, wie sie nach wie vor von zwischen einem Drittel und der Hälfte der deutschen Bevölkerung vertreten wird, in den Entscheidungen des Deutschen Bundestages widerspiegelt? Oder unterliegen sie dem gleichen Sog, den der Bundeskanzler am 16. November durch die Verknüpfung der Entscheidung über die deutsche Kriegsbeteiligung mit der Vertrauensfrage geschaffen hat? Diese Verknüpfung war ja insofern ganz und gar konsequent, als der Kanzler damit deutlich gemacht hat, daß er und all seine übrige Politik eben nur mit diesem ›Ja‹ zur deutschen Kriegsbeteiligung zu haben sind. Ein ›Entweder-Oder‹ gibt es nicht. Das ›Ja‹ zur Kriegsbeteiligung ist für Gerhard Schröder Bestandteil des außenpolitischen Gesamtkurses, und die mit diesem ›Ja‹ verbundene Dominanz des Militärischen in der Außenpolitik, wie sie mit dem ›Ja‹ zur Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999 und dem ›Ja‹ zur Führungsrolle der Bundeswehr beim Truppeneinsatz in Mazedonien im Frühjahr 2001 schon allmählich ausgeprägt wurde, ist darum kein Zufall, sondern Programm.

Wie aber soll und kann sich solches Widersetzen organisieren? Zu den vielen ›klassischen‹ Hindernissen für außerparlamentarische Opposition wie strukturelle Schwäche, chronischer Finanzmangel und nur marginale Würdigung durch die dem ›Zeitgeist‹ anhängigen und ihn mitbestimmenden großen Medien kommen heute einige wesentliche inhaltliche hinzu.

Und die haben vor allem damit zu tun, daß der 11. September eben doch ein tiefe Zäsur darstellt - was sich auch und nicht zuletzt darin ausdrückt, daß er noch immer weitgehend unverarbeitet ist.

An diesem Zustand hat die Antwort ›Krieg‹, die die USA seit dem 7. Oktober 2001 praktizieren, natürlich mittlerweile einen großen eigenen Anteil. Denn dieser Krieg hat längst seine eigene Logik entwickelt. Es sind nun, obwohl doch zunächst als völlig ausgemacht schien, daß der Bedrohung durch den Terrorismus mit herkömmlichem Krieg nicht beizukommen sein würde, nicht nur alle für einen herkömmlichen Krieg typischen militärischen Instrumentarien wieder in Gang gesetzt worden, sondern es entwickeln sich auch in der Öffentlichkeit alle für einen herkömmlichen Krieg typischen Bilder und Verhaltensmuster. Krieg als scheinbar alternativlose Normalität und Alltag - damit wird die Suche nach alternativen Antworten, für die eine gründliche Verarbeitung des Geschehenen unabdingbare Voraussetzung ist, immer schwieriger.

Das spürt die PDS, die als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien sowohl am 16. November gegen die deutsche Beteiligung am Krieg wie auch am 22. Dezember gegen die deutsche Beteiligung an der UN-mandatierten Schutztruppe stimmte und dies auf Grundsätze wie "Krieg ist die falsche Antwort auf den Terror" und "Der Kampf gegen den Terrorismus ist gewinnbar, ein Krieg jedoch nie" stützte, besonders stark.

Sie spürt zum einen, wie ihre Anti-Kriegs-Haltung in den Kontext ihres Platzes in der deutschen Vergangenheit und Gegenwart insgesamt gestellt wird. Zweifellos: Das Umfrage-Hoch, in dem sie sich nach einem kurzen tiefen Absturz unmittelbar nach dem 11. September heute ziemlich stabil befindet - die aktuellen ›Sonntagsfrage‹- Ergebnisse weisen bundesweit beständig zwischen sechs und acht Prozent aus -, ist wesentlich durch diese Anti-Kriegs-Haltung getragen, und auch das die eigenen Erwartungen deutlich übertreffende Abschneiden bei den Abgeordnetenhauswahlen am 21. Oktober in Berlin und den Bürgermeisterwahlen im Dezember 2001 in Brandenburg hat viel mit dieser Haltung zu tun. Es ist hier wohl tatsächlich eine Brücke gebaut worden sowohl zur eingangs erwähnten Anti-Kriegs-Haltung derjenigen, die Krieg aus eigener Erfahrung heraus ablehnen, wie auch zum Friedenswunsch und -engagement der jüngeren Generation. Aber auch die sechs bis acht Prozent sind nur ein kleiner Teil derer, die sich insgesamt gegen den Krieg wenden, und natürlich muß sie sich darum die Frage stellen: Was hindert die anderen an Zustimmung zur PDS?

