Konzeptionelle Blindstellen

Die Schwierigkeiten der feministischen Globalisierungskritik

In den meisten linken Debatten um die Globalisierungskritik spielen feministische Positionen weder als Instrument der Kritik noch als Angriffsfläche eine Rolle. ...

... Doch auch in feministischen oder genderfokussierten globalisierungskritischen Diskursen gibt es blinde Flecken und immer wieder reproduzierte Mythen. Worin bestehen diese, und wie ließe sich ihnen begegnen? Globalisierungskritische Stimmen mit feministischen Tönen wurden erst ab Ende der 90er Jahre laut. Bis heute handelt es sich dabei zumeist um akadeisierte Debatten, die von globalisierungskritischen Bewegungen wenig rezipiert werden. Die Politikwissenschaftlerin Brigitte Young führt das lange Schweigen feministischer Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen zu den Globalisierungsprozessen auf eine "‘conceptual silenceÂ’ über den Zusammenhang zwischen Globalisierung, Gender und Staat" zurück sowie auf den hartnäckigen Widerstand von den meisten Feministinnen gegen ökonomische Themen (Young 1998). Im folgenden sollen die wichtigsten der mittlerweile entstandenen politischen und wissenschaftlichen Strömungen zum Thema Frauen und Globalisierung - oder weiter gefasst: Geschlecht und Globalisierung - umrissen werden. Eine der ersten Autorinnen, die sich zu Wort meldete, war die feministische Entwicklungsexpertin Christa Wichterich. Ihr zum Bestseller avanciertes Buch "Die globalisierte Frau" (1998) ist als Versuch zu sehen, aus rein akademischen Kreisen herauszutreten und eine Verbindung zwischen den Auswirkungen marktliberaler Umstrukturierungen auf Frauen in den westlichen Industrienationen und in den so genannten Ländern des Südens herzustellen. Das Buch spiegelt dabei die klassische Form des Standpunktfeminismus der 80er Jahre.1 Mit Bezug auf eine internationalistische, bewegungsorientierte Tradition und beeinflusst durch Ökofeministinnen wie Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, entwirft Wichterich ein düsteres Bild von den Auswirkungen der Globalisierungsprozesse auf Frauen weltweit. Sie schreibt ihnen darin qua Geschlecht eine Opferrolle zu: "In unterschiedlichen Ländern und Kulturen stellen Frauen eine zunehmende Angleichung ihrer Lebens- und Arbeitswelten fest: mehr Beschäftigung, aber überwiegend in niedrig entlohnten, ungesicherten Arbeitsverhältnissen, Zuwachs sozialer Aufgaben, Zunahme von Konkurrenz und sexistischer Gewalt."2

