Auf Feindschaft eingeschworen – jetzt Partner:innen für den Frieden

Die israelisch-palästinensische Graswurzelbewegung „Combatants for Peace“

Combatants for Peace (CfP) ist eine von Israelis und Palästinenser:innen gegründete Graswurzelbewegung, die sich in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten in Form von gewaltfreiem Widerstand für eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts einsetzt. Viele der Gründungsmitglieder sind Ex-Soldat:innen aus der israelischen Armee (IDF) oder ehemalige palästinensische Paramilitärs. Für die GWR-Leser:innen hat CfP uns eine Neujahrsbotschaft für 2024 geschickt. (GWR-Red.)
 

Jedes neue Jahr ist ein Geschenk, das Hoffnung auf neue Anfänge und echte Veränderungen macht. Für uns alle ist es eine Zeit des Nachdenkens, des Reflektierens, um einen neuen Weg zu finden und nach vorne zu schauen. Inmitten von Krieg, Zerstörung und dem Verlust geliebter Menschen in Palästina und Israel besteht die Möglichkeit, eine andere Realität für eine gerechte Zukunft für uns alle in dem Land zu schaffen, das wir beide Seiten als ihr „Heimatland“ betrachten.

2023 war bereits ein tödliches Jahr für Palästinenser:innen und Israelis, und es bleibt fraglich, ob es jemals Vertrauen zwischen beiden Seiten geben wird. Und obwohl der Krieg die beiden zu entzweien droht, gibt es eine Gruppe von Palästinenser:innen und Israelis, die in den Konflikt hineingeboren, die auf Feindschaft eingeschworen wurden, die ihr Schicksal herausgefordert haben und die der Welt jetzt zeigen, dass ein anderer Weg möglich ist. Sie haben jegliche Gewalt abgelehnt und sich gegenseitig umarmt. Sie werden sich fragen, wie ein ehemaliges Hamas-Mitglied und ein ehemaliger IDF-Major sich gegenseitig als Partner für Frieden und Gerechtigkeit wählen können? Wir von Combatants for Peace (Kämpfer:innen für den Frieden) glauben an den Wandel, selbst in dieser extremen Situation der Gewalt.
 

Hier ist ihre Geschichte:

 

Der ehemalige israelische Kämpfer Chen Alon war erst 18 Jahre alt, als er zum ersten Mal eine Uniform anlegte und eine Waffe in die Hand nahm. Er trat während der ersten Intifada in die israelische Armee ein und war bald darauf im Gazastreifen stationiert. Als junger Soldat verhängte er Ausgangssperren, nahm an nächtlichen Verhaftungen teil und patrouillierte auf den Straßen, um den palästinensischen Aufstand zu stoppen.

Auf der anderen Seite schloss sich der ehemalige palästinensische Kämpfer Ahmed Helou während der ersten Intifada der Hamas an, um sich dem Kampf für die Freiheit der Palästinenser:innen anzuschließen. Als damaliges Hamas-Mitglied warf er Steine auf Autos und stellte palästinensische Flaggen her.

Chens Großeltern waren die einzigen Mitglieder ihrer Familie, die den Holocaust überlebt hatten, da sie Europa vor dem Zweiten Weltkrieg verlassen hatten. Der Verlust ihrer Angehörigen im Holocaust und die Vorstellung vom „Nie wieder“ trieben ihn dazu, dem jüdischen Volk zu dienen, um die zu schützen, die er liebte.

Ahmads Großeltern waren 1948 gezwungen, von Be'er Sheva nach Jericho zu fliehen. Die Geschichten seiner Familie über die Nakba und ihren Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, erfüllten ihn mit Schmerz, Wut und Rachegedanken.

Chen erinnert sich daran, wie er als junger Mann durch die Straßen eines palästinensischen Flüchtlingslagers ging und sich nie fragte, warum diese Menschen aus dem Gazastreifen Flüchtlinge sind. Damals war er davon überzeugt, dass das, was er während der Besatzung tat, „richtig“ war, aber im Laufe der Jahre begannen sich die Bilder und Erinnerungen in ihm zu sammeln. Er verinnerlichte schmerzhaft die Gewalt, an der er beteiligt war. Vor allem eine Nacht hatte eine lebensverändernde Wirkung auf ihn. Chen wurde Offizier und erreichte schließlich den Rang eines Majors, als er im Gaza-Streifen diente. In einer Nacht in Deir al-Balah wurde er mit seinem gesamten Zug losgeschickt, um in ein Haus einzudringen und einen Terroristen zu verhaften. Dieser „Terrorist“ war ein Kind. Bald darauf fand er sich in einem Krankenhauszimmer wieder, wo er ein Baby hielt – seine neugeborene Tochter.