Und dabei kommt sie neben vielem anderen natürlich auch auf die ihr immer wieder gestellte Frage, welche eigenen Konzepte zur Friedenssicherung sie denn anzubieten habe.

Die dazu bisher angestellten Überlegungen reichen ganz bestimmt noch nicht aus - aber sie sind viel umfangreicher und aussagekräftiger, als im allgemeinen von den Medien kommuniziert wird. Es hat sich - und das drückt sich im Medienbild sehr eindeutig aus - trotz allgemeiner Verunsicherung hinsichtlich des im Kampf gegen den Terrorismus Notwendigen im Zuge der "uneingeschränkten Solidarität" insgesamt eine Stimmung verfestigt, in der das von den USA praktizierte Handeln automatisch positiv im Sinne von ›Die tun wenigstens etwas‹ interpretiert wird, und wer dieses Handeln - eben den Krieg - für falsch hält und sich folgerichtig an ihm nicht beteiligen, sondern anders handeln will, wird rasch mit dem Verdikt ›Die wollen nichts tun‹ belegt. Aus dieser Ecke heraus zu kommen, ist für die PDS wie auch für alle außerhalb des Parlaments aktiven Anti-Kriegs- Kräfte schwierige Aufgabe.

Aber noch einmal: Das heißt überhaupt nicht, daß bisher so gar nichts an Vorschlägen vorläge. Im Antrag der PDS vom 15. November 2001 werden sechs zum Krieg alternative Handlungsfelder aufgemacht und durch jeweils vier bis sechs Detailvorschläge untersetzt. Diese Handlungsfelder lauten:

Erstens den Kampf gegen den internationalen Terrorismus mit zivilen, nichtkriegerischen Mitteln zu führen. Das heißt unter anderem: sofortige Einstellung des Krieges; bei den Anstrengungen zur Bildung einer neuen Regierung Unterstützung der demokratischen Opposition inner- und außerhalb Afghanistans; mit dieser Regierung gemeinsam Entwicklung von Vereinbarungen zur Unterbindung des Drogen- und Waffenhandels und zur wirksamen Bekämpfung der Logistik des Terrors sowie zum umfassenden Wiederaufbau Afghanistans; politische Bearbeitung des Afghanistan-Konflikts unter direkter Verantwortung der UNO; Herbeiführung einer regionalen Friedenskonferenz; Verhinderung einer Ausweitung des Krieges auf andere Staaten.

Zweitens die rechtlichen Grundlagen zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu stärken. Das heißt unter anderem: Verwirklichung der bereits zwölf in Kraft befindlichen Übereinkommen zum Kampf gegen den Terrorismus und des Bio- und Chemiewaffenabkommens; Erarbeitung einer rechtsverbindlichen Definition des internationalen Terrorismus; Ratifizierung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs durch die Staaten, die das bisher noch nicht getan haben - insbesondere die USA, China und Indien -; Schaffung eines internationalen Ad-hoc-Strafgerichtshofs für die Verantwortlichen des 11. September.

Drittens Beiträge zur Stärkung, zur Reformierung und zum Ausbau der Vereinten Nationen zu leisten, damit diese zum zentralen Instrument der Bekämpfung des internationalen Terrorismus werden und auf längere Sicht die weltweite Dominanz eines Staates beziehungsweise einer kleinen Gruppe von Industriestaaten eingeschränkt werden kann.

