Risse in der islamischen Republik

Heuer jährt sich zum 30. Mal die Iranische Revolution. Wie Behrooz Rahimi in seiner Analyse der Entwicklung der Islamischen Republik aufzeigt, ist das widersprüchliche Erbe der Revolution auch in den aktuellen Protesten gegen Ahmadinejads umstrittene Wiederwahl präsent.

Im Iran finden derzeit die größten Massenproteste seit der Iranischen Revolution von 1979 statt. Gegen den mutmaßlichen Wahlbetrug bei den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009 strömten allein in Teheran über eine Million DemonstrantInnen auf die Straßen, um sich gegen die „Ernennung“ Mahmud Ahmadinejads zur Wehr zu setzen.1 Die protestierenden Massen bewiesen hierbei nicht zum ersten Mal in der Geschichte Irans eine ungeheure Ausdauer und Widerstandsfähigkeit. Nach der Wahl vom 12. Juni gab es zwei Wochen lang tägliche Demonstrationen und Proteste. Erst nach harten repressiven Maßnahmen durch Polizei und regierungsnahe Milizen mit dutzenden Toten und tausenden Festgenommenen ebbten die Proteste langsam ab. Trotzdem hat sich die Lage alles andere als beruhigt, beweist die Bewegung ihre Hartnäckigkeit doch bis zum heutigen Tag durch regelmäßige Massenmobilisierungen.
Als Galionsfigur der nun als „Grüne Bewegung“ bekannt gewordenen Opposition gilt Ahmadinejads wichtigster Herausforderer bei der Wahl, der Reformpolitiker Mir Hossein Mussawi, der in den 1980er Jahren selbst Premierminister des Iran war. Der Umstand, dass ein „Mann des Regimes“, tief verwurzelt in der Geschichte und dem Herrschaftssystem der Islamischen Republik (IR), diese plötzlich herausfordert, erscheint auf den ersten Blick überraschend. Schließlich wurde und wird die IR von linken wie konservativen KommentatorInnen oft als ein monolithisches Regime betrachtet, in der einige fanatisch-religiös und rückwärtsgewandte Mullahs die Herrschaft an sich gerissen hätten. Widersprüche haben in diesem Narrativ kaum Platz.
Im Folgenden werden demgegenüber die politischen und sozialen Konflikte und Widersprüche diskutiert, welche die IR seit der iranischen Revolution von 1979 geprägt haben und auch Form und Inhalt der aktuellen Proteste maßgeblich beeinflussen.

Die Entwicklungen im Sommer 2009
Die Wahl im Sommer war zwar der Anlass, nicht jedoch der einzige Grund für die massiven Proteste im Anschluss. Das Vertrauen in Wahlen ist im Iran nicht besonders groß, vor allem da KandidatInnen im voraus vom Wächterrat, einem Kontrollorgan der IR, auf ihre „Integrität“ bzw. Loyalität bewertet und entsprechend selektiert werden. Im Zuge dieses Vorgangs wird der Großteil der BewerberInnen ausgeschlossen. Schon dieser Umstand spricht dafür, dass auch ReformkandidatInnen zu Irans politischer Elite gehören müssen, um überhaupt zu den Wahlen zugelassen zu werden.
Nachdem die Wahlbeteiligung in den vergangenen Jahren stetig gesunken war, hatte die Regierung dieses Mal großes Interesse an einer regen Beteiligung: sowohl für die anstehenden internationalen Verhandlungen um das iranische Atomprogramm als auch im Sinne Ahmadinejads populistischen Images war zumindest der Anschein breiter gesellschaftlicher Zustimmung von großer Bedeutung. So wurden die Zensur und politische Repression gelockert und öffentliche Debatten zugelassen. Erstmals wurden Fernsehduelle zwischen den Kandidaten ausgestrahlt, bei denen insbesondere das Duell zwischen den zwei Spitzenkandidaten Ahmadinejad und Moussawi für Aufsehen sorgte. Die hitzig geführte Debatte führte der Bevölkerung den schwelenden Konflikt innerhalb des Systems vor Augen und verlieh der Wahlentscheidung eine besondere Bedeutung. Nicht intendiert und noch weniger vorausgesehen war jedoch, dass die Menschen den kleinen Freiraum nutzten, um aktiv an den Debatten teilzunehmen und bereits während des Wahlkampfs ihren Protest gegen die sozialen und politischen Missstände zu artikulieren. Hunderttausende wurden im Wahlkampf aktiv und beteiligten sich an den Kampagnen der vier Kandidaten.2 Ein sichtbares Zeichen der gesellschaftlichen Dynamik war die starke Beteiligung vieler junger Frauen insbesondere in der Kampagne Moussawis. Die aktive Unterstützung seiner Frau Zahra Rahnavard, welche gemeinsam mit Moussawi auftrat und sich vor allem für Frauenrechte aussprach, hatte diesbezüglich symbolische Bedeutung. Moussawi plädierte ebenfalls für eine Ausweitung von Frauenrechten sowie für die Abschaffung der ungeliebten Institution der Sittenwächter.
Ahmadinejad und das konservative Führungslager sah sich durch offene Kritik immer weiter in die Enge gedrängt, und das in einem Wahlkampf, der eigentlich ein leichtes Spiel hätte werden sollen. Zwar hatte Ahmadinejad sein Ziel einer hohen Wahlbeteiligung erreicht – 80% der Wahlberechtigten gingen zu den Urnen –, doch ob das Ergebnis tatsächlich zu seinen Gunsten ausfiel, blieb insbesondere für die gesellschaftlich aktiv gewordenen Teile der Bevölkerung unklar.
