Verwaltete Kälte

Flüchtlingsproteste in Würzburg

Vor einem Jahr begannen in Würzburg die Flüchtlingsproteste, die sich nun auf die gesamte BRD und einige andere Länder Europas ausgeweitet haben. Weil sich zu Anfang der Protest auf Würzburg beschränkte, hatten die Flüchtlinge massiv Druck auf die Bayrische Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) ausgeübt. Sie sollte sich im Gespräch für ihre Asylpolitik verantworten. Nun reist sie durch Bayerns „Gemeinschaftsunterkünfte“ und schafft es dabei, nicht ein Wort mit Flüchtlingen auszutauschen. Gleichzeitig wird seitens der Exekutive ein härterer Kurs gegen die Demonstrierenden gefahren als zuvor – Zuckerbrot und Peitsche!

 

Am 14. März 2013 standen im Verwaltungsgericht Würzburg einige der Eilbeschlüsse in Sachen der Flüchtlingsproteste des letzten Jahres zur Verhandlung. Diese sollten nun als Klagen gegen die Stadt Würzburg verhandelt werden und so zu Präzedenzfällen werden, um die Proteste in Zukunft auch bundesweit juristisch abzusichern.

Aber der Prozess wurde zur reinen Formsache, denn das Gericht entschied exakt wie vor einem Jahr.

In eben den strittigen Punkten, in denen den Flüchtlingen bei der letzten Verhandlung erst vom höher stehenden Gerichtshof in München Recht zugesprochen wurde, gewann nun abermals in erster Instanz die Kommunalbürokratie.

Es hätte auch allen Beteiligten die alten Eilbeschlüsse unter neuem Briefkopf zugesandt werden können; eine dreistün­dige Verhandlung wäre dazu nicht nötig gewesen.

Die Grausamkeit einer solchen Farce zeigte sich an diesem Tag deutlicher, als sich im Akt von Widerstand die Verzweiflung offenbarte, die einerseits den Mut aufkommen lässt, wie sie ihn ebenso zu hemmen vermag.

Denn es kann jederzeit derjenige Verwaltungsakt vollzogen werden, der den eigenen Tod ankündigt.

In derselben Stadt wusste J., ein vom Krieg im Irak gezeichneter Flüchtling, sich nicht an­ders zu helfen, als sich auf Krücken vor den Dienstwagen der Bayrischen Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) zu stellen, um ihr den Weg aus der sogenannten Gemeinschaftsunterkunft (GU) zu versperren.

Diese hatte sie besichtigt, um „sich über die Menschen zu informieren“, mit denen zu reden sie nicht für nötig befand. Für wenige Minuten hatten J. und weitere dreißig Flüchtlinge sie am Fortkommen aus dem mit Draht umzäunten Lager gehindert – um mit der Sozialministerin zu sprechen. Unmittelbar nachdem zwei Polizisten ihr freie Fahrt verschafft hatten, sagte ein Flüchtling gerade he­raus, er habe Angst, dafür abgeschoben zu werden.

 

Haderthauer begnügte sich damit, die für den herrschaft­lichen Besuch von einigen Flüchtlingen geputzten Lagerküchen zu besichtigen

Ein Dienst, der vom Hausmeister deutsch-korrekt überprüft wurde, und für den die Flüchtlinge mit einem Euro die Stunde abgespeist wurden.

Nun dürften Kücheneinrich­tung und Sanierung sanitärer Anlagen deren geringstes Problem sein. Konfrontierte man Haderthauer damit öffentlich, so dürfte das ihr die Flücht­lingsfrage in „Küchenschränke, ja oder nein?“ aufzulösen, erschweren.

Hinter verschlossenen Türen besprach sie aber solches mit dem Würzburger Bischof und den Agenten der Elendsverwal­tung, mit der Caritas und der Provinzprominenz.

Unterdessen harrten die Menschen, um die es geht, zwei Stunden bei Eiseskälte vor der Tür aus, und reichten unter sich einen Ausdruck aus dem Inter­net herum, der von dem Selbstmord Hamed Samiis berichtete, eines Leidensgenossen aus Hof. Hinter verschlossenen Tü­ren war das nicht der Rede wert; sie spielte es runter mit den Worten: „Vieles kann der Grund für solche Verzweiflungstaten sein“.

Diese bürokratische Verdrängung prägte die Veranstaltung von Beginn an, und so sorgte der Lagerpförtner auf Anweisung der ehemaligen Sozialministerin Barbara Stamm, dafür, dass Simone Tolle (MdL Grüne) ihr Plakat „Lager tötet!“ abgeben musste, bevor sie die GU betreten durfte. Weil Tolle das Separee nur in Begleitung eines Flüchtlings betreten wollte, hatte auch sie draußen vor der Tür zu warten.

Als die Pressekonferenz zu En­de war (auch die fand in geschlossener Gesellschaft statt), wurden, um der Ministerin den hastigen Einstieg ins Auto zu ermöglichen, die Elendsverwal­ter und deren illustre Kollegen vorgeschickt.

Die Flüchtlinge würdigte sie nicht eines Blicks.

So waltet sie seit jeher ihres Amtes, das darin besteht, mit kalter Ignoranz gegen „Armutsflüchtlinge“ und andere „Simulanten“ Wahlstimmen zu sammeln. Kein Wunder auch, dass die Würzburger Lokalmonopolpresse, die Mainpost (eigentlich: Mainpest), als sich der Flüchtlingsprotest noch auf die Stadt beschränkte, die Kom­mentarfunktion im Internet sperrte, wohl, weil ihr das Personal fehlte, die rassistischen Postings zu den einschlägigen Artikeln zu löschen.