Viertens neue Abrüstungsinitiativen zu fördern und sich für eine Entmilitarisierung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen, für eine Politik der friedlichen Krisenvorbeugung einzusetzen.

Fünftens durch Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit, aktive Menschenrechtspolitik und intensivierte Armutsbekämpfung krisenpräventiv und konfliktlösend zu wirken, eigenständige Entwicklung zu fördern und damit dem internationalen Terrorismus den Nährboden entziehen.

Sechstens besonderes Gewicht auf die Lösung des Nahost-Konflikts zu legen, weil dieser permanente Krisenherd für die Reproduktion und Verankerung des internationalen Terrorismus eine entscheidende Rolle spielt. 24

Mit all diesen Vorschlägen befindet sich die PDS nicht so sehr in parlamentarischer Isolierung, wie meist gemutmaßt wird. In seiner bereits weiter oben zitierten Erklärung vom 22. Dezember stellt zum Beispiel der CDU-Abgeordnete Helmut Rauber fest: "Es paßt nicht zusammen, wenn der Entwicklungshilfeetat, der eigentlich steigen müßte, um rund 100 Millionen Euro gekürzt wird und im nächsten Jahr nominell und prozentual unter dem liegt, was die Regierung Kohl ausgegeben hat. ... Der militärische Beitrag kostet die Bundesregierung rund 700 Millionen DM, was fast 10 Prozent des Entwicklungshilfeetats ausmacht. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis." 25 Für Jürgen Koppelin von der FDP stellt sich mit Blick auf die Dominanz des Westens in der UN-mandatierten Sicherheitstruppe die Frage, "warum sich andere Staaten wie Indonesien, Thailand oder Ägypten nicht an diesem Einsatz beteiligen oder warum sie nicht dazu aufgefordert worden sind" 26 . Und Uwe Jens von der SPD-Fraktion begründete seine Stimmenthaltung am 22. Dezember unter anderem damit, daß "auch diese Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ... nicht nachhaltig durch die Idee des Multilateralismus geprägt" sei. "Der Extraweg der US-Amerikaner", erklärte er weiter, "die in Krisenfällen das Oberkommando behalten, zeigt sich in der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrages, in der Verweigerung der Zustimmung zur Biowaffen-Konvention, in der Ablehnung von UNO-Beobachtern in Palästina und unter anderem in der bisherigen Nichtunterzeichnung eines Vertrages über die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes. Meines Erachtens müssen wir jetzt die Weichen stellen für eine neue Weltordnung, die von der Gleichberechtigung aller Staaten ausgeht, unabhängig von ihrer Größe und dem Entwicklungsstand." 27

Genau das ist die Frage: Jetzt - und nicht irgendwann - müssen die Weichen gestellt werden. Die USA stellen sie nachdrücklich auf ihre Weise, und mit jedem ihrer dabei unternommenen Schritte wird ein Gegensteuern schwieriger. Zumal die Kräfte einer solchen Gegensteuerung bisher weder in Deutschland noch in Europa zusammenfinden.

