Auf der Jagd nach dem Paraguayischen Volksheer EPP ruft Präsident Lugo den Ausnahmezustand aus
Nach neuen Zwischenfällen mit der Guerilla verschärft Präsident Fernando Lugo in Paraguay die Sicherheitsmaßnahmen. Neben einer engen Militärkooperation mit Kolumbien und einer geplanten Änderung des Verteidigungsgesetzes wurde in fünf Departamentos der Ausnahmezustand ausgerufen. Doch statt des erhofften inneren Friedens sorgt dies nur für neue Querelen.
Vier Monate sind nun vergangen
seit der entführte Viehzüchter Fidel Zavala nach Zahlung eines
Lösegeldes von der Guerilla Streitkräfte des Paraguayischen Volkes
(EPP) freigelassen wurde. Die Suche nach den TäterInnen brachte nur
dürftige Resultate. Zwar konnte die Polizei recht bald medienwirksam
die ersten Verdächtigen festnehmen, jedoch bezogen sich die gegen sie
erhobenen Vorwürfe auf eine frühere Entführung. Erst Ende März, also
rund zwei Monate nach der Freilassung, wurden mit dem 22-jährigen
Diosnel Gill und der 20-jährigen Graciela Samaniego die ersten und
bisher einzigen Verdächtigen zum Fall Zavala gefasst. Beide werden dem
logistischen Bereich der auf insgesamt nur etwa 30 Personen stark
geschätzten Guerilla zugerechnet.
Mitte April ereignete sich jedoch im nördlichem Departamento Alto
Paraguay, das zum trockenen Chaco Gebiet gehört, eine Schießerei
zwischen dem 38-jährigem Severiano Martinez und einer Gruppe
PolizistInnen. Martinez gilt als Gründungsmitglied der EPP und einer
der Drahtzieher der sechs Jahre zurückliegenden Entführung und
Ermordung von Cecilia Cubas, Tochter des ehemaligen Präsidenten Raúl
Cubas. Er soll sich jedoch inzwischen von der Gruppe entfernt haben.
Sowohl Martinez als auch die Polizeikräfte erlitten bei der
Auseinandersetzung Schussverletzungen, ebenso wie der Verwalter einer
nahegelegenen Ranch. Martinez gelang dennoch die Flucht in die Berge.
Trotz eines Aufgebots von etwa 150 Polizeikräften gelang es in der
Folge nicht, ihn aufzufinden. Es wird vermutet, dass er sich mit Hilfe
von AnwohnerInnen nach Brasilien abgesetzt habe. Zwei Bauern der Gegend
wurden deswegen verhaftet. Nur vier Tage später brachte eine erneute
Schießerei in Arroyito im Departamento Concepción vier Menschen den
Tod. Ein Polizist sowie mehrere Sicherheitsleute der Estancia „Santa
Adelia“ waren bei einem Erkundungsritt aus Anlass eines Viehdiebstahls
aus dem Hinterhalt heraus angegriffen worden. Die Täter seien etwa fünf
bis sieben mit Sturmgewehren bewaffnete Männer gewesen, wobei nicht
klar ist, ob es sich dabei um Mitglieder der EPP gehandelt hat.
Da auch bei dieser Auseinandersetzung niemand der Verdächtigen gefasst
werden konnte, sah sich der einst als sozialer Hoffnungsträger
angetretene Präsident Fernando Lugo unter Zugzwang. Sein Vorgänger
Nicanor Duarte beispielsweise nannte die erfolglose Suche einen Beweis
dafür, dass Lugo selbst der Kopf der Guerilla sei, ein Vorwurf, den die
generell konservative, zum Klatsch neigende paraguayische Presse schon
lange verbreitet. Aus Argentinien lästerte es, dass sich Paraguay auf
der Suche nach dem Jasy Jatere befinde, einer populären Figur der
Guaraní Mythologie, die der Sage nach unsichtbar von Dorf zu Dorf
zieht. Wie um es also seinen KritikerInnen zu zeigen, griff Lugo auf
das stärkste sicherheitspolitische Instrument zurück, das ihm zur
Verfügung steht: Den Ausnahmezustand. Dieser ermöglicht es den
Sicherheitskräften in Fällen starker Bedrohung der öffentlichen Ordnung
auf Zustimmung des Parlaments Personen ohne richterlichen Haftbefehl
festzunehmen, sowie öffentliche Versammlungen und Demonstrationen
einzuschränken oder ganz zu verbieten. Eine zeitgleich auf den Weg
gebrachte Änderung des Verteidigungsgesetzes soll künftig der Regierung
außerdem ermöglichen, Militär auch ohne den Ausnahmezustand
gleichberechtigt neben Polizeikräften im Land einzusetzen.
Der Erlass gilt nur für die nördlichen Departamentos von Amambay, San
Pedro, Concepción, Villa Hayes und Alto Paraguay, die das Zentrum der
Guerilla und das Armenhaus des Landes sind. Mit Ausrufung des
Ausnahmezustandes wurden mit der unter dem Namen Py‘a Guapy („Ruhe“ auf
Guaraní) firmierenden Operation 3.300 SoldatInnen und etwa 300
PolizistInnen dorthin verlegt. Die Dauer des Einsatzes wurde erst durch
eine Intervention des Parlaments um die Hälfte auf die in der
Verfassung vorgesehenen 30 Tage gekürzt. Auf dem Treffen der UNASUR
fand die Entscheidung zwar Rückendeckung durch die südamerikanischen
Regierungschefs, bereitet jedoch dennoch vielen Menschen im Land
Kopfschmerzen. Zum einen, da während der jahrzehntelangen, 1989 zu Ende
gegangenen Diktatur von General Alfredo Stroessner eben solch ein
Ausnahmezustand nahezu durchgehend galt. Zum anderen, weil soziale
Organisationen fürchten, dass der Terrorismus lediglich als Vorwand
diene, um gegen ihre Arbeit vorzugehen und reiche
GroßgrundbesitzerInnen in Sicherheit zu wiegen.