Im Hinblick auf die Massenproteste, die sich als Reaktion auf das Wahlergebnis entwickelten, ist es freilich falsch, von einer Bewegung oder der Grünen Bewegung zu sprechen. Die Proteste waren und sind mehr als alles andere durch ihre Heterogenität gekennzeichnet, beteiligten sich doch Menschen unterschiedlichster sozialer und politischer Herkunft: ReformerInnen, die loyal zur IR stehen, AnhängerInnen Moussawis und Karroubis, Säkulare, NationalistInnen usw. Verdeutlicht wird die Vielfalt der Bewegung durch ihre diversen Protestmethoden, Slogans und Forderungen. Viele der spontan auf die Straßen strömenden Menschen verwendeten die Farbe Grün als Zeichen ihrer Zugehörigkeit zu Moussawi und gruppierten sich um die Losung „Wo ist meine Stimme?“. Andere forderten ein „Nieder mit der Diktatur“, ein in Irans Geschichte grundsätzlich beliebter und von oppositionellen Bewegungen traditionell häufig verwendeter Slogan. Immer lauter wurden Stimmen gegen die „Coup d‘état-Regierung“ sowie die Forderung nach deren Rücktritt. Vielleicht am besten charakterisiert der Spruch „Fürchtet euch nicht, wir sind alle zusammen“ die Stimmung dieser Bewegung, welche sich zunehmend auch direkt gegen die Staatsmacht richtete. Eine weitere Protestform, welche aus dem Erfahrungsschatz der Iranischen Revolution selbst entnommen wurde, waren nächtliche Allahu Akbar-Rufe („Gott ist Groß“) von den Dächern.3
Entgegen Ahmadinejads Darstellung war die breite Bewegung jedoch relativ unabhängig von der Reformerführung entstanden. Sie folgte keinem Plan Moussavis oder Karroubis, nach der Wahl in jedem Fall zu demonstrieren.4 Vielmehr ist es eines der zentralen Charakteristika und zugleich eine Schwäche der Bewegung, dass sie über keine klaren Organisationsstrukturen verfügt. Die Mobilisierungen basieren meist auf dezentralen Netzwerken in Nachbarschaften, unter Freundinnen und Freunden, und auf neuen Kommunikationsmitteln wie Internet und Twitter. Die Bedeutung dieser Medien sollte zwar nicht überbewertet werden, lässt jedoch auch gewisse Rückschlüsse auf die soziale Zusammensetzung der Proteste zu. Obwohl diese durch die Präsenz unterschiedlichster sozialer Schichten und Klassen charakterisiert waren, stellten junge Angehörige der Mittelschichten die zentralen AkteurInnen dar.5 Nicht umsonst entfalteten die Proteste in den mittelständisch geprägten Vierteln, im Norden sowie im Zentrum Teherans eine besondere Stärke.
Anstatt auf Teile der Opposition zuzugehen, versuchte das Regime diese zu übergehen. So erkannte Revolutionsführer Khamenei nach nur einer Woche die Wahl an und stellte sich so klar auf Ahmadinejads Seite. Dafür geriet er selbst zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik. Ebenso und de facto zum ersten Mal seit der Revolution wurden auch die politische Repression und die Menschenrechtsverletzungen, mit denen das Regime versuchte, die Proteste gewaltsam niederzuschlagen, von einer breiten Bewegung angesprochen und verurteilt. So ist „Freiheit für die politischen Gefangenen“ bei den Protesten mittlerweile ein häufig skandierter Spruch und die Bilder ermordeter DemonstrantInnen sind zu Symbolen des Widerstandes und des „Märtyrertums“ für die Freiheit geworden.6
Da im Zusammenhang mit den Protesten auch bisher loyale VertreterInnen der IR in Schauprozessen als VerräterInnen und „ausländische AgentInnen“ diffamiert wurden, regte sich selbst im konservativen Lager Kritik an Ahmadinejad sowie am Umgang mit der oppositionellen Bewegung. Diese Verwerfungen innerhalb des Regimes der IR sind insofern charakteristisch für die Ereignisse der letzten Wochen und Monate, als Risse im Herrschaftsgefüge und im Verhältnis des Regimes zur Bevölkerung eine der wichtigsten Ursachen dafür sind, dass es überhaupt zu einer derart breiten und dynamischen Bewegung kommen konnte. So ist die starke Reaktion auf der Straße nicht allein mit der relativen politischen Öffnung während des Wahlkampfes zu erklären, sondern muss vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Frustration breiter Bevölkerungsschichten über die Politik der vergangen Jahre und eines sich immer autoritärer gebärdenden Regimes gesehen werden. In diesem Sinne repräsentieren die Proteste der letzten Monate den Widerspruch zwischen dem herrschenden System der IR und dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach Demokratisierung, politischer Liberalisierung sowie einer Lösung der ökonomischen und sozialen Probleme des Landes. Zugleich deuten die Entwicklungen auch auf einen tiefen und stärker werdenden Riss innerhalb des Gefüges der IR sowie zwischen den einzelnen Fraktionen an der Macht hin. Diese Konflikte und Widersprüche sind indes keineswegs neu, sondern bereits seit der iranischen Revolution vorhanden und tief in die Struktur des Staates eingeschrieben.