Nun sieht sich die PDS in ihren Anstrengungen um ein Zusammenwirken mit anderen auch immer wieder vor die Frage gestellt, ob sie denn ihre Vorschläge auch wirklich mit dem notwendigen Realitätsbezug entwickelt habe oder nicht einfach nur einem ›antiamerikanischen Reflex‹ folge, und gewiß bleibt für die Beantwortung dieser Frage noch manches zu tun. Aber bereits Geleistetes darf auch nicht ausgeblendet werden. Beiträge wie der des seit vielen Jahren zum Beraterstab der PDS-Spitze zählenden Politikanalytikers Thomas Falkner Einen neuartigen Krieg politisch und zivilisiert gewinnen, erschienen im Novemberheft 2001 in der PDS-Mitgliederzeitschrift Disput 28 , vermitteln einen sehr aussagekräftigen Eindruck vom intensiven Ringen um bessere und auch mehrheitsfähige Antworten, und sie machen zugleich deutlich, daß dabei durchaus unterschiedliche Positionen aufeinandertreffen. Nicht zufällig bringt sich Falkner schon mit der Überschrift seines Beitrages in Widerspruch zum in der PDS oft wiederholten Grundsatz "Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnen werden, der Krieg nie", und auch im Text macht er Denkfelder auf, auf denen ganz zweifellos weitere Arbeit zu leisten ist. Zum Beispiel mit der Formulierung: "Was am 11. September geschehen ist, ist einer kriegerischen Handlung, ist kriegerischen Terrorangriffen ähnlicher als dem Terroranschlag auf das World Trade Center von Anfang der 90er Jahre oder jeder x-bliebigen Flugzeugentführung. ... Theoretisch mögen Kriege per definitionem das Verhalten von Staaten sein - aber hier stellt das Leben andere Fragen." Am Ende seines Aufsatzes stellt Falkner fest: "Dieser Krieg" - den die USA in Afghanistan führen und auf andere Länder auszudehnen vorhaben - "ist keine Antwort, er gehört auf der Stelle und dauerhaft beendet. Zurück zum Primat der Politik - das ist auch in diesem Kontext die richtige Antwort!" 29 Damit unterstützt er das Abstimmungsverhalten der PDS-Fraktion am 16. November und am 22. Dezember und leistet zugleich ein Plädoyer für fortgesetzte Gedankenarbeit, für gründliche Prüfung der Umstände und gegen das Sich-Einrichten in ›ewigen Wahrheiten‹.

Es ist an der Zeit, daß diejenigen, die nach einer Alternative zum Krieg suchen, ihre offensichtlich existierenden Kommunikationshemmungen überwinden. Im Parlament und außerhalb. Der SPD-Abgeordnete Uwe Jens ist eben nicht allein mit seiner Auffassung: "Der Beginn des 21. Jahrhunderts kann Angst bereiten. ... Nach allem, was bisher getan worden ist, ist die Ausweitung des Krieges auf andere Länder, insbesondere auf Somalia und/oder den Irak ... nicht unwahrscheinlich. Das Erste, was in diesen Zeiten schnell zerstört wird, ist das Bemühen um Wahrheit. Eine Ausweitung der Terrorismusbekämpfung mit militärischen Mitteln auf andere muslimische Staaten würde die weltweite Unsicherheit, die Gefahren eines Weltbrandes deutlich steigern." 30 Und es ist natürlich höchst bedenkenswert, wenn Gerald Häfner von Bündnis 90/Die Grünen am 16. November trotz Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung in einer Erklärung formuliert: "Deutschland gehört wie kaum ein anderes Land zu den glaubwürdigen Akteuren präventiven Krisenmanagements, ziviler Konfliktbearbeitung und friedlicher, demokratischer Veränderungen auf dem Planeten. Diese Kernkompetenz im ›Kampf gegen den Terrorismus‹ anzubieten - zum Beispiel in Form eines festen, verbindlich organisierten Dialogs zwischen Christentum und Islam -, wäre ein großartiger und unverzichtbarer Beitrag gewesen, den die Deutschen in diese ›Allianz gegen den Terror‹ hätten einbringen können." 31

Krieg ist wieder die Hauptsorge der Menschen

"Die Terroranschläge in den USA haben Krieg und Unruhen mit religiösem Hintergrund ganz nach oben auf die Sorgen-Liste der Deutschen getrieben. 62 Prozent der Bundesbürger sehen darin die größte Gefährdung der Zukunft", schreibt die Berliner Morgenpost am 29. Dezember 2001 unter Berufung auf eine Emnid-Umfrage. Das Wahljahr 2002 wird zeigen, wie ernst die Parteien diese Hauptsorge der Menschen nehmen.

