Die "Weiße Rose" - studentischer Widerstand

Als die Geschwister Scholl im Februar 1943 bei ihrer antifaschistischen Flugblattaktion in München verhaftet und bereits wenige Tage später verurteilt und ermordet wurden, waren studentische Widerstandsaktionen in Deutschland extrem ungewöhnlich. Ulrich Schneider beschreibt den Kontext, in dem die Aktionen der "Weißen Rose" stattfanden und beleuchtet die gesellschaftliche Orientierung von Studierenden im faschistischen Deutschland.

In der deutschen Erinnerungskultur ist die studentische Widerstandsgruppe "Weiße Rose" fest etabliert. Schon die Alliierten trugen ab Sommer 1943 mit dem Abwurf von Flugblättern der Gruppe - insbesondere über Universitätsstädten - dazu bei, dass deren Botschaft Ein deutsches Flugblatt - Manifest der Münchner Studenten in der deutschen Bevölkerung bekannt war.1

Nach der Befreiung fanden die Erinnerungen von Inge Aicher-Scholl an das Wirken dieser Gruppe eine zehntausendfache Verbreitung als Buch. Weitere Veröffentlichungen haben die Geschichte dieser Gruppe intensiv ausgeleuchtet.

Zwar tat sich die Ludwig-Maximilians Universität München, der Ort des Widerstandes, mit der Erinnerung viele Jahrzehnte schwer. Eine Namensgebung wurde verweigert, erst 1997 wurde im Lichthof der Universität die "DenkStätte Weiße Rose" eingeweiht und erst nach 60 Jahren Abstand verweist eine Büste von Sophie Scholl in den Innenräumen auf die Widerstandsgruppe.

Gesellschaftlich war die Wahrnehmung der "Weißen Rose" jedoch breiter. Die Bundespost widmete auf dem Gedenkbriefmarkenblock zum 20. Juli 1944 Sophie Scholl 1964 eine eigene Marke, obwohl sie zum historischen Ereignis keinen Bezug hatte. In der Ausstellung der VVN-BdA "Antifaschistischer Widerstand in Deutschland" anlässlich der Olympischen Spiele in München 1972 wurde das Wirken der "Weißen Rose" ausführlich gewürdigt. Seit 1980 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Bayern gemeinsam mit der Landeshauptstadt München einen mit 10.000 Euro dotierten Geschwister-Scholl-Preis. Die Geschichte wurde mehrfach verfilmt, wobei der Film von Michael Verhoeven von 1982 eine gewisse Ikonisierung des Geschichtsbildes bewirkt hat. In vielen Städten findet man Straßennamen zu Ehren der Mitglieder der Gruppe. Alexander Schmorell wurde noch in diesem Jahrhundert von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

Selbst im rechten Milieu ist diese Erinnerung etabliert. Die Partei "Die Republikaner" rekurrierte darauf, dass mit Hans Hirzel ein früheres Mitglied dieser Gruppe stellvertretender Bundesvorsitzender ihrer Partei sei, weshalb sie doch nicht neofaschistisch genannt werden könne. Mediale Berühmtheit erlangte auch der peinliche Auftritt einer Corona-Querdenkerin in Hannover, die sich von einer Bühne als "Wiederkehr" von Sophie Scholl glaubte aufspielen zu können.

Diese Liste macht deutlich, welchen Stellenwert die Erinnerung an die "Weiße Rose" nicht nur im offiziellen Gedenken, sondern auch im Alltagsbewusstsein besitzt.