Gender-Ordnungen

Gegen die These, Frauen seien allein aufgrund ihres Geschlechts Verliererinnen der Globalisierungsprozesse, wehrte sich Brigitte Young bereits 1998. Sie betont, man müsse deren soziale Auswirkungen auf Frauen und Männer betrachten, sowie die zunehmende "Überlagerung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen, von Migration und rassistischer Diskriminierung." Denn "unter dem Druck der Globalisierung" würden "ganz neue Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse" entstehen, die unter anderem zu einer hierarchischen Ausdifferenzierung des sozialen Geschlechtes ‘FrauÂ’ führten. Im Gegensatz zu Wichterich verwendet Young aber nicht nur den Begriff Gender, um damit ein herrschaftsförmiges soziales Struktur- und Ordnungsprinzip zu charakterisieren. In Anlehnung an den aus der Regulationstheorie stammenden Begriff des Akkumulationsregimes unterscheidet sie zudem zwischen Genderregimen und Genderordnungen. Während Genderregime als ein Geflecht institutionalisierter Geschlechterpraktiken und -formen zu verstehen seien, verkörperten Genderordnungen diese institutionalisierten Praktiken auf der symbolischen Ebene. Im Fordismus beispielsweise schlug sich die Vorstellung vom männlichen "Versorger" oder Haupternährer des familiären Haushaltes in der Familien- und Arbeitsgesetzgebung nieder, wie die Anbindung der Frauen als Mitversicherte des Mannes. Dies ist Teil eines Genderregimes, das wiederum die Genderordnung prägte, das heißt die Ideal-Vorstellung von der Kleinfamilie, in der der Mann produktiv arbeitet, die Familie ernährt und repräsentiert, während die so genannte Hausfrau für die Reproduktion des Haushaltes und seiner Mitglieder zuständig ist. Genderregime sind Young zufolge jedoch nicht statisch, sondern bilden ein umkämpftes Terrain, auf dem im Rahmen gesellschaftlicher Transformationsprozesse die Definition des Geschlechterverhältnisses immer wieder neu erkämpft werden muss. Obwohl sie die Vieldimensionalität, Widersprüchlichkeiten und Ungleichzeitigkeiten der Globalisierungsprozesse betont, leitet sich Youngs Analyse der weltweiten Veränderung von Genderregimen und -ordnungen aus der Transformation vom Fordismus zum Postfordismus ab. Der Fordismus ist jedoch ein Akkumulationsregime, das in der von Young beschriebenen Form auf die westeuropäischen und nordamerikanischen Industriestaaten beschränkt blieb. Wichterichs Perspektive ist in diesem Aspekt weiter gefasst. Statt den Übergang vom Fordismus zum Postfordismus als globales Phänomen zu universalisieren, unterscheidet sie zwischen der "Demontage des sozialen Wohlfahrtsstaates" in den westlichen Industrienationen und den Strukturanpassungsprogrammen im Süden. Eine kulturwissenschaftliche und poststrukturalistisch inspirierte Antwort sowohl auf standpunktfeministische Ansätze als auch auf den makroökonomischen Determinismus von genderfokussierten Positionen gibt der von Sabine Hess und Ramona Lenz herausgegebene Sammelband "Geschlecht und Globalisierung" (2001). Anspruch der beiden Herausgeberinnen ist es, eine "gendersensible" Perspektive auf "Alltagspraxen, Subjektpositionierungen und Identitätskonstruktionen in globalisierten Alltagswelten" zu richten. Zu den diesbezüglich innovativsten Beiträgen gehört der Aufsatz "Gouvernementalität und Geschlecht" von Katharina Pühl und Susanne Schultz. Sie sehen die von Foucaults Begriff der Gouvernementalität3 geprägten Studien zur so genannten "Ökonomisierung des Sozialen" als Angebot für eine Reflexion und Erweiterung bisheriger feministischer Perspektiven. Mittels des Gouvernementalitäts-Ansatzes sei es möglich zu erklären, wie die verschiedenen Forderungen der zweiten deutschen Frauenbewegung nach mehr Autonomie und Selbstbestimmung von neoliberalen Programmen umgedeutet, individualisiert und kooptiert werden konnten. Paradox erscheinende Zusammenhänge zwischen Flexibilisierungstendenzen in Bezug auf Geschlechterrollen einerseits und der Zementierung der Geschlechterordnung andererseits können so nach Ansicht der beiden Autorinnen zusammen gedacht werden: Zunächst werden im Neoliberalismus alle Individuen ungeachtet des Geschlechts als UnternehmerInnen ihrer selbst angerufen. Doch die "Sorge für andere" und die unbezahlte Reproduktionsarbeit, die in den westlichen Industrienationen früher zum Teil durch staatliche Einrichtungen übernommen oder durch den Familienlohn des Mannes zumindest indirekt entlohnt wurde, werde "in eine an Frauen herangetragene indvidualisierte Handlungsrationalität, also eine ‘feminisierte VerantwortungÂ’ umformuliert". Pühl/Schultz führen Bevölkerungspolitik und Gesundheitsdiskurse als Beispiel dafür an, wie das Anforderungspaar "Selbstverantwortung/Sorge für andere" zwar an alle Frauen herangetragen, aber je nach Kontext eine unterschiedliche, ja sogar rassistisch motivierte Auslegung erfahren kann. So wird beispielsweise in den westlichen Industrienationen der Grad der Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper daran gemessen, wie viele individuelle Ressourcen sie zur Optimierung einer "gesunden" und "verantwortlichen" Schwangerschaft und Geburt mobilisieren können. Die Frauen in den Ländern des Südens werden im Gegensatz dazu aufgrund von ‘SicherheitsrisikenÂ’ wie ‘ÜberbevölkerungÂ’ danach beurteilt, ob sie ausreichend individuelle Ressourcen mobilisieren können, um sich gegen strukturelle Zwänge zum Kinderkriegen zur Wehr zu setzen. Pühl und Schultz kommen deshalb zu dem Schluss, dass gegenwärtige Strategien zur "Reorganisation der Geschlechterordnung" auf der "Gleichzeitigkeit repressiv-überwachender und individualisierend-beweglicher Formationen entlang von Klassen-, ethnischen und Geschlechterkategorien zu beruhen" scheinen.