Diejenigen, die nach Alternativen zum Krieg suchen, müssen der Versuchung widerstehen, vor den mit dem Krieg bereits geschaffenen neuen Bedingungen zu kapitulieren. Sie müssen zweierlei leisten: Sich der entstandenen Situation nicht verweigern und zugleich die Kraft haben, mit ihren Konzepten und Vorschlägen immer wieder an den Ausgangspunkt der Krise - zum 11. September also - zurück zu kehren. Denn Erich Kuby hat recht: "Einen Beweis, daß dort" - gemeint ist: bei den Taliban in Afghanistan - "der 11. 9. 2001 ausgebrütet worden ist, gibt es nicht." 32

Wolfram Adolphi - Jg. 1951; Dr. sc., Diplom-Staatswissenschaftler, veröffentlicht seit 1976 zu Themen der internationalen Beziehungen (China-Politik Frankreichs und der USA in den siebziger Jahren, Entwicklungen in der asiatisch-pazifischen Region, deutsch-chinesische Beziehungen im Zweiten Weltkrieg), arbeitet seit 1992 in der Redaktion von "UTOPIE kreativ" mit und publizierte Arbeiten insbesondere zur Entwicklung der PDS, ist seit 1999 als Mitarbeiter in der PDS-Bundestagsfraktion tätig.

1 Freitag, Nr. 51/2001, vom 14. Dezember, S. 4.

2 Ebenda.

3 SPIEGEL ONLINE, 22. September 2001.

4 Freitag, Nr. 47/2001, vom 16. November, S. 1.

5 Freitag, Nr. 51/2001, vom 14. Dezember, S. 3.

6 Der vollständige Titel des Antrags lautet "Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrages sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen" und trägt die Bundestags-Drucksachen-Nr. 14/7296 beziehungsweise 14/7447.

7 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lautete: Abgegebene Stimmen 662, davon Ja: 336, Nein: 326. Die Nein-Stimmen setzten sich zusammen aus: PDS, CDU/CSU und FDP, dazu die extra wegen dieser Abstimmung aus der SPD-Fraktion ausgeschiedene Christa Lörcher und die vier Bündnis 90/Die Grünen-Abgeordneten Annelie Buntenbach, Winfried Hermann, Christian Simmert und Hans-Christian Ströbele, die einer ›Nein‹-Gruppe von ursprünglich acht Abgeordneten zugehörten, deren andere vier aber in gegenseitiger Abstimmung im Interesse des Koalitionserhalts am Ende mit ›Ja‹ stimmten.

8 Es handelt sich hier wie auch bei den im folgenden zitierten Erklärungen von Bundestagsabgeordneten um eine schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages.

9 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202.

10 Der vollständige Titel des Antrags lautet: "Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan auf der Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1383 (2001) und 1378 (2991) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen" und trägt die Bundestags- Drucksachen-Nr. 14/7930.

11 Vgl. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202. In der Erklärung werden die Festlegungen von Artikel 57 des Zusatzprotokolls zur Genfer Konvention von 1949 noch einmal dargestellt: "Art. 57 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention von 1949 besagt: Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, daß die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind. Er hat von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, daß es auch Verluste unter der Zivilbevölkerung oder zur Beschädigung ziviler Objekte kommt, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten oder unmittelbaren militärischen Vorteil stehen."

12 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202.

13 Ebenda.

14 Die Fraktion der PDS brachte in die Plenardebatte am 16. November 2001 mit Datum vom 15. November einen eigenen Entschließungsantrag mit dem Titel "Den internationalen Terrorismus wirksam bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden" ein, der die Bundestags- Drucksachen-Nr. 14/7500 trägt. In dem elf Punkte umfassenden analytischen Teil des Antrages heißt es unter anderem: "Die Zivilbevölkerung wird immer wieder Opfer der eingesetzten Waffen, darunter auch Streubomben. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht. ... Im Zeitalter globaler Information und Kommunikation werden der Weltöffentlichkeit entscheidende Informationen und Wissen vorenthalten. Das betrifft sowohl die Beweislage für die Tatbeteiligung Usama bin Ladins, Al Quaidas und der Taliban, die tatsächliche Lage in Afghanistan, das aktuelle Kriegsgeschehen, die Ergebnisse der Diplomatie als auch die Planungen im weiteren Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus. ... Es droht eine Ausweitung der Kriegshandlungen auf weitere Länder und damit eine Verschärfung der Konfrontation sowie eine unüberschaubare und unkontrollierbare Eskalation, die eine Destabilisierung weit über die islamische Welt hinaus zur Folge haben könnte."

