Interventionen

Zeitschrift für kritische Ökonomie

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist nicht depressiv, der wirkt nur so. Alles ein Vermittlungsproblem, deswegen ist das wirtschaftliche Klima in Deutschland auch eine "gefühlte Stagnation".

... Da sich die misstrauische Bevölkerung kurzfristig nicht reformieren lässt, hilft nur noch Luther. Der Mann der Reformation empfahl Glaube und Arbeitsethos und dieses Rezept, da ist sich der Wirtschaftsminister sicher, wird "entrepreneurial spirit" vom Himmel regnen lassen. Da muss man nichts vermitteln, dass ist schließlich reine Wirtschaftsesoterik und wenn etwas boomt, dann die. Dem Aufruf gefolgt sind bisher nur Wenige und dass hat schon Joseph Schumpeter in seiner Innovationstheorie nicht erklären können, den nachlassenden Unternehmergeist.
Wolfgang Clement meinte auch sicherlich nicht den Wettbewerb politischer Ideen zur Überwindung der Krise als vielmehr die Wiederentdeckung der Marktlücken. Beides haben sich jedoch einige Wirtschaftswissenschaftler zu Herzen genommen, um mit der Auflage von "Intervention - Zeitschrift für Ökonomie" den Wettbewerb der Ideen anzuheizen und eine zwingende Marktlücke für wissenschaftliche Journals in Deutschland zu schliessen: Ein in weiten Teilen zweisprachiges und anspruchsvolles Produkt für heterodoxe Debatten der Wirtschaftstheorie soll es werden. Zweisprachigkeit, d.h. hier sowohl deutsche und englische Artikel zu veröffentlichen und das Editoral in beiden Sprachen abzufassen, ist gerade für ein Journal abseits des Mainstreams unverzichtbar, um auf akademischen Level international wahrgenommen zu werden. Heterodox ist ein schlimmes Wort, weil schwer zu vermitteln, der Hintergrund des Fremdwortes für Vielfalt ist aber recht einfach: Der wirtschaftswissenschaftliche Mainstream in Deutschland hat bisher einige Entwicklungen noch nicht nachvollzogen, dazu gehören dass zum erfolgreichen Management von Volkswirtschaften mehr Rezepte zur Verfügung stehen als "mehr Markt, mehr Wettbewerb, mehr Deregulierung".
Der jüngere Trend, etwa bei Nobelpreisträgern, dokumentiert dass es in den Debatten des wirtschaftspolitischen Establishment wieder Raum gibt für Wissenschaft die den Glauben an den "Washington Consensus" und den "totalen Markt" nicht teilt. Daher will die Redaktion und der breit angelegte wissenschaftliche Beirat , um Wirtschafts- und Sozialforscher aus Deutschland, Gross-Britannien, Österreich und den USA, die Disziplin zurückholen in ihr Milieu: die Gesellschaft. Es genügt ein Blick in den "Economist" oder der Besuch einer Vorlesung an einer angelsächsischen Universität um zu begreifen, dass deutsche Akademiker oft schlecht imitieren. Während dort nämlich der politischen Ökonomie, die wirtschaftliche und politische Prozesse als verbunden versteht, unabhängig von Überzeugungen Beachtung geschenkt wird, verabschiedet sich die hierzulande oft anzutreffende krude neoliberale Ideologie in ihrer wirtschaftspolitischen Analyse zunehmend von diesem Verständnis der Welt.
Damit es auch ja kein Vermittlungsproblem gibt folgt der Aufbau des Journals dieser Philosophie, im "Forum" führen wirtschaftspolitische Analysen, Interviews u.ä. ein, der zweite Teil der Publikation ist eher formalen und theoretischen Aufsätzen gewidmet. Dies scheint wichtig, um dem häufig erhobenen Vorwurf gegenüber keynesianisch oder nachfrageorientierten Theorien zu begegnen, dass diese nicht mithalten könnten bei der Formulierung von abstrakten Modellen und somit dem "mathematischen Beweis" ihrer Statements schuldig blieben. Eben jene Theorien sollen ja wieder eine Platz haben in dem der wissenschaftlichen Offenheit verpflichtetem Journal, dass damit vielleicht einmal die Rolle der "Blätter für deutsche und internationale Politik" in den Wirtschaftswissenschaften einnehmen könnte.
Die erste Ausgabe des Journals löst seinen Anspruch vorerst ein, wenn auch noch ein thematischer Schwerpunkt fehlt, auf den aber wahrscheinlich im angebotspolitischen Sinne zur Stimulierung eines breiten Interesses verzichtet wurde. Die Ausgabe ist im Volltext im Internet erhältlich. Im Angebot sind ein Interview mit dem scheidenden Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, Jürgen Kromphardt, ein englischsprachiger Beitrag zur Situation der US-Wirtschaft von James K. Galbraith (University of Texas/Levy Economics Institute), ein Vortrag auf Einladung der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) zur Entwicklungsstrategie Lateinamerikas und der Schuldenproblematik von Barbara Fritz (Institut für Ibero-Amerikakunde, Hamburg), zur Einkommens- und Vermögensentwicklung in Deutschland von Dieter Eißel (Universität Gießen), der rot-grünen Gesundheitsreform von Nadja Rakowitz (Universitätsklinikum Frankfurt/Main, Institut für medizinische Soziologie) sowie einem Kommentar zur deutschen Wirtschaftspolitik von Heiner Flassbeck, ehemals Staatssekretär unter Oskar Lafontaine im Finanzministerium und nun Chefvolkswirt der UNCTAD in Genf.
Die Beiträge werden in der zweiten Sektion fortgesetzt von Eckhard Hein (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) zur inflationsstabilen Arbeitslosenquote oder der NAIRU (Non-Accelerating Inflation Rate of Unemployment), Birger P. Priddat (Zeppelin Universität Witten/Herdecke, Lehrstuhl für Politische Ökonomie) zur institutionenökonomischen Interpretation der Zivilgesellschaft sowie einem englischsprachigem Beitrag zu "rent seeking" und development theory" von Hartmut Elsenhans (Universität Leipzig, Institut für Politikwissenschaft).
Die Beiträge sind alle in ihrer Länge überschaubar, prägnant und dennoch anspruchsvoll gehalten, ein Indikator für eine stilistisch intervenierende Redaktion. Das Journal erscheint halbjährlich und wird seinen nächsten Schwerpunkt in der Finanzpolitik haben. Es bleibt zu hoffen, dass die Publikation aus dem Hause des Instituts für Wirtschafts- und Politikforschung (Marburg) erfolgreich ist. An der Vermittlung sollte es nicht scheitern, der Markt für wirtschaftspolitische Ideen stagniert nämlich. Das fühlt man.

Mehr Informationen:

www.zeitschrift-intervention.de
www.journal-intervention.org

Fabio De Masi