vegane programmatik mit vielen ballaststoffen

Der prager frühling ließ über den Programmentwurf der LINKEN abstimmen

8703 Zeichen ist das am 20. Oktober 1891 in Erfurt verabschiedete Programm der SPD lang. Neben dem Entwurf des Parteivorstandes lagen drei weitere Entwürfe vor. Zwei davon – jener des Vorstandes nicht darunter – gefielen der Programmkommmission so gut, dass man daraus einen machte und das Schriftwerk ohne Gegenstimmen durch den Parteitag brachte.

Wenn DIE LINKE sich in diesem Jahr auf ein neues Erfurter Programm verständigt hat, wird wohl einiges anders gelaufen sein. Einerseits würde heute wohl kaum ein Ältestenrat eines Kreisverbandes der LINKEN den Versuch wagen, mit einem derart schlanken Text auch nur die Geschehnisse auf seiner Weihnachtsfeier zu beschreiben. Andrerseits ist schon im Vorfeld des 11ten Parteitags der Mut zur programmatischen Diät zumindest inhaltlich erkennbar. Meckern gilt ebenso wenig wie bange machen – also hat der „prager frühling“ auf seiner Internetseite zur Abstimmung gerufen. Subjektivität ist nicht Sache der pf-Redaktion. Ein Abstimmungsmodus, der Zitate von vornherein in gute und schlechte trennt, ist lediglich als emanzipatorische Entscheidungshilfe zu betrachten!

Bei den guten Zitaten sehr auffällig: Nur 5% finden „neue Formen der Politik von unten“ wichtig, wobei als „neue Formen“ Generalstreik und politischer Streik als Beispiele dienen – ganz was Neues also. Bei diesem wichtigen Thema hätte man mit Angeboten wie „Abstimmung mit den Füßen“, „Damenwahl“ oder „Votum per Scrotum“ sicherlich mehr Schwung in den Moskwitsch gebracht. Der Renner unter den guten Zitaten war die originelle Forderung, „alle gesellschaftlichen Verhältnisse zu überwinden, in denen Menschen ausgebeutet, entrechtet und entmündigt werden und in denen ihre sozialen und natürlichen Lebensgrundlagen zerstört werden.“ 35% fanden den Satz toll, welcher auch Pol Pot oder dem Dalai Lama gelungen sein könnte und den man Reinhard Mey niemals zeigen darf, da dieser ihn spornstreichs zum Refrain einer zwölfstrophigen Ballade machen würde! Ebenfalls gut zu finden hatten die Leserinnen und Leser die Abschaffung des Ehegattensplittings. Bis auf ganze 4 % war dieser Steuerkram ihnen jedoch wurstepiepe.

Kommen wir zur Abteilung Igittigitt. Dass nur 22% des libertären Lesekreises „die Staaten und die Weltgesellschaft“ nicht als „Geisel der Vermögensbesitzer und Spekulanten“ bezeichnen mögen, ist enttäuschend, denn diese in Buchstaben gegossene, antisemitische Stürmer-Karikatur gehört mit aller Entschiedenheit aus dem Programm geblasen. Aber immerhin – hier gab es die meiste Ablehnung. Ähnliche Abneigung erfuhr die Feststellung: „Die Grundlage für die Entwicklung der Produktivkräfte ist heute und auf absehbare Zeit die Erwerbsarbeit.“ Um diesen Satz herum sollte man in der Tat getrost noch eine Girlande aus dem Schatzkästchen der Skat-Runden auf deutschen Dauercampingplätzen hängen: „Es hat sich schon mal einer totgemischt“, „Mit Geduld und Spucke fängt man eine Mucke“ oder „Immer mit der Ruhe fährt der Pastor in die Schuhe“ würden in ihrer eben so müden wie antiken Spaßigkeit hervorragend neben das leistungschauvinistische Mantra der gewerkschaftlichen Sonderpädagogik passen.

Es bleibt also spannend. Versteckt ist die programmatische Schonkost übrigens in 130.556 Zeichen und damit ein wenig länger geraten, als die Kautsky-Bernstein-Synthese von 1891. Aber bis zum Herbst ist ja noch ein wenig Zeit für Muße. Wie würde der Skatbruder sagen? An der Eichel spielt der Knabe!

Autor:

Uwe Schaarschmidt aus Dresden blickt versonnen auf das 19. Jahrhundert zurück, als der Kommunismus nichts weniger war, als ein wissenschaftlicher Terminus aus der politischen Ökonomie und MTV seine besten Zeiten noch vor sich hatte.