Rechter Putsch in Honduras
Bis Redaktionsschluss hat Honduras‘ gewählter Präsident Manuel „Mel“ Zelaya seine Ankündigung, in sein Land zurückzukehren, nicht umgesetzt. International bleibt die Putschregierung Roberto Michelettis isoliert. Bisher ohne Folgen. Micheletti verkündete gar den Ausstieg Honduras‘ aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).
Am Morgen des 28. Juni standen die Militärs vor der Tür. Sie verschleppten Honduras‘ demokratisch gewählten Präsidenten Manuel Zelaya und flogen ihn nach Costa Rica aus. Die Ereignisse wecken Erinnerungen an längst überwunden geglaubte Zeiten. Anders als bei früheren Putschen waren die internationalen Reaktionen jedoch eindeutig: Die Europäische Union (EU) hat ihre Botschafter abberufen, die Vereinten Nationen (UNO), Lateinamerikas Regierungschefs und sogar US-Präsident Barack Obama fordern die Wiedereinsetzung des vom Militär gestürzten Zelaya. Damit ist dies der erste rechte Putsch in Lateinamerikas Geschichte, der offiziell nicht von den USA unterstützt wird. Im Untergrund bereitet das legitime Kabinett Aktionen für Zelayas Rückkehr vor, während Militärs und Putschregierung weiter die Muskeln spielen lassen. Roberto Micheletti will den gewählten Präsidenten festnehmen lassen, sobald er die Grenze überschreitet. Dieser vom Kongress eingesetzte „De-Facto-Präsident“ hat unterdessen die demokratischen Rechte seiner Landsleute per Gesetz praktisch abgeschafft. Während der Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr gelten die verfassungsmäßigen Grundrechte nicht mehr.
Nach innen und außen versuchen die Putschisten indes das Bild zu
vermitteln, dass sie die Lage unter Kontrolle haben und Ruhe auf den
Straßen herrsche. So sind viele Telefonleitungen gekappt und die Medien
vom Militär entweder gleich- oder abgeschaltet. Lediglich ein
nationaler Radiosender und eine TV-Station berichten von den
Massenprotesten gegen die Putschregierung. Auch einige lokale Radios,
wie der Jesuitensender „Radio Progreso“, berichten kritisch und haben
unter massiver Behinderung ihrer Arbeit und Repression durch das
Militär zu leiden. In ihrer Berichterstattung konzentrierten sich die
linientreuen Medien in Honduras und im zentralamerikanischen Ausland
auf putschfreundliche Kundgebungen und die angebliche
Verfassungsmäßigkeit des Machtwechels.
Keinen Weg in diese Medien finden die Massenproteste von Zehntausenden
im ganzen Land gegen den Militärputsch und die systematische Verfolgung
von GewerkschafterInnen und Linken. Bereits am ersten Putschtag wurde
Gewerkschaftsführer Carlos H. Reyes von Soldaten zusammengeschlagen und
zeitweilig verschleppt. Der Veteran der Arbeiterbewegung gehört der
landesweiten Koordination des Volkswiderstandes an und soll bei den
Präsidentenwahlen am 28. November als unabhängiger Kandidat antreten.
Die dafür nötigen 45.000 Unterschriften hatten seine Unterstützer in
nur drei Wochen gesammelt. Um ihrer Verhaftung zu entgehen, haben sich
zahlreiche FührerInnen der Gewerkschaften und sozialen Bewegung in den
Untergrund gerettet. Dennoch gibt es Berichte von Verhaftungen und
Misshandlungen im ganzen Land. Soldaten töteten zum Beispiel einen
jungen Demonstranten, der mit einigen Hundert PutschgegnerInnen das
Eingangstor zum Telekomkonzern Hondutel besetzt hielt. Mit einem
Fahrzeug fuhren die Mörder mehrmals über den Kadaver hinweg, um die
Massen einzuschüchtern, berichten AugenzeugInnen. Wenig später
verhafteten sie auch den Vorstandsvorsitzenden von Hondutel.
