Bürokratische Fanfaren und heiße Luft

Das militärische Engagement in Somalia ist gescheitert

Aus Sicht der westlichen Interventionsstaaten war die Brüsseler Somalia-Konferenz „New Deal for Fragile States“ ein „historischer Tag für Somalia“. Für die von Hunger und Gewalt geplagten Menschen vor Ort war sie die Wiederholung bürokratischen Fanfaren, gefüllt mit der heißen Luft sicherheitspolitsicher Demagogie.

 

Bereits im September 2012 läuteten diese Fanfaren. Ein Meilenstein sei erreicht worden als in Mogadischu nach 20 Jahren Bürgerkrieg eine neue Bundesregierung berufen wurde und die 12 Jahre andauernde Übergangsperiode ablöste.

Der Britische Premierminister zog so­gar Parallelen zum Arabischen Frühling. Die jüngste EU-Konferenz macht allerdings vielmehr deutlich, dass sich die westlichen Akteure mit der Frag­mentierung und Zerspaltung Somalias abgefunden haben.

Das militärische Engagement sowohl der Europäischen Union als auch der Afrikanischen Union (AU) ist gescheitert.

 

Nebelbomben

Die Geberländer einigten sich in Brüssel darauf die Entwick­lungszusammenarbeit (EZ) auf einen raschen Staatsaufbau zu fokussieren. Wie dies funktionieren soll, ohne vorher einen sozialen und politischen Ver­söhnungsprozess zu gewährleisten, zeigt wie wenig die Beschlüsse von Brüssel mit der Realität in Somalia gemein haben.

Der in Brüssel beschlossene Pakt zwischen Geberlän­dern und Somalia ist somit vielmehr eine Nebelbombe, mit der die EU versucht zu verschleiern, dass sie sich längst mit der Balkani­sierung von Somalia abgefunden hat. Dies belegt auch das jüngste Briefing des britischen UN-Sondergesandten der UN­POS Nicholas Kay an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, welches der Brüsseler Konferenz vorangegangen war. Darin erscheint die installierte Bundesregierung von So­malia lediglich formal als von den Geberländern unterstützt. In Wirklichkeit haben sich die EU und die UN offenbar längst mit der Fragmentierung einzelner Machtzentren in Somalia abgefunden und auf diese eingestellt.

 

Legitimierung

Die Brüsseler Konferenz war wohl deshalb notwendig, um die Legitimierung des bisherigen Besitzstandes neu zu definieren. In dem während der EU-Geberkonferenz in Brüssel verabschiedeten „Somali Com­pact“ wurde zwar eine Finanzspritze von 1,8 Milliarden Euro beschlossen, wovon 650 Millionen Euro die Europäische Union beisteuert, doch es ist kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, nachdem nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisa­tion der Vereinten Nationen (FAO) allein zwischen Oktober 2010 und April 2012 mehr als eine Viertelmillion Menschen in Somalia verhungert sind. Die meisten davon sind Kleinkinder.

Um die Opfer der von den ausländischen Interventionen mit verursachten Krise und den seit 20 Jahren tobenden Bürgerkrieg geht es auch nicht. Die EU hat Somalia bereits in den letzten fünf Jahren mit 1,2 Milliarden Euro unterstützt. Über die Hälfte wurde für die Bekämpfung der Piraterie ausgegeben. Von den 90 Millionen Euro, die die Bundesrepublik zugesagt und an bestimmte Bedingung geknüpft hat, soll der Schwerpunkt im Aufbau der somali­schen Wirtschaft liegen.

 

Peacebuilding

Die darin als sog. Peacebuil­ding and Statebuilding Goals (PSG) formulierten Konditionie­rungen beinhalten u.a. die Aufforderungen an die sog. Bundesregierung Somalias zur Förderung inklusiver Politik des politischen Dialoges zur Klärung und Regelung ihrer Beziehungen zu parallel existierenden und neuentstehenden Machtzentren in Somalia (Ziel 1), eine Verpflichtung zur Verabschiedung einer Bundesverfassung bis Dezember 2015 (Ziel 2) sowie die Abhaltung von Wahlen im Jahre 2016 (Ziel 3).

Insofern bestehen erhebliche Zweifel, ob die avisierten Fi­nanzmittel überhaupt je abgerufen werden können. Ungewissheit besteht auch darüber, wie eine soziale und politische Versöhnung der somalischen Gesellschaft stattfinden kann, wenn die Mogadischu-Regierung, ihren Einflussbereich nur dank der militärischen Hilfe der AMISOM-Soldaten und der EU-Militärmissionen entfalten kann und sich vornehmlich auf die Stadt Mogadischu beschränkt.

Wie bereits im Februar und Mai 2012 während der „London Conference on Somalia (LCS)“, als 300 Millionen US-Dollar Hilfe bewilligt worden sind, sind auch bei der jüngsten EU-Ge­berkonferenz für Somalia die Rollen klar verteilt und das Drehbuch sichtbar einfach gestrickt: die von außen eingesetzte somalische Regierung wehrt sich im Namen der Demokratie standhaft gegen zu­meist „radikal islamische“ Aufständische, sonstige Spalter und Terroristen.