 

Seit Beginn der Flüchtlingspro­teste 2012 wurde Haderthauer mehrmals aufgefordert, nach Würzburg zu kommen.

Sie ließ sich fast ein Jahr Zeit, vermutlich, um unmissverständlich zu signalisieren, der „Staat sei nicht erpressbar und Politiker ließen sich nicht zu Gesprächen herbei zitieren“. Des Gespräches hatte sie sich auch an diesem Tag erfolgreich verweigert. Auch Simone Tolle habe sich nun nicht weiter zu beschweren, da sie nicht an den „Ort des Dialogs“ gekommen sei. Dort wird die Ministerin al­lerdings auch nicht mehr zu sagen gehabt haben als vor zwei Jahren gegenüber der Passau­er Neuen Presse: „Wer mit den Leistungen in Deutschland nicht zufrieden ist, kann jeder Zeit zurück. Er bekommt dafür die größtmögliche Unterstützung seitens der bayrischen Staatsregierung“, inklusive wohl einer freundlichen, amtlichen Deportationshilfe für die, die nur noch auf Krücken laufen können, weil man ihnen die erforderliche medizinische Behandlung seit Jahren verweigert.

 

Warum wird diese Mischung aus Beschwichtigung und Einschüch­terung überhaupt inszeniert?

Die Solidarität lässt zu wünschen übrig und hat sich auch nach einem Jahr der Proteste nicht über vereinzelte linke Gruppen hinaus entwickelt.

Aber auch von Links ließe sich mehr erwarten, auch deshalb, weil die Flüchtlinge sich immer weniger als Objekte des Mitleids verstehen wollen, sondern versuchen, sich autonom zu organisieren, sich, wie sie sagen, „selbst zu ermächtigen“.

Das ist die neue Qualität ihrer Proteste. Und gerade weil sie sich nicht verwalten lassen wol­len, auch nicht von Vereinen, die gutgemeinte sogenannte „Flüchtlingsarbeit“ leisten, wä­re doch zu hoffen und zu erwarten, dass sie gerade von denjenigen, die nicht zur Pseudo-Ak­tivität neigen, massiv unterstützt würden.

 

Wovor haben Haderthauer und Konsorten eigentlich Angst?

Seit Monaten reist sie jetzt durch die bayerischen Lager, fordert mehr Geld für Sozialarbeit und bauliche Retuschen, und propagiert seit neustem Deutsch-Kurse für alle, auch für nichtgeduldete, oder gar anerkannte Flüchtlinge – letzteres ein wirkliches Interesse dieser! Eine Tour, die Eva Peterle, als Leiterin des Würzburger Lager-Cafés zugleich Protagonistin der Vereinshilfe und dezidierte Gegnerin der Selbstermächti­gung „ihrer“ Flüchtlinge, damit zu kommentieren wusste, in der GU Würzburg lebe es sich doch im Vergleich mit anderen wie im „Hotel Adlon“.

Aber weder die Abschaffung der Gemeinschaftsverwahrung und der Sachleistungen in Bayern, die Beschleunigung der Asylverfahren oder die Aufhebung der Residenzpflicht stehen zur Diskussion – denn es gilt ja, mit allen Mitteln dem „Willen zur Rückkehr“ nachzuhelfen, wie sie in geschlossener Gesellschaft sagte.

Wer von Haderthauer vernimmt, die GUs hätten sich gebessert, der sollte dies im Hinterkopf behalten, denn das muss damit wohl gemeint sein. Parallel zu den angekündigten „Verbesserungen“ kann man die zunehmende Verschärfung der polizeilichen Repression gegen die sich ausbreitenden Flüchtlingsproteste feststellen.

Polizisten haben in Köln, Karls­ruhe und Neumünster Flüchtlinge verprügelt, die vom Ora­nienplatz in Berlin mit einem Bus gestartet sind, um in ganz Deutschland zu ihren Leidensgenossen zu sprechen.

In Wien wurde der Sprecher der Flüchtlinge, die die Votivkirche besetzen (vgl. GWR 376), inhaftiert. Abschie­bebescheide werden vermehrt gegen protestierende Flüchtlinge ausgesprochen. In Deg­gendorf wurde die GU von Polizei umzingelt, und so erfolgreich ein Boykott der Essenspakete nach wenigen Stunden unterbunden.

Solch ein symbolischer Hungerstreik war in Würzburg letztes Jahr der Auftakt; zwei Monate später stand das erste Pro­testzelt. 

Bis vor ein paar Wochen konnte man noch den Eindruck haben, dass die Politik darauf setzte, die Proteste würden von in­nen heraus erstarren.

Aber der Winter ist bald vorbei, und die Zelte stehen noch, also sehen sich so einige Bürokraten und ihre Handlanger genötigt, wie es scheint, das Ihrige dazu zu tun, damit niemandem – den Flüchtlingen nicht, anderen Aktivisten und ihnen selbst wohl ebenso wenig – bewusst wird: die Forderung der Anerkennung aller „Non-Citizens“, wie sich einige Flüchtlinge selbst lieber bezeichnen, ist in letzter Konsequenz die nach der Abschaffung aller Staaten, samt ihrer verwalteten Kälte.

Die tragikomische Anekdote am Rande des besagten Abends in der GU Würzburg steht symbolisch für alle beteiligten Vollzeit-Charaktermasken, als einer der angerückten Polizisten mit den im Lager herum schwärmenden Kids Smalltalk machte und fragte: „Na, und gefällt es dir in Deutschland?“

Bis kurz vor Redaktionsschluss ist keinem der Beteiligten mit Abschiebung gedroht worden.

 

Armin Moser

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 378, April 2013, www.graswurzel.net