Rechte Studierendenschaft

Diese positive Wahrnehmung steht im Widerspruch zu der tatsächlichen Haltung der akademischen Jugend gegenüber der Weimarer Zeit und dem NS-Regime. Es ist unübersehbar, dass die überwiegende Mehrheit der Studierenden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts politisch weit rechts stand. Ihre politische Prägung hatte sie zumeist als Frontgeneration im Ersten Weltkrieg erhalten, was jedoch - anders als bei Soldaten aus dem Arbeitermilieu - nicht zu einer antimilitaristischen Prägung geführt hat. Unter den Studierenden war die reaktionäre "Dolchstoß"-Legende, dass im November 1918 das "siegreiche deutsche Heer" durch die Heimatfront verraten worden sei, weit verbreitet. Politisch prägend wirkte sich die Einbindung einer großen Zahl von Studenten in die an den Hochschulen dominanten Burschenschaften und Korporationen aus. Diese vertraten nicht nur rassistisches und antisemitisches Gedankengut, sondern in ihren Reihen dominierten Anhänger einer "Elite"-Konzeption der "konservativen Revolution", die die Weimarer Republik und Demokratie ganz offen ablehnten. Betrachtet man die "Deutsche Studentenschaft" (DSt), die 1919 gegründete Dachorganisation der Allgemeinen Studentenausschüsse aller deutschen Hochschulen einschließlich Danzigs, Österreichs sowie der ehemals deutschen Hochschulen in der Tschechoslowakei - was ja bereits eine politische Botschaft war - so war sie von völkischen, antisemitischen und republikfeindlichen Kräften geprägt. Mit der Gründung des "Deutschen Hochschulrings" als Sammlungsbewegung der völkischen Rechten fand das "Arierprinzip" unter den "reichsdeutschen" Studentenschaften immer mehr Zustimmung. So nahm die DSt nur arisch organisierte Gruppen an auslandsdeutschen Hochschulen als Mitglieder auf. Die Offenheit gegenüber den völkischen und faschistischen Bewegungen ging so weit, dass man seit 1931 von einer Dominanz des NS-Studentenbundes (NSDStB) sprechen kann. Auf dem Königsberger Studententag 1932 traten viele Delegierte bereits in den Uniformen der verschiedenen NSDAP-Gliederungen auf.

Republikanische, linke und jüdische Gruppen initiierten 1928 als Alternative die Gründung eines "Deutschen Studenten-Verbandes" (D.St.V.). Dieser war jedoch nur an wenigen Hochschulen vertreten.2

Die praktische Konsequenz dieser politischen Haltung konnte man 1933 nach der Machtübertragung an die Nazis an vielen Universitäten beobachten. Fackelzüge und Aufmärsche aus Anlass der Ernennung der Hitler-Hugenberg-Papen-Regierung fanden nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen Universitätsstädten statt. Dort beteiligten sich nicht nur die NSDStB-Studenten und die studentische SA, sondern auch Verbindungen und Korporationen in ihrer traditionellen Kluft.3

Gab es schon 1930/31 an der Universität Heidelberg durch völkische und Nazi-Studenten die sogenannten "Gumbel-Krawalle" gegen den Pazifisten Emil Gumbel, dem anschließend die Lehrberechtigung entzogen wurde, folgten in den ersten Monaten der NS-Herrschaft zahlreiche weitere studentische Aktionen gegen linke oder jüdische Professoren mit dem Ziel, sie aus ihren Ämtern zu verdrängen. Zu Beginn des Sommersemesters 1933 initiierte nicht das Propagandaministerium, sondern die DSt eine Kampagne "wider den undeutschen Geist", in deren Rahmen am 13. April 1933 zwölf Thesen an den Universitäten ausgehängt wurden. Darin hieß es: "Unser gefährlichster Widersacher ist der Jude und der, der ihm hörig ist."4

Im nächsten Schritt bereitete man für den 10. Mai 1933 in Berlin und allen größeren Universitätsstädten eine öffentliche Bücherverbrennung von "undeutscher Literatur" vor. Bekannt sind die "Feuersprüche", mit denen marxistische und andere linke Bücher, sowie Werke jüdischer Autorinnen und Autoren auf die Scheiterhaufen geworfen wurden. Bei diesen Aktionen nahmen nicht nur NS-Studierende teil, sondern, wie die Berichte aus den verschiedenen Universitätsstädten zeigen, auch Hochschullehrer in Talaren, Korporierte und Verbindungsstudenten in ihrem "Wichs". So wurden daraus gesellschaftliche Ereignisse an den Hochschulen. Dass diese Aktion nachfolgend in verschiedenen Gaustädten des Reiches durch den "Kampfbund für deutsche Kultur" nachvollzogen wurde, macht deutlich, in welchem Maße Angehörige der akademischen Intelligenz der Weimarer Republik und ihren Idealen distanziert gegenüberstanden. Die anschließend von der DSt verbreiteten "schwarzen Listen" wurden weitgehend von den öffentlichen Bibliotheken und den Hochschulen umgesetzt.5

Nazi-Studierende gehörten auch zu den treibenden Kräften bei der Umsetzung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933. Sie wurden nicht nur mit öffentlichen Aktionen gegen die wenigen linken bzw. linksliberalen Hochschullehrer an deutschen Hochschulen oder jüdische Dozenten aktiv, ihre Kampagnen richteten sich auch gegen Beschäftigte im akademischen Mittelbau. Diese Aktionen hatten weniger ideologischen Charakter, sondern dienten mittelbar der eigenen Karrieresicherung, indem Arbeitsbereiche an den Universitäten von möglichen Konkurrenten freigeräumt wurden.

