Noch-Präsident Zelaya schnitzt am „sozialistischen Liberalismus“
Seit diesem Jahr ist Honduras Mitglied der Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres Amerikas (ALBA). Die damit verbundene Hilfe aus Venezuela ist angesichts der wenigen formalen Arbeitsplätze, der hohen Armutsrate und der Vielzahl ökonomisch motivierter EmigrantInnen sehr willkommen. Doch mit erklärten ALBA-Gegnern als aussichtsreichste Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im kommenden Jahr sieht die Zukunft wieder düster aus.
Tief
war das Wasser vor der Küste bereits, als Christoph Kolumbus vor über
500 Jahren Anker werfen ließ. „Agúas hondas“ nannte er das
mittelamerikanische Land – Honduras. „Der Name hat unser Land seither
geprägt, aus den Tiefen sind wir nie herausgekommen“, beklagt Alfredo
Bográn, Gewerkschafter und Aktivist des linken Bloque Popular
(Populärer Block). Zumindest einen Hoffnungsschimmer sieht Bográn, denn
Anfang Oktober ratifizierte der Nationalkongress einmütig den Beitritt
des Landes zur Bolivarischen Alternative für die Völker Unseres
Amerikas (ALBA). Die damit verbundene Unterstützung aus Venezuela kommt
wie gerufen, denn die Armutssituation in Honduras ist fatal: Bis zu 80
Prozent der Menschen – vor allem in den ländlichen Gebieten – leben in
Armut und können ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen. Das Land ist
nach Haiti und Nicaragua eines der ärmsten der Region. Die mit ALBA
verbundene Hilfe ist dann wohl auch der wahre Grund für den Beitritt in
das Wirtschaftsbündnis. Denn Präsident Manuel Zelaya Rosales von der
regierenden liberalen Partei PLH ist alles andere als ein Linker. Er
gewann die Präsidentschaftswahl vor allem mit einer Kampagne gegen
kriminelle Jugendbanden – die sogenannten maras sind ein großes Problem
in Honduras, genau wie in den Nachbarländern Guatemala und El Salvador
– in der er den „starken Staat“ beschwor.
Außer Textil-Maquiladoras gibt es im Land kaum Industrie und diese ist
aufgrund der Konkurrenz aus China unter starken Druck geraten. Viele
Anbauflächen für Bananen und Kaffee sind verwaist,seitdem der
Weltmarktpreis für diese Produkte in den Keller gesunken ist. „Es gibt
kaum reguläre Arbeitsplätze in Honduras außer im schlecht bezahlten
öffentlichen Dienst oder den Maquilas mit Arbeitsbedingungen, die an
Sklaverei erinnern. „Wer kann, verkauft irgendwie irgendwas auf der
Straße. Aber Exportprodukt Nummer Eins sind Arbeitskräfte, die es vor
allem in die USA zieht“, erklärt Edith Zavala vom Netzwerk der
honduranischen Migrantenorganisationen. Mehr als eine Million der gut
7,5 Millionen HonduranerInnen wanderte aus, in die USA, nach El
Salvador oder nach Spanien. Die Überweisungen der MigrantInnen an ihre
Familien machen fast ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes aus. Kein
anderes Land der Region hängt wirtschaftlich so sehr am Tropf dieser
remesas, den Geldüberweisungen aus dem Ausland. Jedoch sind diese
Zahlungen aufgrund der Wirtschaftskrise in den USA derzeit rückläufig,
insbesondere weil viele HonduranerInnen im dortigen Baugewerbe arbeiten
und dieses von der Immobilienkrise besonders stark betroffen ist.
Venezuela wird im Rahmen der ALBA-Mitgliedschaft nun Kredite für
Kleinbäuerinnen und -bauern in Höhe von 30 Millionen US-Dollar
gewähren, 100 Traktoren liefern sowie Programme im Bildungs- und
Gesundheitssektor fördern. Zudem profitiert das Land bereits durch die
Petrocaribe-Mitgliedschaft davon, dass es die Hälfte seiner
Rohölrechnung bei Venezuela nicht sofort, sondern erst in 25 Jahren
zahlen muss. Dabei gilt ein Zinssatz von nicht mehr als einem Prozent.
Das Land kann zudem in in Form von Nahrungsmitteln oder anderer
Exportprodukte zahlen.