Zwei grundlegende Widersprüche
Die iranische Revolution von 1979 war eine der größten Massenaufstände des 20. Jahrhunderts und entsprechend breit war das Spektrum der involvierten sozialen Akteure, Klassen und politischen Positionen. Obwohl linke und nationalistische Gruppen vom – keineswegs einheitlichen – islamischen Lager früh ausgeschaltet wurden, prägten diese Gruppen, ihre Visionen und Diskurse den Charakter der IR nichtsdestotrotz entscheidend mit. Im Ergebnis lassen sich mindestens zwei grundlegende Widersprüche ausmachen, die für die IR seit ihrer Entstehung charakteristisch sind: Erstens das Verhältnis zwischen Autoritarismus und Republikanismus bzw. zwischen republikanisch-demokratischen und autoritär-theokratischen Strukturen. Zweitens das widersprüchliche wirtschaftliche und soziale Erbe der Iranischen Revolution, d. h. das Verhältnis zwischen sozialen Versprechungen einerseits und kapitalistischen Verwertungsinteressen andererseits.

Autoritarismus und Republikanismus
Die IR wird in den Medien und vielen Analysen als „Gottesstaat“ bezeichnet. Meist wird damit auf die autoritäre und theokratische Struktur verwiesen, und tatsächlich sind diese Elemente in der Verfassung, den institutionellen Strukturen sowie den konkreten Politiken des Staates zur Genüge vorhanden. Doch abgesehen davon, dass der Begriff „Gottesstaat“ kaum analytische Schärfe bietet und primär polemischer Natur ist, beschreibt er den Charakter der IR nur unzureichend. Die Rede vom „Gottesstaat“ ignoriert vor allem die post-revolutionären Dynamiken nach 1979 sowie die Widersprüchlichkeiten, die insbesondere die politisch-institutionelle Struktur der IR prägen. Historisch kann vereinfachend zwischen stärker auf das Leitbild eines republikanischen Staates fokussierten Kräften und solchen unterschieden werden, welche sich am ursprünglichen Konzept Khomeinis orientierten und einen theokratischen Islamischen Staat mit einem Revolutionsführer (oder klerikalen Führungsgremium) an der Spitze favorisierten. Im Endeffekt bildete sich eine Hybridform beider Aspekte heraus, welcher gängige Kategorisierungen von traditionell-modern oder demokratisch-despotisch nicht gerecht werden. Exemplarisch hierfür ist die 1979 entstandene Verfassung des Irans, welche, wie schon der Name „Islamische Republik“ nahelegt, zugleich republikanisch-demokratische und autoritärtheokratische Elemente beinhaltet.8
Die autoritären Elemente werden durch die Position des Revolutionsführers9, der höchsten Instanz der IR mit umfassenden Befugnissen wie der Oberhoheit über das Militär, sowie den Wächterrat repräsentiert, welcher über die Vereinbarkeit von Gesetzen mit dem Islam bestimmt. Gleichzeitig legt die Verfassung auch demokratische Rechte und Strukturen fest. Dazu zählt ein alle vier Jahre gewähltes Parlament sowie das Präsidentschaftsamt, die nach dem Revolutionsführer zweithöchste offizielle Autorität im Staat. Neben demokratischen Strukturen auf kommunaler und regionaler Ebene beinhaltet die Verfassung darüber hinaus Menschen- und Grundrechte. Diese Institutionen und demokratischen Rechte müssen aus dem Kontext der Revolution verstanden werden10. Neben dem Islam als Leitbanner waren schließlich auch die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit starke Motive der Massenbewegung gewesen. Und, wahrscheinlich am wichtigsten, die Revolution war auf der Grundlage massenhafter Partizipation, aktiver Auseinandersetzungen und der Bildung von kommunalen und betrieblichen Strukturen von unten zu Stande gekommen. Dieser Geist musste auf die eine oder andere Weise seinen Effekt auf den neuen Staat und dessen Strukturen haben. Trotz der formalen Garantie all dieser Rechte durch die Verfassung durften diese nicht mit „dem Islam“ in Konflikt geraten. Zu definieren, was „der Islam“ war, oblag jedoch mehr und mehr Revolutionsführer und Wächterrat. Zwar wurden so die autoritären zum Nachteil der republikanischen Elemente nach und nach gestärkt, ganz verschwunden sind letztere jedoch nie. Vor allem seit dem Aufkommen der Reformbewegung bilden sie einen wichtigen Bezugspunkt für Forderungen nach mehr Demokratisierung und politischem Pluralismus. Der Aufruf einer Rückkehr zu den ursprünglichen Idealen der Revolution, wie es Moussawi mehrfach formuliert hatte, kann auch in diesem Zusammenhang verstanden werden11.

Wirtschaftliche und soziale Widersprüche
Neben diesen im engeren Sinne politischen Ambiguitäten hinterließ die Iranische Revolution auch auf sozial- und wirtschaftspolitischer Ebene ein widersprüchliches Erbe. Teil dieses Erbes ist zum einen der auf Verwandtschaftsverhältnissen und Geschäftsverbindungen fußende Bazaar-Klerus-Komplex. Die bazaaris (Händler und Kaufleute) können als traditionelle kapitalistische Klasse des Irans bezeichnet werden. In der Revolution und danach galt ihr Interesse dem Schutz von Privateigentum und freiem Markt. Im Verbund mit dem konservativen Klerus waren sie die größten Profiteure der neuen Herrschaftsverhältnissen nach der Revolution.