Kaum studentische Resistenz

Unter den Studierenden an den Universitäten fand sich nur wenig Widerstandspotenzial. Zwar gab es an manchen Hochschulen "rote Studentengruppen", teilweise auch SPD-orientierte Studentinnen und Studenten. Sie waren aber wie die gesamte Opposition der politischen Verfolgung ausgesetzt. Oftmals wurden antifaschistische Studierende von den Hochschulen relegiert oder jungen Menschen wurde die Zulassung verweigert. Bis Anfang 1934 wurden reichsweit insgesamt 547 Studierende vom Studium ausgeschlossen, davon allein 66 von der Frankfurter Universität. Dies war nach Berlin die höchste Zahl an Relegationen.6

Widerstand entwickelte sich oft erst in dem Moment, wenn Grundüberzeugungen, die sich nicht per se gegen die faschistische Herrschaft richteten, berührt waren. In Marburg bildeten z.B. Studierende der Theologischen Fakultät eine Gruppe der Bekennenden Kirche, die sich der NS-Kirchenpolitik widersetzte, indem sie in die kirchliche Debatte um den Diensteid der Pfarrer auf Adolf Hitler mit einer eigenen - ablehnenden - Stellungnahme eingriff. Als im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges die Verpflichtung der evangelischen Pfarrerschaft auf den faschistischen Staat geplant war, hatte Karl Barth in seinem Schweizer Exil klar gegen diese Pläne theologisch Stellung bezogen. Basierend auf dieser Erklärung formulierten Marburger BK-Studenten einen Appell zur Verweigerung des Diensteids an kurhessische Pfarrer, den sie vervielfältigten und heimlich per Brief verbreiteten.Als dies der Gestapo bekannt wurde, wurden mehrere von ihnen verhaftet und vom weiteren Studium ausgeschlossen.7

Ein Resistenzpotenzial an deutschen Hochschulen entwickelte sich Ende der 1930er Jahre aufgrund der NS-Repressalien weniger aus linker - der Arbeiterbewegung verbundenen - Richtung, sondern eher aus der bündischen Jugend. Eigentlich war die bündische Jugend - hervorgegangen aus der christlich orientierten Wandervogel-Bewegung und den Pfadfindern - in ihrer Mehrheit in der Weimarer Zeit völkisch-nationalistisch orientiert. Trotz der zwangsweisen Eingliederung in die Hitler-Jugend gab es Anpassungsbereitschaft an die NS-Herrschaft. Nur wenige Führer der bündischen Jugend gingen 1933 ins Exil. Aber in Teilen des Deutschen Reiches setzten bündische Gruppierungen ihre Arbeit im Geheimen fort. Sie gingen - ohne Genehmigung - weiter auf Fahrt und führten Lager durch. Als das NS-Regime darauf mit Repressalien reagierte, führte dies zu einer ungeplanten Politisierung der bündischen Jugend. Im Rheinland entwickelten sich aus diesen "wilden" Jugendgruppen die "Edelweißpiraten".

Geprägt durch das Milieu der bündischen Jugend, zudem aufgewachsen mit einer christlich-humanistischen Orientierung, entwickelten die Geschwister Hans und Sophie Scholl ihre ablehnende Haltung zum NS-Regime. An der Universität München sammelten sie einen Freundeskreis, dem unter anderen Alexander Schmorell, Christoph Probst, später Willi Graf und Universitätsprofessor Kurt Huber angehörten. In vertiefenden Gesprächen entwickelten sie ihre Haltung, wobei erst die Realität des faschistischen Krieges sie zu ihrem tatsächlichen Widerstand brachte.

Als entscheidendes Instrument der politischen Aufklärung sahen sie Flugschriften an, die sie seit Sommer 1942 erstellten. Die ersten vier Flugblätter wurden anonym mit der Post an Intellektuelle im Raum München verschickt.