Vorbotin der besseren Welt

Einige der blinden Flecken, Mythen und Ambivalenzen feministischer oder genderfokussierter Ansätze zur Globalisierungskritik sind oben bereits sichtbar geworden. Doch es gibt noch einige weitere: die Betonung "genuiner Frauenprinzipien" in standpunktfeministischen Ansätzen, die Ausblendung des Mannes aus genderfokussierten Positionen sowie die ambivalente Karriere des Begriffs Empowerment. Christa Wichterich schreibt Frauen "genuine Frauenprinzipien" zu, die sie zu Trägerinnen eines menschlicheren und ökologischeren Wirtschaftsmodell machen. Zu diesen Prinzipien gehören laut Wichterich der lokale Bezug, der direkte Austausch von Produkten, eine subsistenzorientierte, moralische Ökonomie, die Vorsorgewirtschaft und die Bedarfsorientierung. Neoliberale Wirtschaftskonzepte werden von Wichterich zwar nicht direkt, aber implizit als männliche identifiziert. Der "Raubbauökonomie" und dem "abstrakten" Charakter des "Herzstückes" der Globalisierung, dem Finanz- und Aktienmarkt (den sie als "männlich und weiß" definiert), sieht Wichterich eine konkrete "kultivierende und bewahrende Ökonomie" gegenüber stehen, die Frauen zur Existenzsicherung in den "Nischen des Weltmarktes", vor allem im informellen Sektor, bereits praktizierten. Dabei bezieht sie sich auf Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen, die für den Ausstieg aus der Waren- und Geldwirtschaft und für die "Abkehr von der Expansionswirtschaft" plädieren. Das vorgeschlagene Gegenmodell, die kleinbäuerliche Subsistenzwirtschaft, beruhe laut Mies und Bennholdt-Thomsen nicht auf der "Kolonisierung von Frauen, Natur und fremden Völkern", sondern stelle das "Leben, das Lebensnotwendige" ins Zentrum allen Wirtschaftens und nicht die "Anhäufung von Totem, von Kapital." Abgesehen davon, dass Mies/Bennholdt-Thomsen Frauen, Natur und so genannte fremde Völker mittels der Subsumierung unter den Begriff der Kolonisierung tendenziell gleichsetzen, idealisieren sie auch die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Diese funktioniert in der Praxis - das heißt als Untersystem sowohl des Feudalismus als auch des Agrarexportmodells - jedoch nur aufgrund der Unterordnung der Frauen unter eine rigide geschlechtliche Arbeitsteilung. Frauen kommen darin zeitintensive und sozial wie ökonomisch kaum anerkannte Tätigkeiten zu, die dazu dienen, die Reproduktionskosten für die männliche (produktive) Arbeitskraft niedrig zu halten. Wie es in vorfeudalistischen Zeiten um die Geschlechterfrage in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft stand, liegt hingegen so lange zurück, dass nur mythisch verklärte Aussagen dazu möglich sind. Weil ihr dies offensichtlich bewusst ist, hat Wichterich ein abstrakteres Verständnis von Subsistenz entwickelt. Sie sieht Subsistenz als lokale oder regionale, selbstorganisierte und -kontrollierte Strategien des materiellen Überlebens. Dabei tendiert sie jedoch dazu, Selbstversorgung mit Selbstermächtigung (Empowerment) gleichzusetzen: "Es geht um Machtbildung von unten." Die vielfältigen strukturellen Zwänge, denen die SelbstversorgerInnen ausgesetzt sind, und denen sie sich nicht aus freiem Willen bzw. durch Maßnahmen wie den eigenen Gemüseanbau entziehen können, werden von Wichterich zwar benannt, fließen aber nicht in ihre Schlussfolgerungen und konkreten Vorschläge mit ein. Zudem läuft sie mit der Fokussierung auf Selbstversorgung Gefahr, das "einfache" und ärmliche Leben zu idealisieren.