Die Revolution war jedoch zugleich Ausdruck der Hoffnung der sozial niederen Klassen und der radikalisierten StudentInnen auf tiefgreifende soziale Transformationen. So wurden in der Revolution sozialistische Ideen auf verschiedenste Weise aufgegriffen und selbst große Teile der IslamistInnen waren stark durch solche Ideen beeinflusst.11 Auch die Rhetorik Khomeinis griff auf radikal-egalitäre Interpretationen des Islam zurück und mobilisierte die „Unterdrückten“ (mostazafin; städtische Arme) für die Vision einer (fast) klassenlosen islamischen Gemeinschaft – nicht zuletzt auch, um die Gefahr abzuwehren, welche durch die sozialistische Linke für seine eigene Vision entstanden war. Einige der populären Slogans der Revolution verdeutlichen diese sozialrevolutionäre Um-Interpretation des Islam: „Islam gehört den Unterdrückten, nicht den Unterdrückern!“, „Islam ist für Gleichheit und soziale Gerechtigkeit!“ oder auch „Islam repräsentiert die Slumbewohner, nicht die Palastbewohner!“. Diese Stoßrichtung findet sich auch in der Verfassung der IR wieder. So garantiert diese formal Pensionen für ihre BürgerInnen, Arbeitslosunterstützung, Invalidengeld, medizinische Versorgung und freie schulische Bildung. Darüberhinaus wurden sogar Hausbesitz, die Eliminierung von Armut und Arbeitslosigkeit sowie die Abschaffung privater Wirtschaftsmonopole versprochen und das Ziel industrieller und landwirtschaftlicher Autarkie ausgerufen. Die nationale Wirtschaft wurde in einen öffentlichen und einen privaten Sektor geteilt, wobei vor allem die zentralen Schlüsselindustrien fest in staatlicher Hand blieben. Neben dem staatlichen und privaten Sektor entwickelte sich auch ein halb-staatlicher Wirtschaftssektor, der vor allem durch die religiösen Stiftungen (bonyads) geprägt war. Diese sollten ursprünglich karitativen Zwecken dienen. Heute kontrollieren sie als halb-staatliche Megakonzerne große Teile der Wirtschaft und werden oft als mächtiger Staat im Staat bzw. als Spielwiese einiger weniger mit dem Staat eng verwobener klerikaler-Millionäre bezeichnet.
Wenngleich in der Iranischen Revolution also eine gewisse Umverteilung propagiert und zumindest in der ersten Phase auch umgesetzt wurde, ist es wichtig zu betonen, dass dies nicht auf eine Abschaffung von Klassenverhältnissen oder gar kapitalistischer Produktionsverhältnisse abzielte. So wurde das Privateigentum in der Verfassung explizit geschützt.12 Die sozialen Strukturen sollten im Großen und Ganzen erhalten bleiben. Die Vehemenz, mit der ArbeiterInnenräte, Hausbesetzungen und „anarchische Zustände“ in der Produktion von der eben entstandenen IR bekämpft wurden, zeugt davon, wie wenig die neue politische Elite an einem tatsächlichen sozialen Wandel interessiert war.
Um trotzdem die Unterstützung insbesondere der städtischen Armen, als dem wichtigsten Adressaten der Versprechen von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit, zu bewahren, erhielten vielen von diesen wichtige Funktionen in der IR: gemeinsam mit ihren ländlichen „Cousins“13 stellten sie einen großen Teil der in den sepah-e pasdaran (Revolutionsgarden) und dem weitläufigen Netzwerk der basidji-Milizen organisierten neuen Sicherheitsapparate. Diese gingen als FußsoldatInnen der islamischen Revolution gegen die interne Opposition (MonarchistInnen, KommunistInnen, NationalistInnen) vor und bildeten während des Krieges mit dem Irak den ideologisch hoch motivierten Kern der „Revolutionsarmee“. Durch diese Institutionen wurden soziale Hilfsleistungen und Vergünstigungen, wie z. B. ein privilegierter Zugang zu Universitäten, vermittelt. Aufgrund der so etablierten klientelistischen Verbindungen entwickelten die pasdaran und basidji ein vitales Interesse am Erhalt der politischen Herrschaft der IR. Dass sie zu einer wichtigen Stütze des neuen Systems wurden und beinahe ein Gewaltmonopol besaßen, übersetzte sich in ein gewisses Gewicht der Klasse der städtischen Armen im Staatsapparat. Dies musste notwendigerweise zu einer strukturellen Spannung mit den Kapitalfraktionen der IR, vor allem den Bazaaris, führen, sahen diese doch in den sozialen Zugeständnissen eher ein Übergangsprogramm während der Revolution denn eine langfristige Strategie.14

Nach dem Tod Khomeinis
Diese Widersprüche konnten unter der Herrschaft Ayatollah Khomeinis zu großen Teilen überdeckt werden. So war die Periode von 1979 bis 1988 (dem Ende des Iran-Irak Krieges) von der Dominanz der radikal-islamischen Kräfte der Revolution und einer Schwächung marktwirtschaftlicher Elemente geprägt. Der Staat agierte als zentraler Wirtschaftsakteur und etablierte ein relativ autarkes System, das insbesondere durch die vom Krieg auferlegten Zwänge und internationale Sanktionen erklärt werden kann. Zugleich war dieser relativ stabile Entwicklungsweg aber auch das Resultat der Mobilisierung der radikalisierten modernen Mittelklasse, der ArbeiterInnen und mostazafin, die für ihr Engagement in Revolution und Krieg gewisse Zugeständnisse im sozialen Bereich erhielten.15
Der Tod Khomeinis, die Übernahme der Position des Revolutionsführers durch Khamenei sowie das Ende des Krieges mit dem Irak machten Ende der 1980er Jahre Veränderungen in der Ausrichtung der IR und ihrer Strukturen notwendig. In diesen Prozessen kamen massive Flügelkämpfe im herrschenden Lager zum Ausdruck. Khamenei besaß weder das Charisma Khomeinis, noch dessen Führungs- und Vermittlungsfähigkeit. Auch verfügte er nicht über die eigentlich nötigen religiösen Referenzen für diese Position.16 Anders als Khomeini wurde er nicht als überfraktionell wahrgenommen, sondern dem Konservativen Lager zugerechnet.