So reagierten sie in dem ersten Flugblatt auf die alliierten Luftangriffe gegen deutsche Städte, die sie aber nicht als "alliierten Luftterror" bezeichneten, sondern dazu aufriefen, das Weiterlaufen der Kriegsmaschine zu verhindern. Interessant ist, dass sie im zweiten Flugblatt die antisemitischen Massenmorde als das "fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen" verurteilten, während ansonsten dieses Thema in der deutschen Öffentlichkeit tabuisiert war. In den folgenden Flugblättern setzten sie sich für aktive Sabotage der Kriegs- und Rüstungsproduktion ein, und erklärten in aller Deutlichkeit, dass der Krieg nur zu verlängern, aber nicht zu gewinnen sei. Beeindruckend ist die Klarheit im sechsten und letzten Flugblatt, in dem es heißt: "Der Tag der Abrechnung ist gekommen, der Abrechnung unserer deutschen Jugend mit der verabscheuungswürdigsten Tyrannis, die unser Volk je erduldet hat. Im Namen der ganzen deutschen Jugend fordern wir von dem Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut des Deutschen zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weise betrogen hat."8

Wirklichkeit des Krieges

Diese Deutlichkeit war auch ein Ergebnis der realen Kriegserfahrungen der Gruppe. Trotz ihres Studiums mussten Graf, Scholl und Schmorell vom 23. Juli bis 30. Oktober 1942 als Sanitäter an die Ostfront, wo sie die Wirklichkeit des Krieges kennen lernten. Nach ihrer Rückkehr verfassten sie das fünfte Flugblatt "Aufruf an alle Deutsche!" Mit einer Auflage von mindestens 6.000 Exemplaren wurde der Text Ende Januar 1943 per Kurier in mehreren süddeutschen und einigen österreichischen Städten verteilt. Nach dieser Fronterfahrung forderten die Angehörigen der "Weißen Rose" dazu auf, sich vom "nationalsozialistischen Untermenschentum", Imperialismus und preußischen Militarismus "für alle Zeit" zu trennen. In den Tagen nach der militärischen Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad malten Graf, Schmorell und Hans Scholl in nächtlichen Aktionen an öffentliche Fassaden in München Parolen wie "Nieder mit Hitler" und "Freiheit".

Erwähnenswert ist, dass zur "Weißen Rose" neben den Studierenden auch Akteure außerhalb der Hochschule und außerhalb Münchens gehörten. Genannt werden in der Literatur Traute Lafrenz, Hans Conrad Leipelt, Marie-Luise Jahn, Hans Hirzel, Susanne Hirzel, Heinz Brenner, Franz J. Müller, Eugen Grimminger, Jürgen Wittenstein, Lilo Ramdohr, Gisela Schertling, Willi Habermann, Otl Aicher und der später auch als Regisseur bekannt gewordene Falk Harnack. Hinzu kamen Harald Dohrn, der Schwiegervater von Christoph Probst, der Architekt Manfred Eickemeyer, in dessen Atelier sich die "Weiße Rose" traf, der Kunstmaler Wilhelm Geyer, der Eickemeyers Atelier mietete und Hans Scholl den Schlüssel zu den Räumen überließ, sowie der Buchhändler Josef Söhngen, dessen Keller als Versteck für die Flugblätter diente.9

In den letzten Monaten ihres Bestehens versuchte die "Weiße Rose" über Falk Harnack Kontakte zu weiteren Widerstandsgruppen bis in die Reichshauptstadt Berlin und zu systemoppositionellen Kreisen der Wehrmacht aufzunehmen. Freunde der "Weißen Rose" arbeiteten auch in anderen Städten in kleinen Gruppen, verteilten die Flugblätter und hielten Kontakt. In Hamburg umfasste die Gruppe einen Kreis von 50 Personen, von denen im Herbst 1943 etwa 30 festgenommen wurden. Sie wurden als "Weiße Rose" Hamburg bezeichnet.

Bei ihrer letzten Flugblatt-Aktion im Lichthof der Münchener Universität am 18. Februar 1943 wurden Hans und Sophie Scholl vom Hörsaaldiener ("Pedell") entdeckt und so lange festgehalten, bis die Gestapo eintraf. Beide wurden zunächst zum Wittelsbacher Palais, der Gestapo-Zentrale, transportiert und dort bis zum 21. Februar stundenlang vernommen. Hans Scholl hatte bei seiner Festnahme einen Flugblattentwurf von Christoph Probst bei sich, so dass auch dieser festgenommen und angeklagt wurde. Die Geschwister Scholl und Christoph Probst wurden vom sogenannten "Blutrichter" Roland Freisler am Volksgerichtshof an 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt. Die Gründe aus der Sicht des NS-Regimes waren "Wehrkraftzersetzung", "Feindbegünstigung" und "Vorbereitung zum Hochverrat". Das Urteil wurde am gleichen Tag durch das Fallbeil vollstreckt.