Die BefürworterInnen des Putsches nennen diesen indes ein „Manöver zur
Rettung der Demokratie“, weil Präsident Zelaya mit seinem Vorstoß für
eine rechtlich nicht bindende Volksbefragung gegen die geltende
Verfassung verstoßen habe. Die WählerInnen sollten die Frage
beantworten, ob sie damit einverstanden wären, wenn zeitgleich mit den
Wahlen im November, per Referendum über die Einberufung einer
Verfassunggebenden Versammlung abgestimmt würde. „Der Vorwand der
Demokratierettung ist nichts Neues. Auch die rechten Militärputsche in
den 1960er und 1970er Jahren in Lateinamerika wurden immer im Namen der
Demokratie durchgeführt“, sagte der salvadorianische
Sozialwissenschaftler Rafael Cartagena. Mit Besorgnis betrachtet er,
wie die reaktionäre Wirtschaftselite auch in Zentralamerika wieder zum
Mittel des Putsches greift. Die linke salvadorianische Tageszeitung
CoLatino berichtete am Mittwoch, dass der Fraktionschef der
ultrarechten salvadorianischen ARENA-Partei dem Präsident Mauricio
Funes am Telefon mit einem Staatsstreich gedroht habe. Erstmals hatte
mit Funes im März ein Kandidat der linken FMLN die Wahlen in El
Salvador gewonnen.
Manuel Zelaya geht seit dem Putsch mit der Bourgeoisie seines Landes
hart ins Gericht. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass er selbst
Sohn einer gut situierten Großgrundbesitzerfamilie aus dem ländlichen
Olancho in Zentralhonduras ist. Als Bilderbuchminister wurde er in der
Vergangenheit für seine effiziente Amtsführung ausgezeichnet und von
der UNO gelobt. Mit linken Äußerungen hatte er sich bis zu seinem
Amtsantritt 2006 nicht verdächtigt gemacht. Mit Erstaunen mag die
Ultrarechte zur Kenntnis genommen haben, dass sich der eher moderate
Zelaya auch mit Beratern umgab, die einen linken politischen
Hintergrund haben.
Angesichts der tiefen Krise seines Landes, nicht zuletzt wegen der
Weltwirtschaftskrise, begann er sich Kreisen zuzuwenden, die die
honduranische Politik stets ignorierte: Gewerkschaften und sozialen
Bewegungen. Die meisten ließen sich auf diesen neuen Dialog ein, andere
trauten dieser Politik indes nicht, denn Zelaya blieb ihnen
Klassenfeind.
Auf der einen Seite begründete er eine politische Freundschaft mit
Fidel Castro und Hugo Chávez und führte Honduras zur Mitgliedschaft in
der Bolivarianischen Allianz für Amerika (ALBA). Den Mindestlohn
erhöhte Zelaya um 60 Prozent und er legte eine Reihe neuer
Sozialprogramme auf. Aber echte Mitspracherechte der ArbeiterInnen und
ihrer Organisationen gab es nicht, ganz zu Schweigen von Ansätzen der
Selbstverwaltung. Die Arbeitsbedingungen in den Maquiladoras
(Billiglohnfabriken, Anm. d. Red.) blieb haarsträubend,
gewerkschaftliche Rechte wurden ignoriert und Aktivisten ermordet.
Frauenrechte und emanzipatorische Forderungen wurden ignoriert. Ein
Linker ist Manuel Zelaya nicht.
Aber die Ultrarechte musste erkennen, dass sie diesen Präsidenten nicht
unter Kontrolle hatte. Besonders die wachsende Nähe zu Kuba und
Venezuela machte sie rasend. Anders als in den anderen Staaten
Zentralamerikas sind die führenden Militärs in Honduras eng mit dem
nationalen Kapital verflochten. Die Diktatur der stets von den USA
ausgebildeten Führungsoffiziere endete offiziell mit der Verfassung von
1982. Damals änderten sie jedoch ihre Strategie und bauten ihre Macht
im Wirtschaftssektor aus. Heute beherrschen sie nicht nur
Zentralamerikas stärkste Militärmaschine, sondern sie bewegen
Milliarden US-Dollar durch Verträge mit Unternehmen, deren stillen
Teilhaber sie sind. Sie sind Mehrheitsaktionäre von TV-Stationen,
Zeitungen, Zeitschriften und in der Agrarindustrie sowie Nutznießer der
Privatisierung öffentlicher Betriebe. Ihre Verbündeten haben die
Militärs in den ultrarechten Kreisen in Washington und im
US-Auslandsgeheimdienst CIA. Den bekannten CIA-Mitarbeiter und Gründer
der Todesschwadronen Billy Joya ernannte Micheletti zum „beratenden
Minister“. Joya ist bekannt dafür, in den 1980er Jahren Folterungen und
Mordaktionen im Land koordiniert und geleitet zu haben. Er war damals
Mitglied des Geheimdienstbataillons 3-16 und erster Kommandant des
reaktionären „Elitegeschwaders Luchs“, der berüchtigten
Kobra-Aufstandsbekämpfungseinheiten.