15 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202.

16 Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung lautete diesmal: Abgegebene Stimmen 581, davon Ja: 538, Nein: 35, Enthaltung: 8. Die Nein-Stimmen waren die der PDS-Fraktion ohne Manfred Müller (Enthaltung), Gudrun Roos (SPD), Wolf Bauer, Wolfgang Börnsen (beide CDU/CSU), Jürgen Koppelin (FDP) und Christa Lörcher (fraktionslos). Der Stimme enthielten sich außer Manfred Müller auch Uwe Jens, René Röspel (beide SPD), Helmut Rauber (CDU/CSU) sowie Annelie Buntenbach, Winfried Hermann, Monika Knoche und Steffi Lemke (alle Bündnis 90/Die Grünen).

17 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210.

18 Ebenda.

19 Ebenda. Im weiteren erklärten Edelbert Richter und Heinz Schmidt auch: "Unsere Zweifel an der Sinnhaftigkeit, Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit des bisherigen Verlaufs der amerikanischen Aktion sind auf der Grundlage der allgemein angenommenen Informationen eher gestiegen. Die Bombardierung eines ganzen Landes mit Tausenden ziviler Opfer zur Bekämpfung eines terroristischen Netzwerkes und der sie stützenden politischen Struktur war weder angemessen noch wirksam im Sinne der Belangung der Hauptverantwortlichen und der Vermeidung der Gefahr weiterer Anschläge."

20 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210.

21 Ebenda. Im weiteren erklärten Winfried Hermann, Annelie Buntenbach, Steffi Lemke und Monika Knoche auch: "Voraussetzung des Mandats ist der Krieg der USA zusammen mit Großbritannien unter dem Titel ›Enduring Freedom‹ gegen den Internationalen Terrorismus, vor allem das al-Qaida-Netzwerk Usama bin Ladins, das Talibanregime sowie das Land Afghanistan. Dabei wurde die Tötung vieler Menschen, auch unschuldiger Opfer billigend in Kauf genommen. ... Mit aktiver Unterstützung durch militärische Kräfte in Afghanistan, vor allem mit Hilfe der in demokratischer und menschenrechtlicher Hinsicht fragwürdigen Nordallianz, wurde das Land zurückerobert. Usama bin Ladin, der mutmaßliche Hauptverantwortliche terroristischer Anschläge, ist bisher allerdings nicht gefunden worden. Das anfängliche Kriegsziel ist damit verfehlt. Ebensowenig kann mit den groben Militärschlägen in Afghanistan das Problem des internationalen Terrorismus gelöst werden. Die Gefahr ist groß, daß Terroristen nur vertrieben und unfreiwillig neue Sympathisanten gefördert wurden. ... Während die Sicherheitsmission ihre Arbeit beginnt, führen die USA weiter Krieg und gefährden damit das Ziel dieser Mission, weitere Menschenleben und den Friedensprozess."

22 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210.

23 Ebenda.

24 Vgl. Antrag der Fraktion der PDS "Den internationalen Terrorismus wirksam bekämpfen - den Krieg in Afghanistan beenden" vom 15.11.2001, a. a. O.

25 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210. Rauber erklärte des weiteren auch: "Was aber eingefordert werden muss, sind Mindestbedingungen, die sich an den vitalen Interessen Deutschlands ebenso zu orientieren haben wie an einer klaren politischen Konzeption einschließlich einer Exit-Strategie mit einem zeitlichen und finanziellen Rahmen. Wer sich aus Gründen einer Friedensschaffung und Friedenssicherung in Afghanistan engagiert, der muss schon schlüssig die Frage beantworten, warum dann nicht im Nahen Osten, in Kaschmir, in Indonesien, in Angola, in Ruanda, im Sudan, im Kongo, in Sri Lanka usw."

26 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210.

27 Ebenda.

28 Vgl. Disput, Heft 11/2001, S. 13-15.

29 Ebenda.

30 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/210.

31 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 14/202.

32 Freitag, Nr. 51/2001, vom 14. Dezember, S. 4.