Die Abwesenheit des Mannes

Während standpunktfeministische Globalisierungskritikerinnen dazu neigen, in neoliberalen Restrukturierungsprozessen vor allem eine weltweite Modernisierung des Partriarchats zu sehen, verfolgen die VertreterInnen genderfokussierter Ansätze zwar den Anspruch, den Veränderungen der Geschlechterordnungen in Globalisierungsprozessen nachzuspüren. Doch sowohl bei Young als auch bei Hess/Lenz bleiben die Umbrüche für Männer und männliche Geschlechtsidentitäten weitgehend ausgeblendet. Der Transformation und hierarchischen Ausdifferenzierung männlicher Identitäten im Zuge neoliberaler Globalisierungsprozesse unter einem herrschaftskritischen Blickwinkel widmete sich hingegen der australische Soziologe Robert Connell mit seinem 1999 erschienen Buch "Der gemachte Mann". Connell spricht von einer Legitimationskrise des Patriarchats und der Herausbildung hegemonialer, untergeordneter und marginalisierter Männlichkeiten entlang der Kategorien Klasse, Hautfarbe und sexueller Orientierung. Über Frauen schreibt er wenig, kommt jedoch mit Bezug auf sie zu zwei Erkenntnissen: Zum einen sei eine Zunahme von Gewalt gegen Frauen unter den männlichen Globalisierungsverlierern zu beobachten. Zum anderen erweise sich die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung mit der Feminisierung der unbezahlten Versorgungsarbeit und der nachhaltigen Hausarbeitsabneigung und -abstinenz der Männer als "bedeutendste patriarchale Dividende." Interessant wäre es jedoch, die Perspektive auf die Verschränkungen der hierarchischen Ausdifferenzierungprozesse zu richten, gerade in den Bereichen, die der "Feminisierung der Beschäftigung"4 unterliegen. Denn auch männliche Erwerbsbiographien funktionieren zunehmend nach dem Vorbild der weiblichen Beschäftigung. Dies lässt sich am Paradebeispiel für den Horror der "Feminisierung der Beschäftigung" - die Weltmarktfabriken (Maquilas) in den so genannten Freien Produktionszonen - illustrieren. Bislang hieß es in der einschlägigen Literatur meist, die dortigen ungesicherten, deregulierten und schlecht bezahlten Jobs würden ausschließlich von jungen Frauen übernommen. Die Recherchen der Soziologin Leslie Salzinger zur Maquilaindustrie in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juarez bezeugen jedoch eine andere Realität. Schon 1990 waren die Maquilas so angewachsen, dass die weiblichen Arbeitskräfte nicht mehr ausreichten. Heute ist dort der Anteil von Männern und Frauen etwa gleich hoch. Die meisten von ihnen sind zwischen 16 und 17 Jahren alt. Viele der Jugendlichen sind zu den HaupternährerInnen ihrer Familien geworden. Die in den Maquilas beschäftigten jungen Männer werden hinsichtlich Ort und Art der Arbeit, aber auch durch die Farbe ihrer Arbeitsanzüge meist strikt von ihren Kolleginnen separiert. Dies markiert sie zwar als unterschiedlich, trotzdem verdienen sie das Gleiche wie die Frauen. Das wird von vielen als Schande gesehen, da es die traditionelle maskuline Identität untergräbt, der zufolge der Mann der Haupternährer in der Familie sein muss. Dieses Rollenbild, das im Norden Mexikos durch die explodierende Entwicklung der Weltmarktfabriken schon seit vielen Jahren keine reale Grundlage mehr besitzt, wurde von Maquila-Betreibern lange als Begründung für die niedrigen Löhne der weiblichen Beschäftigten angeführt. Diese Abwertung der Frauen lebt nun fort, wenn auch in anderen Formen: Männer, die nicht gut genug arbeiten oder sich auflehnen, werden zur Strafe in die Frauen-Werkhalle geschickt und damit für alle KollegInnen erkennbar zur Frau herabgestuft - eine öffentliche Demütigung in der vom Macho-Kult geprägten mexikanischen Kultur. Männliche Arbeiter fühlen sich deshalb häufig von den Managern in ihrer Maskulinität abgewertet. Doch Ciudad Juarez hat inzwischen aus einem anderen Grund traurige Berühmtheit erlangt. Seit Jahren werden fast wöchentlich ermordete Frauen in der Wüste rund um die Stadt aufgefunden. Salzinger behauptet, dass die eskalierende Gewalt gegen Frauen unter anderem auf die Demaskulinisierungsprozesse im sozialen Setting der Maquila-Industrie zurückzuführen sei. Auch wenn dies sicherlich eine zu monokausale Sichtweise ist, so lässt sich doch die auch von Connell konstatierte Zunahme der Gewalt gegen Frauen im Globalisierungskontext plausibler erklären, wenn die Restrukturierungen von Männlichkeiten in die Analyse mit einbezogen werden.

