Nicht die Armen, die Reichen sollen zahlen!

Die Vorschläge der KPD zur Steuerpolitik vor 90 Jahren

Es ist immer wieder dasselbe: Die Staatskasse ist leer. So fragte man sich auch vor 90 Jahren in Deutschland: Wer soll für die explodierende Staatsverschuldung infolge der im Versailler Vertrag fixierten Reparationszahlungen an die Sieger des Ersten Weltkrieges aufkommen?

Gegen Ende des Jahres 1921 drohte deren einseitige Abwälzung auf die Arbeiterschaft mittels höherer Verbrauchersteuern. Dagegen forderte die KPD eine Erhöhung der Vermögenssteuern und eine Erfassung der Sachwerte. Sie versuchte, diese Forderungen im Sinne der zuvor auf ihrem Jenaer Parteitag im August 1921 beschlossenen Einheitsfrontpolitik anzugehen.

Der damalige KPD-Vorsitzende Ernst Meyer schrieb in der »Roten Fahne«, dem Organ der Partei, Leitgedanke der Kommunisten in der Steuerpolitik sei die »Abwehr der Verschlechterung der Lebenslage der breiten Massen« und die »Abwälzung aller Lasten auf die Besitzenden«. Daher werde die KPD in den Parlamenten »alle die Lebenshaltung des Proletariats verschlechternden Steuern ablehnen«. Vor allem aber und im Gegensatz zu den anderen Parteien werde sie versuchen, »mit allen außerparlamentarischen Mitteln einen Druck auf die Regierung und das Bürgertum zur Abwehr der Steuern« auszuüben. Wenn die Kommunisten neue Steuern nicht verhindern könnten, würden sie den Kampf um die Erhöhung der Löhne verstärken. Hauptaufgabe der KPD sei, »alle Kräfte des Proletariats für diesen außerparlamentarischen Kampf zu sammeln«. Dabei wäre man sogar bereit, die ungenügenden Vorschläge der anderen Arbeiterparteien zu unterstützen, »wenn sie Anlass zur Einleitung von Kämpfen geben und dadurch die Bildung der Einheitsfront des gesamten Proletariats gegenüber den Kapitalisten beschleunigen«. Für Meyer war dabei der Kampf um »Teilziele« in der Steuerpolitik mit dem kommunistischen »Endziel« verbunden, wie er auf einer Parteiversammlung im November unterstrich: »Wir führen Steuerkämpfe, um die Machtverhältnisse zu ändern«.

Mit der von der KPD 1921 geforderten Erfassung der Sachwerte war die anteilige Übernahme von Aktien, Anleihen, Grundbesitz, Fabriken und Bergwerken durch den Staat gemeint. So sollten die Schulden abbezahlt sowie höhere Löhne und eine aktive Sozialpolitik finanziert werden. Mit dieser Forderung hoffte man, gemeinsame Abwehraktionen aller Arbeiter zu erreichen. Denn auch die Gewerkschaften und die SPD stellten solche Forderungen auf. Die KPD schlug deren Vorständen vor, gemeinsam das arbeitende Volk für die Durchsetzung einer Sachwerteerfassung sowie zugleich zur Verteidigung des Acht-Stunden-Tages und des Streikrechts zu mobilisieren.

In einem »Politischen Rundschreiben« erklärte die KPD-Zentrale, die Sachwerteerfassung sei »ein Hebel, um revolutionäre Teilkämpfe zu entfesseln und diese Kämpfe über das bloße Gebiet des Steuerkampfes zu einer allgemeinen Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie hinauszutreiben«. Diese Erklärung war auch insofern notwendig, weil die Kampagne zur Sachwerteerfassung in der KPD selbst keineswegs unumstritten war. Der linke Flügel der Partei hielt sie für unzureichend und reformistisch und kritisierte die Zentrale daher scharf. Meyer entgegnete in einem Artikel für die »Inprekorr«, Zeitung der Komintern, die Forderungen nach Sachwerteerfassung sei zwar »keine rein kommunistischen oder an sich revolutionären. Sie können unterstützt werden und werden erhoben von allen Arbeiterorganisationen. Aber der Versuch ihrer Durchsetzung bedeutet Aufnahme des verschärften Klassenkampfes gegen alle bürgerlichen Parteien, die sich mit allen Machtmitteln der Verwirklichung dieser Forderungen entgegensetzen werden ... Schon der Versuch ihrer Durchsetzung bedeutet Ablehnung jeder Koalition mit den Bürgerlichen und in weiterer Konsequenz den Versuch, eine bürgerlich-parlamentarische Regierung durch eine rein-sozialistische zu ersetzen«.

Hier wurde also Einheitsfrontpolitik als revolutionäre Realpolitik propagiert. Es gelte, Forderungen zu erheben, die im Interesse der gesamten Arbeiterschaft liegen, auch von den anderen Arbeiterorganisationen geteilt werden und eine zugespitzte Auseinandersetzung mit dem Kapital erfordern. Zu ihrer Durchsetzung wurde vor allem auf außerparlamentarische Aktionen orientiert, die über den Rahmen der parlamentsfixierten Politik der Sozialdemokratie hinauswiesen und zugleich auf ein Ende der bisherigen sozialdemokratischen Politik der Koalitionen mit bürgerlichen Parteien hinwirken sollten, womit sich für die KPD die Frage erhob, ob sie »Arbeiterregierungen«, also Kabinette aus SPD und USPD, fordern und unterstützen oder in diese gar eintreten sollte. In der Tat kam es zwei Jahre später dazu in Sachsen und Thüringen. 

 

Erstveröffentlichung in ND-online, 31.12.2011, http://www.neues-deutschland.de/artikel/214397.nicht-die-armen-die-reichen-sollen-zahlen.html?sstr=Florian%7CWilde