„Als ich ihren winzigen Körper in meinen Armen hielt, wurde mir ihre Zerbrechlichkeit und ihre Abhängigkeit von mir bewusst. In diesem Moment machte sie mir ein Geschenk. Sie machte die Palästinenser wieder menschlich. Mein Kind war ein Mensch, doch ich hatte die palästinensischen Kinder entmenschlicht. Der Junge, den ich aus seinem Haus gezerrt hatte, war kein kleiner Terrorist, wie man uns gesagt hatte. Er war ein neunjähriges Kind, das nach seinen Eltern schrie“, erzählte Chen. Ihm wurde klar, dass die Besatzung ihm seinen Sinn für Menschlichkeit und die Beziehung zwischen Israelis und Palästinensern abgenommen hatte. Er konnte nicht länger ein Teil dieses Systems sein. Stattdessen verweigerte er den Militärdienst, schloss sich mit palästinensischen Kämpfer:innen und ehemaligen Gefangenen zusammen und war Mitbegründer von Combatants for Peace.

1992 stand die israelische Armee vor Ahmads Tür und er wurde als politischer Häftling zu sieben Monaten in einem israelischen Militärgefängnis verurteilt. Während Ahmads Zeit im Gefängnis besuchten ihn seine Eltern und erzählten ihm vom Oslo-Prozess. Er konnte nicht aufhören, über diese Friedensgespräche nachzudenken. Das hat einen Samen in ihm gepflanzt. Im Jahr 2004 lud ihn ein Freund ein, an einem Workshop mit Israelis teilzunehmen. Er war schockiert und wütend. „Wie kann ich mich mit meinen Feinden treffen? Wie kann ich mich mit denjenigen treffen, die mein Volk getötet, mein Land gestohlen und mich zum Flüchtling gemacht haben?“, sagte Ahmad. Dennoch beschloss er, an dem Workshop teilzunehmen, aber mit keinem Israeli zu sprechen. Am vierten Tag des Workshops ertappte er sich dabei, wie er sie fragte: „Seid ihr wirklich Israelis?“ Er hatte noch nie jemanden getroffen, der keine Uniform trug oder Gewalt ausübte – bis dahin konnte er ihre Menschlichkeit nicht erkennen. Er wollte mehr über die „andere Seite“ erfahren, ihre Geschichten hören, sie verstehen und Beziehungen aufbauen. Er kam zu der Einsicht, dass Gewalt keine Lösung ist und begann, nach einem anderen Weg zu suchen. Er fand Combatants for Peace.

Combatants for Peace wurde 2005 von Palästinenser:innen und Israelis gegründet, die sich aktiv an der Gewalt beteiligt hatten und nun gemeinsam daran arbeiten, diese zu beenden, die israelische Besatzung zu beenden und eine sichere und freie Zukunft für alle aufzubauen.

Chen hat an den Beerdigungen der Opfer des Massakers vom 7. Oktober 2023 teilgenommen. Er ist nach wie vor der Meinung, dass Gewaltlosigkeit der einzige Weg nach vorne ist. Ahmad hat 51 Angehörige aus dem Gazastreifen während des Krieges gegen Gaza verloren. Er glaubt immer noch an die Kraft der Gewaltlosigkeit und an unsere gemeinsame Menschlichkeit.

Mahmoud Darwish: „Der Krieg wird enden. Die Anführer werden sich die Hände schütteln. Die alte Frau wird weiter auf ihren gefallenen Sohn warten. Das Mädchen wird auf ihren geliebten Mann warten. Und diese Kinder werden auf ihren heldenhaften Vater warten. Ich weiß nicht, wer unser Heimatland verkauft hat. Aber ich habe gesehen, wer den Preis dafür bezahlt hat.“
 

Rana Salman
 

Rana Salman ist Geschäftsführerin der Combatants for Peace. Kontakt: https://cfpeace.org

 

Übersetzung aus dem Englischen für die Graswurzelrevolution: Alex Kempfle

 

Veranstaltungshinweise: 

Combatants for Peace Für Hoffnung und Menschlichkeit

WIESBADEN, Freitag, 12. Januar 2024

FRANKFURT, Mittwoch, 24. Januar 2024

Veranstaltungen mit dem ehemaligen Intifadakämpfer Osama Elewat und
dem ehemaligen israelischen Soldaten Rotem Levin: https://www.dfg-vk-hessen.de/aktuell/combatants-for-peace

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 485, Monatszeitschrift für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 53. Jahrgang, Januar 2024, www.graswurzel.net