Zu Zeiten der bewaffneten Konflikte in Zentralamerika unterhielten die
USA in Honduras einen ihrer wichtigsten militärischen Stützpunkte von
wo aus sie ihre Operationen gegen die regierenden sozialistisch
orientierten SandinistInnen der FSLN in Nicaragua und die linken
FMLN-RebellInnen in El Salvador durchführten. Mit dem Ende dieser
Konflikte in den 90er Jahren sank das US-Interesse an Honduras
erheblich. Die gringos sind den HonduranerInnen aber nicht erst seit
dieser Zeit verhasst. Jedoch gründet sich diese Ablehnung in der Regel
nicht auf eine politische Basis. In den Nachbarländern Nicaragua,
Salvador und auch Guatemala gibt es eine lange Tradition linker
Widerstandsbewegungen, deren Denkschulen beispielsweise Intellektuelle
hervor gebracht haben, deren Ideen auch heute in den jeweiligen
Universitäten eine wichtige Rolle spielen. In Honduras gab es keine
vergleichbare Bewegung. Das Land war sicheres Terrain für die
reaktionären CONTRAs, welche die sandinistische Regierung in Nicaragua
stürzen wollten.
„Die honduranische Linke träumte nie von einer Partei, wir wollten
stets nur soziale Bewegung sein“, sagt Alfredo Bográn vom Bloque
Popular (BP). Dieser Zusammenschluss aus radikalen GewerkschafterInnen
und AktivistInnen aus Basiskomitees ist eine der wichtigsten
Formationen der politischen Linken. In ihrer Monatszeitung Vida Laboral
berichten sie von politischen Auseinandersetzungen, rufen zu
Solidarität bei politischer Repression auf und wollen das historische
Gedächtnis der populären Bewegung sein, indem sie an deren historische
Persönlichkeiten erinnern. Öffentlichen Widerhall fand die vom BP
unterstützte Kampagne gegen die von den Stadtregierungen in San Pedro
Sula und anderenorts vollzogene Privatisierung der kommunalen
Wasserversorgung. „Die Privatisierungen waren von der Zentralregierung
gewollt. Den Kampf dagegen haben wir vorerst verloren, aber wir konnten
unsere Bewegung aufbauen und neue Aktivisten um uns scharen“, berichtet
Bográn. Im April dieses Jahres traten einige StaatsanwältInnen in den
Hungerstreik. Sie demonstrierten auf diese Weise gegen die in Honduras
systematische Korruption. Daraus entwickelte sich eine bis heute
anhaltende Massenbewegung, die den Kampf gegen Korruption zu einem
Hauptanliegen der sozialen Bewegung macht. Die zwei im Parlament
vertretenen sozialdemokratischen Splitterparteien haben nach Meinung
Bográns keine organische Beziehung zur außerparlamentarischen Bewegung
und fristen im Parlament ein Schattendasein.
Zumindest den Zungenschlag hat Präsident Manuel („Mel“) Zelaya
hinsichtlich der Privatisierungen geändert. Als der Staatschef im
August erklärte, warum er für den ALBA-Beitritt seines Landes eintrete,
fragte er rhetorisch: „Wer hat behauptet, dass Honduras vorankommt,
wenn das Wasser, die Luft und der öffentliche Dienst privatisiert
werden?“. Statt dessen sei der Aufbau eines alternativen Modells zur
Bekämpfung der Ausgrenzung und der Armut wichtig. „Wenn das System,
welches in Honduras 40 Jahre lang den Ton angegeben hat, diese Probleme
gelöst hätte, dann würden wir uns nicht für den Sozialismus Südamerikas
interessieren“, fügte er hinzu. Zelaya sieht die Alternative für sein
Land in einem „sozialistischen Liberalismus“, der Privatwirtschaft und
ArbeitnehmerInneninteressen gleichermaßen respektiere. Für den
Vertreter einer Partei, die wie die deutsche FDP der Liberalen
Internationale angehört, sind das ungewöhnliche Worte. Und es gibt in
Honduras auch starke politische Kräfte, die ihm das übel nehmen. Dies
tut zum Beispiel der Unternehmerverband COHEP, dessen Vorsitzender
erklärte, Honduras trete mit der Ratifizierung einer „ideologischen,
politischen und militärischen Allianz bei, die der Geschichte, den
Werten und Verpflichtungen von Honduras widerspricht“.