Die Ernennung Khameneis sowie die Präsidentschaft Ali Akbar Haschemi Rafsanjanis brachte nicht nur konstitutionelle Modifikationen mit sich, sondern steht vor allem für die Überhandnahme der wirtschaftsliberal und kapitalistisch ausgerichteten Fraktion in der IR. Die Folge war eine viel stärker marktorientierte Ausrichtung der Wirtschaftspolitik. Ansari merkt diesbezüglich an: „In der Abwesenheit von Khomeinis Charisma musste eine neue Regelung gefunden werden, welche die unterschiedlichen Gruppen in ein enges Netzwerk kommerzieller Eigeninteressen zusammenband. Die Konsequenz war eine Allianz der Interessen der merkantilen Bourgeoisie, konzentriert aber nicht reduziert auf den Bazaar, und der Präsidentschaft Rafsanjanis, der mit dem Aufbau einer stark am eigenen Image orientierten loyalen Bürokratie fort fuhr. Rafsanjani würde mit den Interessen der Handels- und Kaufmannsklasse im Kopf regieren ,was sich mit seinem eigenen kommerziellen Hintergrund deckte, während der Bazaar half, seine Präsidentschaft zu finanzieren.“17
In diesem Prozess wurden jene Fraktionen der IR, welche die mostazafin repräsentierten, politisch marginalisiert. Aber auch Teile der Staatsstruktur gewordenen militärischen Gruppen und Milizen der pasdaran und basidji wurden relativ an den Rand gedrängt. Schließlich war der Krieg vorbei und man wollte zu wirtschaftlicher Prosperität zurückkehren und einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise des Landes finden. Ein militarisierter Staat und eine allein an radikalen ideologischen Agenden orientierte Politik war für dieses Projekt eher ungünstig.
Auch wenn die IR ihre Herrschaft in den 1990er Jahren festigen konnte und die Kapital-orientierten und konservativen Fraktionen zunächst die Oberhand behielten, war dies keineswegs ein stabiler Zustand. Vielmehr hatten die Ende der 1980er Jahre einsetzenden strukturellen Verschiebungen in der IR die z. T. bereits zuvor bestehende Fraktionierung innerhalb des politischen Spektrums weiter an Bedeutung zugenommen und die Wahrscheinlichkeit von Rissen innerhalb des Herrschaftsverbandes erhöht. Verkürzt und etwas zugespitzt können die seit den späten 1980ern formierten Fraktionen wie folgt dargestellt werden.

Politische Fraktionen in den 1990ern
Im rechten Spektrum bildeten sich zwei wichtige Flügel, aus denen sich die wirtschaftliche und politische Machtelite zusammensetzt. Einerseits das Lager um Rafsanjani, das für eine moderatere gesellschaftspolitische Position und eine industriell-kapitalistische Wirtschaftsausrichtung stand. Diese Gruppe wird oft als „Moderne Rechte“ bezeichnet. Rafsanjani und seine Gruppe repräsentieren vor allem die reich gewordene Schicht der mit dem Staat verbundenen „Mullah Millionäre“, die den Iran heute wirtschaftlich dominiert. Wie kein anderer verkörpert Rafsanjani, dessen eigenes Vermögen beträchtlich ist, die in den letzten 30 Jahren zustande gekommene Fusion von Bazaar und Klerikern, deren religiösen Stiftungen (bonyads) von der Privatisierungspolitik der 1990er am meisten profitieren konnten.18 In den verarmten und von Inflation, Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen geplagten Teilen der Bevölkerung ist diese Fraktion der iranischen Herrschenden wegen ihres Reichtums, ihrer Vetternwirtschaft sowie der von ihr propagierten Politik der ökonomischen Liberalisierung und Privatisierung besonders verhasst.
Eine zweite Fraktion kann als traditionelle Rechte bezeichnet werden. Diese Gruppe, die in engen Verbindungen zum Revolutionsführer Khamenei steht, zeichnet sich durch eine gesellschaftspolitisch konservativere Politik aus, unterstützt aber ebenfalls eine Bazaar-orientierte, freie Marktwirtschaft.