Neoliberales Empowerment

Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Kooptierung ehemals feministischer und herrschaftskritischer Forderungen durch neoliberale Programme ist die Karriere des Begriffes Empowerment (Ermächtigung). Er wurde Mitte der 80er Jahre von Feministinnen aus dem Süden als herrschaftskritisches Konzept in die entwicklungspolitische Debatte eingebracht. Er zielte auf die Selbstermächtigung marginalisierter Gruppen im Kontext einer grundlegenden Transformation von Herrschafts- und Machtverhältnissen. In den darauf folgenden Jahren durchlief das Empowermentkonzept die entwicklungspolitischen Institutionen, wo ihm der herrschaftskritische Charakter abgeschliffen wurde (siehe S. 16 und S.54). Heute ist Empowerment ein Teil entwicklungspolitischer Strategien rund um das Nachhaltigkeitspostulat und in allen Durchführungsorganisationen administrativ der Armutsbekämpfung zugeordnet. Armut wird in diesem Kontext jedoch nicht als "menschenrechtswidrige Blockierung von Grundbedürfnissen verstanden, sondern als ein Sicherheitsrisiko" (Claudia von Braunmühl). In der heutigen entwicklungspolitischen Praxis gleichen Empowermentansätze deshalb häufig Anleitungsprogrammen zur marktförmigen Selbstverwaltung der Armut unter Einbeziehung von Frauen. Selbsthilfegruppen und billige Dienstleisterinnen werden somit für soziale Maßnahmen herangezogen, die der Staat nicht (mehr) leistet. Pühl/Schultz weisen am Beispiel bevölkerungspolitischer Diskurse nach, dass die dortige Art der Verwendung des Begriffes Empowerment mittels Individualisierung und Umkehrung eine Kooptierung des Wissens frauenpolitischer Bewegungen bewirkt. Um eine grundsätzliche Kritik an strukturellen Zwängen geht es in den herrschaftsförmigen bevölkerungspolitischen Diskursen - im Gegensatz zu den Forderungen der Frauenbewegungen - allerdings nicht mehr. Auch in den entwicklungspolitischen Konzepten für nachhaltige Landwirtschaft und Ernährungssicherheit spielen das Empowerment von Frauen und das Anforderungspaar "Selbstverantwortung/Sorge für andere" eine zentrale Rolle. In deren praktischen Umsetzung werden aber nicht das Agrarexportmodell und seine geschlechtsspezifischen sozioökonomischen Auswirkungen kritisiert. Statt dessen wird der Versuch unternommen, ein Gleichgewicht zwischen der Produktion für den Weltmarkt und der lokalen Ernährungssituation herzustellen. Letzteres schreibt man als "weiblichen" Aufgabenbereich den Frauen zu. Am Beispiel von Kenia zeigt Wichterich auf, wie dies in der Praxis funktioniert. Durch die Umstellung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft auf die Exportproduktion wurde der Selbstversorgungsanbau von der Familienparzelle in die von Frauen geführten Gemüsegärten verbannt. Die aus der Exportorientierung resultierenden Ernährungsprobleme für die gesamte Familie werden also durch die Selbsthilfestrategien der Frauen in dem ihnen zugeschriebenen reproduktiven Bereich - Haus und Hof - abgefedert. Wichterich lehnt das Agrarexportmodell zwar grundsätzlich ab, plädiert aber zugleich dafür, dass entwicklungspolitische Konzepte die aus den neoliberalen Umstrukturierungen und der folgenden Verarmung geborenen Selbsthilfestrategien von Frauen beachten, nutzen und institutionalisieren sollten. Aus der Not wird von ihr eine Tugend gemacht. Dies verweist darauf, dass standpunktfeministischen Ansätzen neben der Tendenz zur Vernachlässigung von Kategorien wie Klasse und Ethnizität ein weiteres Problem eigen ist: Sie neigen in ihrer Parteinahme für Frauen zur Reproduktion der bürgerlichen Essentialisierung von binären geschlechtsspezifischen Eigenschaften. Vor allem in entwicklungspolitischen Kontexten werden die aus der Not geborenen Zwänge, innovative Überlebensstrategien zu entwickeln, als weiblich codiertes Potenzial für Gegenmacht von unten idealisiert. Armutsmanagement - und sei es noch so kreativ und ökologisch - ist aber kein Empowerment im herrschaftskritischen Sinne, sondern erweitert lediglich den angestammten Platz von Frauen: die Reproduktionssphäre. Männer hingegen sind in standpunktfeministischen Ansätzen nur als Vertreter des patriarchalen