Symbolisch nach links gerückt war Zelaya bereits seit einiger Zeit. So
nahm er als einziger liberaler Staatschef an den Feierlichkeiten zu den
Jahrestagen der Sandinistischen Revolution in Nicaragua teil. Seitdem
er an der ALBA-Mitgliedschaft interessiert war, forderte er ein Ende
der US-Blockade gegen Kuba. Der sozialistische Karibikstaat habe
Honduras und seinem Volk immer die Hand gereicht, ohne eine
Gegenleistung dafür zu verlangen, sagte Zelaya in Hinblick auf die
geleistete medizinische Hilfe. „Zelaya ist ein Mann der politischen
Rechten, aber ist der erste Präsident seit Jahrzehnten, der etwas für
die Armen tut und Kleinbauern konkrete Hilfe wie Saatgut und Maschinen
zur Verfügung gestellt hat“, sagt Alfredo Bográn. Linke Oppositionelle
werden aber weiterhin verfolgt. Erst in diesem Jahr kursierte eine
„schwarze Liste“ mit Namen von Gewerkschaftsfunktionären, unter anderem
der von Rosa Altagracia Fuentes. Die Vorsitzende der ältesten und
größten ArbeiterInnengewerkschaft von Honduras CTH wurde Ende April
dieses Jahres in einem Hinterhalt erschossen.
Welche Gegenleistung Venezuela für die durch den ALBA-Beitritt
gewährten Vorteile indes bekommt, bleibt offen. Bislang gibt es keine
Grundlagen einer gemeinsamen Außenpolitik, nicht einmal einer
Zollpolitik. Es gibt Vereinbarungen zu militärischer Zusammenarbeit,
vor allem aber verteilt die sozialistische Regierung von Hugo Chávez
großzügig den Ölreichtum unter den Bedürftigen.
„Mel Zelaya ist ein ehrlicher Mann, der sein Herz für die Armen
entdeckt hat, aber in seiner Partei hat er für seine Politik keinen
Rückhalt“, berichtet auch Omar Rodriguez vom Vorstand der Gewerkschaft
des öffentlichen Dienstes in San Pedro Sula. So sehen es viele und für
Überraschung sorgte die Meldung, dass am Ende doch alle 62 Abgeordnete
der Liberalen im Nationalparlament der ALBA-Ratifizierung zustimmten.
Die Konservativen boykottierten die Abstimmung hingegen.
Doch kommt das Aus für ALBA bevor die Mitarbeit im progressiven
Staatenbund überhaupt begonnen hat? Präsident Zelaya darf bei den
Wahlen im kommenden Jahr kein weiteres Mal antreten. Und mit Mauricio
Villeda setzte sich Anfang Dezember in der Liberalen Partei (PLH) des
regierenden Präsidenten ein rechter Kandidat für das höchste Staatsamt
durch, der den Kurs der jetzigen Regierung nicht fortführen will. Darin
ist er sich einig mit dem am gleichen Tag gekürten Spitzenmann der
konservativen Nationalistischen Partei, Porfirio Lobo. Einer der beiden
wird die Wahlen im April gewinnen. Daran gibt es kaum einen Zweifel,
denn eine linke Wahlalternative fehlt in Honduras.
„ALBA hat bei der honduranischen Regierung keine Zukunft“, titelte
deshalb auch jüngst die alternative honduranische Nachrichtenagentur
Común Noticias in einer Erklärung. „In der aktuellen Regierung gibt es
nur sehr wenige FunkionsträgerInnen, welche ALBA positiv gegenüber
stehen. Sogar die Mehrheit dieser sieht nur die Millionensummen, die in
das Land fließen, aber sie teilen nicht die Idee eines Projektes für
die gegenseitige Unterstützung zwischen Völkern, die eine seit
Jahrhunderten bestehende Abhängigkeit überwinden wollen“. ALBA werde
mehr als eine komplementäre Finanzquelle zu USAID, der Europäischen
Union, dem IWF und der Weltbank gesehen. Die KritikerInnen zeigen sich
zudem besorgt bezüglich der Verteilung der ALBA-Gelder: „Die Millionen
sollen von den korrupten Institutionen des Staates verteilt werden.
Leider werden sie sich nur selbst bereichern, denn es gibt keine
Kontrolle“. Einziger Ausweg sei der organisierte Kampf der populären
Sektoren für ALBA und gegen die Korruption.
Text: Torge Löding
Ausgabe: Nummer 415 - Januar 2009