Die Linken Islamisten der 1980er Jahre sind als solche nicht mehr existent bzw. haben sie ihre Ausrichtung verändert. Große Teile von ihnen gehören heute dem Reformlager an. Folglich spielten sie vor allem in der Regierung des Reformers Khatami (1997-2005) eine wichtige Rolle. Sie sind im gesellschaftspolitischen Bereich die fortschrittlichste Gruppe. So zeichnet sie sich durch die Forderung nach einer politischen Öffnung, Pressefreiheit, einer Beschränkung der autoritären Elemente der IR und einem Ende der harschen Moralgesetzgebung aus. Im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich haben sie jedoch ein schwaches Profil und tendieren diesbezüglich teilweise zur liberalen Position der Modernen Rechten. Hauptsächlich werden sie unterstützt von Angehörigen der modernen Mittelklasse, Studierenden und Frauen. Weil auch die ArbeiterInnen ein elementares Interesse an mehr demokratischen Rechten haben, finden sich auch unter diesen noch immer AnhängerInnen der Reformer. Allerdings verhinderte deren wirtschaftspolitische Ausrichtung, ihre Privatisierungs- und Liberalisierungspolitik, eine aktive Unterstützung durch breite Teile der ArbeiterInnenklasse und der mostazafin.

Die Präsidentschaft Ahmadinejads
Eine neu entstandene Fraktion kann als Neo-Islamisten bezeichnet werden und wird durch Ahmadinejad repräsentiert. Diese dominierten in den letzten vier Jahren die politische Szenerie. Der Machtantritt Ahmadinejads 2005 repräsentiert den (Wieder-)Aufstieg eines seit den 1990er Jahren marginalisierten Flügels der IR, nämlich dem der Pasdaran und Basijis. In ihrer eigenen Wahrnehmung hatten diese im Kampf gegen die interne Opposition und im Krieg mit dem Irak ihr Blut für „Islam“, „Vaterland“ und „Revolution“ vergossen, blieben danach aber vom Zugang zu den Machtpositionen im Staat ausgeschlossen. Mehr noch: sie mussten mit ansehen, wie hohe Kleriker ihr Vermögen vermehren, sich an den Schalthebeln der Macht festsetzten konnten, und die puritan-islamische Vorstellung von Moral der frühen Jahre nicht genügend beachtet wurde und so die Ideale der Revolution verraten wurden. Durch die Wahl Ahmadinejads konnten sie demgegenüber endlich „einen der ihren“ an die Macht bringen. Dieser revanchierte sich, indem er seine alten Kampfgenossen aus den Pasdaran in zentrale Machtpositionen hievte und diese auch wirtschaftlich bedachte. So wurden z.B. staatliche Aufträge im Infrastrukturbereich vermehrt an die Pasdaran oder ihnen nahestehenden Personen vergeben und neue Ressourcen für Streitkräfte bereitgestellt. Ahmadinejads Strategie zur Machtübernahme und deren Konsolidierung setzte da an, wo die Reformer gescheitert waren: Er präsentierte sich als Vertreter der „kleinen Leute“, der mostazafin, und trat mit dem Versprechen an, „das Ölgeld zurück auf die Tische der Armen“ zu bringen. Damit knüpfte er an die populistischen und sozial-egalitären Diskurse der Iranischen Revolution an, während er gleichzeitig eine gesellschaftspolitisch konservative Position einnahm. Das von ihm heraufbeschworene Feindbild war die von der Bevölkerung verhasste Elite, die „Tausend reichsten Familien“ 19.
Realiter änderte Ahmadinejad nur wenig an der wirtschaftlichen und sozialen Krise des Landes. So hatten Programme wie das groß angekündigte „Justice Shares“20 aufgrund der galoppierenden Inflation wenn überhaupt nur negative Effekte auf die Lebensverhältnisse der meisten IranerInnen. Es ist relativ offensichtlich, dass die Regierung versuchte, über politisch geprägte Distributionsinstitutionen klientelistische Verbindungen zu bedienen und so einen stabilen Wahlblock für sich zu schaffen. Dass Ahmadinejad entgegen seinen Beteuerungen nicht wirklich auf Seiten der mostazafin stand, drückte sich auch in den Repressionsmaßnahmen gegenüber ArbeiteraktivistInnen, z.B. streikenden BusfahrerInnen, während seiner Präsidentschaft aus.

Iran von außen
Diese innenpolitischen Widersprüchlichkeiten werden in den internationalen Debatten indes kaum wahrgenommen. Hier ist Ahmadinejads Konfrontationskurs in der Frage der Atomwaffen sowie sein offener Antisemitismus das alles bestimmende Thema. Kaum einmal werden seine außenpolitischen Manöver im Kontext politischer Krisen und Auseinandersetzungen im Iran selbst diskutiert. Dabei ist die Strategie, innenpolitische Konflikte durch das Schüren außenpolitischer Krisen zu neutralisieren, kein neues oder spezifisch iranisches Phänomen. Bereits die berühmte US-Botschaftsbesetzung 1979 in Teheran fand vor dem Hintergrund sich zuspitzender innenpolitischer Konflikte zwischen den unterschiedlichen revolutionären Gruppen statt. Die Kanalisierung der Debatten in Richtung „Antiimperialismus“ gegen den „großen Satan USA“ ermöglichte es Khomeini, die neue Verfassung des Irans rasch in einem Referendum verabschieden zu lassen. Ähnliches versuchte Ahamdinejad in den letzten vier Jahren. Seine jüngsten den Holocaust leugnenden Bemerkungen machte er nicht zufällig am 18. September, als Tausende DemonstrantInnen den offiziellen staatlichen Feiertag am Al-Quds-Tag nutzten, um wieder gegen die Regierung auf die Straße zu gehen. So versucht Ahamdinejad immer wieder, von der innenpolitischen Krise abzulenken. Und das mit Erfolg: die internationalen Medien konzentrierten sich erneut fast ausschließlich auf seine Äußerungen und die gleichzeitig stattfindenden Proteste rückten aus dem Blickfeld. Umgekehrt übt auch die Haltung der Weltmächte gegenüber dem Iran einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die innenpolitische Entwicklung aus. So ist es kein Zufall, dass die iranische Opposition und Reformbewegung in der Bush-Ära ein marginales und schwaches Dasein fristete. In der aufgeheizten Stimmung eines nahenden Krieges konnte Ahmadinejad zumindest auf die passive Solidarität der IranerInnen gegen ausländische Interventionen vertrauen. Oppositionelle Stimmen wurden schnell als Agenten des Westens und des Imperialismus zum Schweigen gebracht. Auch wenn ein solches Vorgehen nach wie vor angewandt wird, stößt es in der Bevölkerung nun – in einem durch die Neuausrichtung der US-Administration veränderten (geo-)politischen Klima – auf weniger Zustimmung.