Paraguay, in dem die Armee traditionell eine besonders starke
innenpolitische Rolle spielt, steuert jedoch nicht erst seit dieser
Entscheidung in Richtung Militarisierung. Bereits im Laufe der
Entführung Zavalas kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit Kolumbien,
das ja bereits einige Erfahrung im Antiterrorkampf gesammelt hat. Die
dort beheimatete FARC soll in engem Kontakt mit den Mitglieder der EPP
stehen und diese ausgebildet haben. Seit Mitte vergangenen Jahres hat
Kolumbien bereits mit einer Reihe mittelamerikanischer Länder wie
Mexiko, Guatemala, Honduras, Panama und El Salvador
Kooperationsabkommen geschlossen, die technische BeraterInnen in der
Aufstandsbekämpfung sowie dazu passendes Kampfgerät in das jeweilige
Land bringen. Auch von der US-amerikanischen Botschaft wird diese
sicherheitspolitische Ausbildung unter anderem durch die Entsendung von
Personal gefördert. Sie selbst brachten dieses Konzept damals im Rahmen
des Plan Colombia nach Kolumbien. Nun hat Paraguay ein eben solches
Abkommen geschlossen und lobt die Beziehungen zu Kolumbien
infolgedessen als die besten des Kontinents.
Dies stößt jedoch nicht nur bei linken Kräften auf Widerspruch. Auch
beim paraguayischen Verteidigungsminister Luis Bareiro Spaini regte
sich Protest, da er sich durch die Maßnahmen hintergangen sah. Doch
dessen Zeit dürfte bald gekommen sein, da er ferner hinter Lugos Rücken
einen Brief an die US-Botschaft geschickt hat und darin über seinen
Vorgesetzten herzog. Auch wird seiner fehlenden Organisation ein
Zusammenstoß zwischen Militärs und Polizei im Rahmen des
Ausnahmezustands angelastet. Bei einem Zugriff in Hugua Ñandu hielten
Armeeangehörige nicht nur die Geburtstagsfeier einer Fünfzehnjährigen
für ein mafiöses Zusammenkommen, sondern außerdem hiesige PolizistInnen
für Mitglieder der EPP. Nach einem kurzem Schusswechsel wurden sie mit
Gewalt überwunden. Ein wahres Meisterstück an Misserfolg, bei dem es
nur dank großen Glücks keine Toten gab.
Der Innenminister Rafael Fillizzola nennt die bisherige Bilanz des
Ausnahmezustandes aber dennoch erfolgreich, und verweist auf rund 150
Verhaftungen. Er verschweigt dabei jedoch, dass fast alle Festnahmen
wegen fehlender Dokumente, Betrug oder sexuellem Missbrauchs erfolgten.
Mit Julián de Jesús Ortiz konnte lediglich ein Guerillero gefasst
werden, wobei jedoch auch ihm keine Mitwirkung an der Entführung
Zavalas angelastet wird. Seine Festnahme fand außerdem kurioserweise im
Departamento Boquerón statt, in dem der Ausnahmezustand eben gerade
nicht gilt. Außerdem scheint mit dem Osten des Landes ein Brennpunkt
nun völlig vergessen zu werden. In diesem Grenzgebiet zu Brasilien
floriert die organisierte Kriminalität und just drei Tage nach
Ausrufung des Ausnahmezustandes kam es dort zu einem Mordversuch auf
den Senator Roberto Acevedo. Dieser überlebte und sieht die Schuld bei
der Polizei, die mit den Narcos unter einer Decke stecken würde.
Gleiches lässt auch die brasilianische Seite verlauten, die sich häufig
Schusswechsel mit korrupten paraguayischen Militärs liefere, welche die
Drogenschmuggler bei der Grenzüberquerung schützen würden. Die EPP sei
gegen dieses Vorfälle lediglich ein „Kinderspiel“.
Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass vieles über die EPP
immer noch im Dunkeln liegt und so der Spekulation und Denunziation
alle Türen geöffnet sind. So wurde ein vermeintlicher Diebstahl von
Polizeigewehren erst der Guerilla zugeschrieben, um dann die TäterInnen
doch in den eigenen Reihen auszumachen. Selbiges passierte einem
Landarbeiter, der einen Überfall auf eine Estancia zur Anzeige brachte,
die vermissten Lebensmittel jedoch selbst unter seinem Bett gehortet
hatte. Dies nahm die Presse sofort als Anlass, ihn selbst der Guerilla
zuzurechnen. Präsident Lugo sitzt trotz all diesem Theater sowie Kritik
von links und rechts derzeit relativ fest im Sattel. Aus dem Parlament
werden zwar immer wieder Stimmen nach einem Amtsenthebungsverfahren
laut, was jedoch inzwischen aufgrund der Häufigkeit schon als typische
politische Folklore des Landes gelten kann. Da im November
Kommunalwahlen anstehen und das Bündnis Frente Guasu erstmals in der
Geschichte die linken Kräfte des Landes bündelt, wird sich dies in den
folgenden Monaten sicherlich noch verstärken. Dabei bleibt nur zu
hoffen, dass Lugo dagegen nicht weiter auf die Politik der harten Hand
setzt.
Text: // Tobias Wallusch
Ausgabe: Nummer 432 - Juni 2010
Weitere Artikel zum Thema Paraguay:
- Ein Gespenst geht um
- Lugo scheut den Landkonflikt
- Der zwiespältige Boom
- Die Sicht der Betroffenen
- Von Wandel keine Spur