Blocks ein Thema. Aber auch Positionen, die sich auf den Begriff Gender beziehen, blenden die gesellschaftlichen Realitäten von Männern meist aus ihren Analysen aus, wenn sie die Restrukturierung oder Kontinuität asymmetrischer Geschlechterordnungen in Globalisierungsprozessen zuungunsten von Frauen nachweisen. Die Herausforderung für eine feministische Globalisierungskritik besteht deshalb darin, sich von der Vorstellung zu lösen, dass Frauen per se Globalisierungsverliererinnen und ihre (Überlebens-)Strategien und Forderungen per se emanzipatorisch sind. Anmerkungen: 1 Standpunktfeministische Ansätze kommen aus der westeuropäischen Frauenbewegung. Grundlage des politischen Handelns und Analysearena ist die klare Parteilichkeit für Frauen. Ausgegangen wird von einem globalen patriarchalen Block und dem daraus resultierenden Opferstatus von Frauen weltweit. 2 In späteren Beiträgen relativiert Wichterich diese These und gesteht zunehmende soziale Polarisierungen zwischen Frauen im Globalisierungskontext ein (Wichterich 2000). Dabei berücksichtigt sie in ihrer Analyse der GlobalisierungsverliererInnen sogar die Veränderungen für Männer sowie die Kategorien Klasse und Ethnizität. Allerdings scheint sie der angeblichen kollektiven Geschlechtsidentität als politisches Mobilisierungspotential von Frauen ein wenig hinterher zu trauern, obwohl auch von Feministinnen schon lange hinterfragt wird, ob eine gemeinsame Geschlechtsidentität jemals ausreichend für politische Bündnisse zwischen Frauen war. 3 Angeleitet von der Kritik an einem vereinfachenden Staats- und damit Regierungsverständnis, untersuchte Foucault "den Zusammenhang von Formen der Selbstführung mit Techniken der Fremdführung". Im Gegensatz zum frühliberalen Verständnis von Freiheit (des Individuums gegenüber dem Staat) entwerfe eine neoliberale Regierungsperspektive das Verhältnis von Markt und Staat auf neue Weise. Der Neoliberalismus ersetze ein begrenzendes äußeres Prinzip durch ein regulatorisches und inneres Prinzip: Es sei die Form des Marktes, die als Organisationsprinzip des Staates und der Gesellschaft diene. Freiheit sei demnach die des unternehmerisch handelnden Individuums. Schlagworte in diesem Zusammenhang sind Flexibilität, Eigenverantwortung, persönliche Wahlfreiheit und aktive Selbstregulierung. 4 Auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking wurde die ‘Feminisierung der BeschäftigungÂ’ definiert als eine Umstrukturierung der Erwerbsarbeit, welche die Ausweitung der Frauenerwerbsarbeit mit der Verbreitung flexibler Arbeitsstrukturen verknüpft. Literatur: - Bennholdt-Thomsen, Veronika/Mies, Maria (1997): Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive. München - Braunmühl, Claudia von (2000): Mainstream-Malestream. Der Genderansatz in der Entwicklungspolitik. In: iz3w-Sonderheft ‘Malestreaming Gender? Geschlechterverhältnisse in der EntwicklungspolitikÂ’. Freiburg - Connell, Robert (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Opladen - Hess, Sabine/Lenz, Ramona (Hg) (2001): Geschlecht und Globalisierung. Königstein/Ts. - Pühl, Katharina/Schultz, Susanne (2001): Gouvernementalität und Geschlecht - Über das Paradox der Festschreibung und Flexibilisierung der Geschlechterverhältnisse. In: Hess/Lenz, a.a.O., S. 102-127 - Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg) (2000): Globalisierung und Geschlecht - Anforderungen an feministische Perspektiven und Strategien. Texte 5. Berlin - Wichterich, Christa (1998): Die globalisierte Frau - Berichte aus der Zukunft der Ungleichheit. Hamburg - Wichterich, Christa (2000): Gender matters - Zur Vergeschlechtlichung von Arbeit auf globalisierten Märkten. In: Rosa-Luxemburg-Stiftung (Hg) (2000): Globalisierung und Geschlecht, a.a.O., S. 13-26 - Young, Brigitte (1998): Globalisierung und Gender. In: Prokla 111. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Schwerpunktheft Globalisierung und Gender. Münster, -dies. ( 1998): Genderregime und Staat in der globalen Netzwerkökonomie. In: Prokla 111, a.a.O., Stefanie Kron ist freie Journalistin und promoviert über ehemalige Kriegsflüchtlinge in Guatemala. aus iz3w 265 Seite 44