Rot-Grüne Atompolitik - Halb-Zeit

in (08.09.2000)

"Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser Legislaturperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt."

"Der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie wird innerhalb dieser Legisla-turperiode umfassend und unumkehrbar gesetzlich geregelt." So lautet der Kernsatz in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung zum Thema Atomkraft. Innerhalb von 100 Tagen sollte eine Atomgesetznovelle in den Bundestag eingebracht werden mit dem Ziel, den staatlichen Auftrag zur Förderung der Atomenergie zu streichen und die Vorsorge für den Schadensfall drastisch zu erhöhen. Angela Merkels Atomgesetznovelle aus dem Jahr 1998, die Enteignungsverfahren zur weiteren Erkundung der Salzstocks Gorleben vor-sah, sollte kassiert werden. Davon ist heute keine Rede mehr.

Weiter war angekündigt, die "Beschränkung der Entsorgung auf die direkte Endlagerung" gesetzlich zu fixieren. Damit war das Verbot der Wiederaufarbei-tung gemeint, bei der aus den ausgebrannten Reaktorbrennstäben Plutonium für die Fertigung neuer Brennstäbe extrahiert und der Atommüllberg unweigerlich um das Zehn- bis Fünfzehnfache vergrößert wird.

Mit dem Verbot der Wiederaufarbeitung zum 1. Januar 2000 scheiterte Bun-desumweltminister Jürgen Trittin schon wenige Wochen später; das Veto der Stromgiganten, mit denen konsensverhandelt wurde, fegte die Gesetzesnovelle Ende Januar 1999 vom Tisch. In dem "Atomkompromiß" vom Juni 2000 sucht man vergebens nach einer Passage, in der das Verbot der Wiederaufarbeitung fi-xiert wäre. Bis zum Jahr 2005 dürfen die Vertragspartner ihren Strahlenmüll noch in den Plutoniumschmieden La Hague (Frankreich) und Sellafield (Groß-britanien) abliefern; wie lange dann dort noch wiederaufgearbeit werden darf. Im Gegenzug wird zugesichert, daß jährlich zweimal die in Kokillen verfüllte ver-glaste Strahlensuppe in "Sixpacks" nach Deutschland rollt. Bislang gibt es nur einen Platz, an dem die Lagerung des WAA-Mülls erlaubt ist: Gorleben.

Als nächsten Schritt wollte die Bundesregierung ein Gesetz einbringen, "mit dem der Ausstieg aus der Kernenergienutzung entschädigungsfrei geregelt wird; dazu werden Betriebsgenehmigungen zeitlich befristet." So formuliert im Herbst 1998. Doch in der inzwischen vorliegenden Konsensvereinbarung findet sich kein Eingriff in die Betriebsgenehmigungen; vielmehr wird den Atomstrompro-duzenten zugestanden, noch einmal so viel Atomstrom zu erzeugen wie bisher, 2600 Terrawattstunden. Und zwar so flexibel, daß die Strommengen übertragbar sind von einem altersschwachen AKW, dessen Reparatur zu kostspielig würde, auf einen anderen Reaktor. Der Sicherheitsstandard wird auf dem heutigen Stand eingefroren.

Ungeniert behaupten die politischen Akteure, das sei nun der Atomausstieg, obwohl die Nutzung der Atomkraft abgesichert wurde - absehbar für weitere 25 Jahre. Der Bestandsschutz der Kraftwerke resultiert aus zwei Prämissen: Der Ausstieg sollte erstens im Konsens mit der Wirtschaft geregelt werden, und zweitens entschädigungsfrei. Das Konsensgeplänkel zog sich fast zwei Jahre hin, und die Strombranche kann nun getrost darauf warten, ob eine Folgeregie-rung das "Unumkehrbare" in den Vereinbarungen wieder umkehrt.

"Die Koalitionspartner sind sich einig, daß das bisherige Entsorgungskon-zept für die radioaktiven Abfälle inhaltlich gescheitert ist und keine sachliche Grundlage mehr hat." Ein einziges Endlager in tiefen geologischen Formationen sollte ausreichen. Die Suche nach einer geeigneten Endlagerstätte sollte neu ge-startet werden. Die Vereinbarung vom Juni 2000 hingegen läßt keinen Zweifel daran, daß man an den beiden Lagerstätten Salzgitter ("Schacht Konrad") und Gorleben festhält. Ein Moratorium in Gorleben wird nicht geologisch, sondern forschungspolitisch begründet, im Gegenteil, der bis dato von Sozialdemokraten und Grünen für ungeeignet gehaltene Salzstock gilt nun wieder als "eignungs-höffig". Was allerdings vorangeht, ist der Bau dezentraler, kraftwerksnaher Zwi-schenlager - damit die Anti-Castor-Proteste demnächst ausgetrocknet werden mangels Transport.

OSSIETZKY; unter Mitarbeit von Daniela Dahn, Dietrich Kittner und Peter Turrini herausgegeben von Rolf Gössner, Arno Klönne, Otto Köhler, Rein-hard Kühnl und Eckart Spoo, kommt alle zwei Wochen aus dem Haus der Demokratie und Menschenrechte, Berlin. Einzelheft 4.50 Mark, Jahresabo (25 Hefte) 100 Mark. OSSIETZKY_Abo-Service: Vordere Schöneworth 21, 30167 Hannover, Fon 0511-702526, Fax 0511-704483, e-mail inter-druck.berger@t-online.de