Conclusio
Insgesamt ist die Protestbewegung vor dem Hintergrund jener Widersprüche zu betrachten, welche die Geschichte des Iran in den letzten 30 Jahre prägen: diese verlaufen nicht nur zwischen revolutionären Idealen und kapitalistischer Entwicklung, sondern vor allem zwischen verschiedenen Interessensgruppen und Machtzirkeln innerhalb der IR. Im Zuge der daraus entstehenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfe werden immer wieder Fraktionen marginalisiert und von den bereits in sich ambivalent strukturierten Machtzentren ausgeschlossen bzw. in ihrem Zugang zu Ressourcen benachteiligt. Diese Entwicklung fand mit dem „Wahlputsch“, der damit signalisierten Exklusion der Reformer aus dem relativen politischen Eliten-Pluralismus der IR, und den daran anschließenden Entwicklungen ihren vorläufigen Höhepunkt. Dies signalisiert das Ende der IR wie wir sie bisher kannten, denn zu diesem Zeitpunkt scheint eine Annäherung der unversöhnlichen Fraktionen kaum mehr möglich.
Die Betroffenen dieser Machtkämpfe sind dabei nicht selten die von diesen Fraktionen angeblich repräsentierten Bevölkerungsschichten. Diese fordern dann entweder in – mehr oder minder – demokratischen parlamentarischen Wahlen ihr Stück vom Kuchen oder versuchen sich über Proteste auf der Straße Gehör zu verschaffen. Das Besondere an der aktuellen Bewegung ist die massenhafte Aktivierung und Partizipation breiter Teile der Bevölkerung, die aufs Neue das Schicksal der IR nicht den scheinbar unantastbaren Eliten überlassen wollen – Anleihen an die Ereignisse von 1979 scheinen in dieser Hinsicht durchaus gerechtfertigt. Gleichzeitig werden in dieser „grünen“ Bewegung, trotz ihrer Heterogenität, die Kontinuitäten der Reformbewegung der 1990er Jahre augenscheinlich: dass die Vehemenz der sozialen Forderungen weit hinter den gesellschaftspolitischen zurückbleibt, ist hier wie dort charakteristisch. Diese politische Schwachstelle verhindert bisher, dass ArbeiterInnen und mostazafin ihren eigenen Interessen innerhalb einer breiten Bewegung für Demokratie und Freiheit organisiert Ausdruck verleihen können. Dass die bisher von der Reformbewegung getrennt verlaufenden, militanten Arbeitskämpfe und Ansätze zur Organisierung unabhängiger Arbeitskooperationen der letzten Jahre Eingang in die Bewegung finden, wird wohl maßgeblich über Erfolg sowohl der Arbeitskämpfe als auch der Oppositionsbewegung selbst entscheiden.

Anmerkungen
1 Ob ein Wahlbetrug stattgefunden hat oder nicht, ist nicht Gegenstand dieses Artikels. Zweifelsohne sprechen jedoch viele Anzeichen dafür. Für eine Analyse der Wahl siehe: Ali Ansari, Daniel Berman, Thomas Rintoul. Preliminary Analysis of the Voting Figures in Iran‘s 2009 Presidential Election. Veröffentlicht durch Chatham House und Institute for Iranian Studies, University of St. Andrews, 21 Juni 2009. http://www.chathamhouse.org.uk/publications/papers/view/-/id/755/
2 Die Kandidaten waren: einerseits Mohsen Rezai, ehemaliger General der Revolutionsgarden und Mitglied des Schlichtungsrates und Mahmud Ahmadinejad, amtierender Präsident des Irans, die dem konservativen Lager zugerechnet wurden, andererseits Mehdi Karroubi, langjähriger Präsident des Parlaments, sowie Mir Hossein Moussawi, die als Kandidaten der Reformer galten. Hunderte andere Kandidaten wurden vom Wächterrat von der Wahl ausgeschlossen.
3 Die Liste kreativer Aktions- und Protestformen könnte hier lange weiter geführt werden. Interessant waren zum Beispiel auch die Proteste am 18. September in ganz Iran, als wieder Zehntausende auf die Straßen gingen um zu demonstrieren. Der Al-Quds Tag („Jerusalem Tag“), welcher ein nationaler Feiertag ist und immer am letzten Freitag von Ramadan stattfindet, war von Ayatollah Khomeini ausgerufen worden um die Solidarität mit den Palästinensern zu demonstrieren. Dieser Tag ist normalerweise eine Gelegenheit für das Regime, um seine Stärke zu demonstrieren und staatliche Demonstrationen zu organisieren. An diesem Tag jedoch unterwanderte die Opposition die staatlichen Demonstrationen und nutzte die Möglichkeit, um gegen Ahmadinejad zu protestieren. Ein Spruch, der zum Beispiel versuchte, staatliche Dogmen zu dekonstruieren war „Ob in Gaza oder Iran, stoppt das töten der Menschen!“. Siehe: http://www.youtube.com/watch?v=sqyq9p9wDkM&feature=player_embedded.