Der Westen übt aufrecht Solidarität und unterstützt die junge Regierung im Kampf gegen Piraterie und Gewalt.

Doch die neue Regierung geht ebenso leidenschaftlich bei der Bekämpfung der sozialen und wirtschaftlichen Antagonismen des Landes mit militärischen Mitteln vor wie bereits zuvor die Übergangsregierung.

Das Problem der faktischen Sezession weiter Landesteile Somalias, insbesondere nach der Verkündung einer Übergangs-Verfassung im August 2012 und der bewaffnete Aufstand der Al-Shabaab-Milizen, dessen Auftreten sich auf sonderbare Weise mit der Landkarte der so­zialen Unzufriedenheit und vom Machteinfluss ausgeschlossener Clans deckt, hat seine Hintergründe in politischen und sozialen Widersprüchen des Landes. Bewaffnete Opposition eignet sich die vorhandenen regionalen Animositäten und Ansprüche an und gewinnt so Unterstützung. Die vom Westen ausgespielte militärische Option und Verschleierung der sozialen Konflikte durch das Narrativ von Piraterie und Terrorismus heizt den Konflikt seit Jahrzehnten weiter an ist aber nicht in der Lage die sozialen Ursachen der Konflikte zu bekämpfen.

 

Stellvertreterkrieg

Mit inklusiver Politik der gesellschaftlichen Versöhnung, Stabilität und eines Neuanfangs hat auch das europäische militärische Engagement nichts zu tun.

Für die westlichen Geberstaa­ten könnte dies ohnehin gar kontraproduktiv sein, denn solange die Katastrophe andauert, können sowohl der Westen als auch inländische Warlords über ihre Krisen-Verwalter, sog. disaster entrepre­neurs, weiter­hin ihren Stellver­treterkrieg führen. Dies gilt auch für die als Handlanger dieses komplizierten Macht- und Einflusssys­tems bei militärischen Interventionen agierenden somalischen Nachbarstaa­ten wie Kenia, Äthiopien und andere. Der Bürgerkrieg sowie Maßnahmen ge­gen sog. Terrorismus und Piraterie sind somit paradoxerweise die einzig verbliebene Rechtfertigung des westlichen Engagements geworden und zugleich die Geschäftsgrundlage der so­mali­schen Eliten in der neuen Regierung.

Diese ist mehr an der Aufrecht­erhaltung der Katastrophe und mithin des Geldstroms zu deren vermeintlichen Behebung interessiert ist, da dieses in ihre pri­vaten Taschen fließt, als an der echten Stabilisierung des Landes.

 

Kein „failed State“ mehr?

Auch wenn Somalia seit Februar 2013 laut der Presseerklärung der Baroness Cathy Ashton kein „failed State“ mehr sei, vieles deutet darauf hin, dass auch die Brüsseler EU-Ge­berkonferenz in Wirklichkeit Ausdruck der Einsicht sein sollte, dass die seit nunmehr zwei Jahrzehnten engagierten ausländischen Akteure nicht mehr gewillt sind weitere Jahrzehnte den Anschein eines existenten zentralen Staatswesen zu erwecken.

 

Absicherung wirtschaftlicher Interessen

Eine von der somalischen Bevölkerung und nicht vom Westen anerkannte Regierung war und ist nicht vorhanden. Bis­lang reichte allerdings die Projektion aus um einen legitimierten Verhandlungspartner herbei zu fabulieren, wenn es um die Absicherung wirtschaftlicher Interessen ging, wie die Ausbeutung der somalischen Küstengewässer.

So trat die da­malige Übergangsregierung mit der sog. Roadmap faktisch die Übernahme der Verantwortung für souveräne Rechte an ausländische Akteure ab.

Im Schnellgang wurde Somalia die Verabschiedung einer Verfassung verordnetet ohne auch nur ansatzweise demokratisch legitimiert zu sein. Der Zustand einer atmenden aber längst für klinisch tot erklärten Regierung konnte auch in Brüssel nicht verborgen bleiben. Das belegt auch die neue Konferenz in Brüssel.

 

Fazit

Die von außen oktroyierte Politik ist gescheitert. Allen voran die Militärmissionen der UN und der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM) mit 17.000 Soldaten sowie der EU in Somalia, wie der Operation zur Be­kämpfung der Piraterie (Operation ATALANTA) mit der deutschen Fregatte Niedersachsen, die Aufklärungs- und Überwa­chungsaufgaben durchführt, sowie der EUCAP NESTOR mit deutschen Beratern in Dschi­buti oder der EU-geführten Ausbildungsmission für soma­lische Sicherheitskräfte in Uganda (EUTM SOMALIA).

 

Die offene Einsicht in dieses Scheitern würde, ähnlich wie die EU-Politik gegenüber Koso­vo, die bisherige Rechtfertigung der Interventionen zum Einsturz bringen.

 

Kamil Majchrzak