Zur offenen Konfrontation zwischen Zelaya und dem Militär kam es in der
Woche vor dem Putschsonntag. Der Präsident hatte den Oberkommandanten
der Streitkfäfte, General Romeo Vásquez, abgesetzt, nachdem dieser sich
geweigert hatte, die für die Volksbefragung notwendigen Wahlunterlagen
auszuteilen. In diesem Konflikt kommt die wirkliche Macht des Militärs
zum Ausdruck: Zum einen ist schon der Fakt bedenkenswert, dass das
Wahlgericht Urnen und Register in Kasernen lagert. Zweitens hob der
Oberste Gerichtshof die Absetzung von Vásquez umgehend wieder auf.
Diese Entscheidung entsprach der Verfassung, denn in Honduras gilt
nicht der Staatschef als höchste Autorität der Streitkräfte. Im Text
von 1982 ließen sich diese verbriefen, dass der Oberkommandant nicht
von zivilen Institutionen berufen oder abgesetzt werden darf.
Damit haben sie verfassungsmäßig ein System gefestigt, das seit dem
Putsch von 1957 etabliert ist. Damals verärgerte der gewählte Präsident
Ramón Villeda Morales von der Liberalen Partei (PLH) vor allem die
US-Fruchtkonzerne mit seinem sachten Versuch einer begrenzten
Agrarreform und sozialer Verbesserungen für die ArbeiterInnen. Mit
Hilfe der USA putschte damals Oberst Oswaldo López Arellano. Die
folgenden Jahre prägten aufgrund der Rolle der Fruchtkonzerne, genau
wie im Nachbarland Guatemala, den Begriff der „Bananenrepublik“. Die
honduranische Historikerin Ethel Garcias, Leiterin des Zentrums für
lateinamerikanische Identität und Kultur, beschreibt dieses System:
„Die Machtsituation von 1957 war die Basis für eine neue Struktur, die
sich von selbst erneuert. Junge Soldaten wurden aufgebaut, in das
System integriert. Nachdem sie die Militärakademie Francisco Morazan
absolvierten, wurden sie auf die US-Militärkaderschmiede Escuela de las
Américas in Panama geschickt. Die Erfolgreichsten beendeten ihre
Ausbildung dann in Westpoint, USA, als Nachwuchs für die
Militärdiktatur“.
Die Peitsche der Reaktion treibt in Honduras aber auch den Widerstand
voran. Die zerstrittenen Organisationen der gewerkschaftlichen und
außerparlamentarischen Linken arbeiten erstmals zusammen und rufen
gemeinsam zu einem Generalstreik auf. Trotz aller Repressionen kommt es
in den größeren Städten immer wieder zu Massenprotesten. Am
eindrucksvollsten war aber der Aufmarsch hunderter bewaffneter
Campesinos aus Olancho am Mittwoch. In Jeeps und Lastwagen hatten sie
sich nach Tegucigalpa aufgemacht. Das Militär stoppte sie mit
Straßensperren und beschoss die Reifen der Fahrzeuge. Dem Bericht eines
Aktivisten zu Folge, waren die ungefähr 800 Olancho-Campesinos, die
einen Ruf als wilde Kämpfer haben, mit Gewehren bewaffnet. Bei der
Konfrontation ließen sie diese jedoch schweigen und zogen sich zurück.
Fürs Erste. Aber die Situation ist explosiv. Der gleiche Aktivist
berichtet zudem, dass sich im Karibikhafen La Ceiba die vierte Brigade
der Infanterie gegen Michelleti gestellt hat und die Rückkehr von
Präsident „Mel“ erwartet.
Vom internationalen Druck lässt sich die Putsch-Regierung bisher nicht
beeindrucken. Das von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)
verhängte 72-Stunden-Ultimatum zur Wiedereinsetzung Zelayas hatte
keinen Erfolg. OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza traf am 3. Juli
in Tegucigalpa ein, um den Rückzug der PutschistInnen zu fordern. Am
Abend des selben Tages verkündete Micheletti jedoch den Ausstieg
Honduras‘ aus der Organisation, um einem zu erwartenden Ausschluss
zuvorzukommen. Insulza konterte postwendend: Der Austritt sei rechtlich
irrelevant, da „die Regierung für die anderen 34 Mitglieder der OAS und
die internationale Gemeinschaft rechtlich gar nicht existiere“.
Text: Torge Löding, Voces Nuestras
Ausgabe: Nummer 421/422 - Juli/August 2009