Im April 1943 fand ein weiterer Prozess vor dem Volksgerichtshof gegen vierzehn Angeklagte statt. Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell wurden am 19. April 1943 ebenfalls zum Tode verurteilt. Kurt Huber und Alexander Schmorell wurden am 13. Juli 1943 im Gefängnis München-Stadelheim enthauptet, die Hinrichtung Willi Grafs erfolgte am 12. Oktober 1943, nachdem die Gestapo über Monate hinweg versucht hatte, aus Willi Graf Namen aus dem Umfeld der Weißen Rose herauszupressen. Eugen Grimminger wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, Heinrich Bollinger und Helmut Bauer zu jeweils sieben Jahren, Hans Hirzel und Franz Müller zu jeweils fünf Jahren, Heinrich Guter zu achtzehn Monaten. Gisela Schertling, Katharina Schüddekopf und Traute Lafrenz wurden zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, Susanne Hirzel zu sechs Monaten. Falk Harnack wurde freigesprochen.10

Engagierte Frauen

Bemerkenswert an diesen Urteilen und der Zusammensetzung der "Weißen Rose" ist die Bedeutung der weiblichen Angeklagten. In dieser Widerstandsgruppe waren die Präsenz und Rolle der Frauen auffällig hoch. Das hatte damit zu tun, dass während des Krieges die Zahl der Studentinnen an den Hochschulen gegenüber den Studenten, die zum Kriegsdienst eingezogen waren, größer war. Zwar waren auch sie zum Pflichtdienst in den Semesterferien abkommandiert, aber sie waren in den Hochschulen präsent. Im Rahmen der "Weißen Rose" übernahmen sie bei den Kurierfahrten verantwortliche Aufgaben, da ihre Mobilität weniger auffällig war, als die der Studenten. Im faschistischen Frauenbild war aber eine aktive Rolle von Studentinnen im Widerstand nicht "vorgesehen". Wenn jemand wie Sophie Scholl auf "frischer Tat" erwischt wurde, war der Tatbestand des "Hochverrates" offenkundig. Dann war die Todesstrafe, wie auch bei vielen Frauen im proletarischen Widerstand, die faschistische Konsequenz. In anderen Fällen wurden Frauen als "Verführte" zu geringen Haftstrafen verurteilt.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die "Weiße Rose" mit ihrer antifaschistischen Haltung eine herausragende Bedeutung für den antifaschistischen Widerstand, aber gleichermaßen für die studentische Protestkultur besitzt. Es ist jedoch nicht angemessen, daraus eine Rehabilitierung der Haltung der Studierenden gegenüber dem NS-Regime abzuleiten. Zudem orientierte sich ihr Widerstand auf die akademischen Kreise, weniger auf ein gesellschaftliches Bündnis unter Einbeziehung der Arbeiterbewegung, so dass ihre Wirkung und ihr gesellschaftsveränderndes Potenzial eingeschränkt blieben.

Anmerkungen

1) Vgl. Ulrich Schneider 1977: "Widerstand und Verfolgung an der Marburger Universität 1933-1945", in: Universität und demokratische Bewegung, Marburg: 250 ff.

2) Zur Deutschen Studentenschaft vgl. Thomas Nipperdey 1961: "Die deutsche Studentenschaft in den ersten Jahren der Weimarer Republik", in: Wilhelm Zilius / Adolf Grimme (Hg.): Kulturverwaltung der Zwanziger Jahre, Stuttgart: 19-48.

3) Vgl. Ulrich Schneider 1980: Marburg, 1933-1945. Arbeiterbewegung und Bekennende Kirche gegen den Faschismus, Frankfurt/M.: 45.

4) Abgedruckt in: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%Bücherverbrennung_1933 _in_Deutschland#%E2%80%9E12_ Thesen_wider_den_undeutschen_Geist %E2%80%9C.

5) Vgl. Ulrich Schneider 2022: 1933 - Der Weg ins Dritte Reich, Köln: 135 ff.

6) Marion Keller 2022: "Rote Studentengruppe(n). Antifaschistische Organisierung an Universitäten in Deutschland, 1930 bis 1933", in: Arbeit, Bewegung, Geschichte, 2022/II: 68.

7) Ulrich Schneider 1984: Zwischen "freudigem Ja" und antifaschistischem Widerstand, Kassel: 429 ff.

8) Alle Texte der Flugblätter finden sich in: https://www.weisse-rose-stiftung.de/widerstandsgruppe-weisse-rose/flugblaetter/.

9) Wolfgang Benz 2017: Die Weiße Rose, Ditzingen.

10) Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Wei% C3%9Fe_Rose.

Ulrich Schneider, Dr. phil., *1954, Historiker, Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) sowie Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Autor zahlreicher Bücher. Kommentare an: http://dr.u.schneider@arcor.de.