4 Wobei schon viele mit dem Wahlbetrug gerechnet hatten und sich wahrscheinlich vorbereiteten auf die Straßen zu gehen.
5 Wobei an dem Begriff selbst auch einiges auszusetzen ist, vor allem wenn man beachtet, dass ein großer Teil der Uniabsolventen kaum Berufsperspektiven erwarten können und oft in der Arbeitslosigkeit oder im Billiglohnsektor landen. Der Umstand der Arbeitslosigkeit ist ein wesentlicher Faktor für die Unzufriedenheit unter Jugendlichen und Studierenden.
6 Die ermordeten Jugendlichen Neda Agha-Soltan und Sohrab Arabi gelten hier als Symbole, deren Bilder als zentrale Motive auf keiner Demonstration fehlen.
7 Siehe zu einer interessanten Auseinandersetzung mit der Verfassung der Islamischen Republik sowie Khomeinis Konzept der „Herrschaft der Rechtsgelehrten“ (velayat-e faqih) in: Vanessa Martin. Creating an Islamic State: Khomeini and the Making of a New Iran. London: I. B. Tauris, 2007.
8 Von 1979 bis zu seinem Tod 1989 behielt Ayatollah Khomeini diesen Posten selbst. Nach seinem Tod übernahm Ayatollah Khamenei dessen Position.
9 Republikanismus und der Bezug auf Demokratie ist jedoch keineswegs erst ein Produkt der Revolution gewesen. Diese haben in der politischen Debatte eine lange Tradition welche mindestens auf die Verfassungsrevolution von 1906-1911 zurückreicht. Diese „erste“ Revolution im Iran war und ist noch immer wichtiger Bezugspunkt für demokratische Bewegungen.Siehe: Janet Afary. The Iranian Constitutional Revolution 1906-1911: Grassroots Democracy, Social Democracy, and the Origins of Feminism. New York: Columbia University Press, 1996.
10 Siehe dazu übersetzte Statements von Moussawi auf www.khordaad88.com.
11 Einen wichtigen Beitrag leistete hierbei Ali Shari‘ati, ein von Frantz Fanons und anderen Theoretikern der so genannten „Dritten Welt“ beeinflusster iranischer Intellektueller, welcher eine radikale Interpretation des schiitischen Islam als Waffe gegen Imperialismus und Unterdrückung zu verwenden versuchte. Seine Theorie eines „revolutionären Islam“ beeinflusste weite Kreise von vor allem Studierenden und Schülern, welche in den 70er Jahren islamisch-revolutionäre Gruppen aufbauten. Viele Mitglieder der IR waren stark von ihm inspiriert und selbst Ayatollah Khomeini bediente sich Aspekte seiner Theorie (abgesehen von seiner Ablehnung des schiitischen Klerus als Institution). Siehe: Mansoor Moaddel. Class, Politics, and Ideology in the Iranian Revolution. New York: Columbia University Press (1992), 151f; Sami Zubaida. Islam, the People and the State: Political Ideas and Movements in the Middle East. London: I.B. Tauris (1993), 20-32.
12 Ervand Abrahamian. A History of Modern Iran. Cambridge: Cambridge University Press (2008), 167.
13 Ein großer Teil der städtischen Armen war erst seit kurzem vom Land in die Städte gezogen und hatten noch enge Verbindungen dorthin. Dieser Umstand prägte unter anderem auch die sozio-kulturelle Zusammensetzung dieser Gruppe.
14 Andreas Malm und Shora Esmailian. Iran on the Brink: Rising Workers & Threats of War. London: Pluto Press (2007), 35.
15 Peyman Jafari. After Spring comes Winter: The political economy of liberalisation and de-liberalisation in Iran, 49.
16 Khamenei war vom religiösen Rang her nur Hojatoleslam und nicht wie eigentlich vorgesehen Ayatollah. Um ihm zumindest den Schein der religiösen Legitimität zu verleihen wurde er mit Unterstützung Rafsanjanis und anderer konservativer Kleriker zum Ayatollah „ernannt“. Dieser Vorgang war unter anderen schiitischen Geistlichen, vor allem den Großayatollahs sehr umstritten und ist auch heute noch Ursache dafür, dass ihn viele hohe Geistliche aufgrund seiner fehlenden theologischen Qualifikation nicht anerkennen oder zumindest abschätzig betrachten. Siehe Wilfried Buchta. Who rules Iran? The structure of power in the Islamic Republic. Washington Institute for Near East Policy and Konrad Adenauer Stiftung, 2000, 86-88.
17 Ansari. Modern Iran, 243f.
18 Privatisierung ist dementsprechend eine fast unzureichende Beschreibung, da die Vergabe aufgrund von Netzwerken und Verbindungen stattfindet. Korruption und Vetternwirtschaft stellen hier zwei zentrale Aspekte dar und kennzeichnet das Verhältnis von politischer und wirtschaftlicher Macht.
19 Ein Begriff der früher auf die Elite der Pahlavi Dynastie angewandt wurde.
20 Dies bedeutete, dass ca. 40% der für die Privatisierung gedachten öffentlichen Anleihen an die Ärmsten und vom Staat abhängigen Familien verteilt werden sollten.