Autoritäre Eskalation

Der Schutz von Geflüchteten wird immer weiter ausgehöhlt

Während in ganz Deutschland Hunderttausende gegen die Abschiebepläne der AfD auf die Straße gehen, überbieten sich die Ampelkoalition und die Union (auch CSU) mit flüchtlingsfeindlichen Vorschlägen. Gleichzeitig wurde das europäische Asylrecht verschärft. 

Dass die seit Jahren laufenden Asylrechtsverschärfungen als »endgültige‘ Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes skandalisiert werden, ist keine Seltenheit. Ohne schrille Töne ist gegen den Anti-Flüchtlings-Diskurs vielfach kaum noch anzukommen. 

Auf seiner Sitzung in Heidelberg Mitte Januar 2024 fällte der Parteivorstand der CDU indes einen Beschluss, der das Recht auf Asyl so weit untergräbt, dass derartige Superlative hierfür durchaus treffend erscheinen: »Wir wollen das Konzept der sicheren Drittstaaten realisieren«, heißt es darin. »Jeder, der in Europa Asyl beantragt«, solle »in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen.« Im Falle eines positiven Bescheids solle der ,sichere Drittstaat‘ dem Antragsteller »vor Ort Schutz gewähren«. Dazu werde »eine umfassende vertragliche Vereinbarung getroffen.«

Zwar wird der Entwurf des neuen Grundsatzprogramms der Partei – in dem die zitierte Formulierung enthalten ist – noch bis Ende März auf Regionalkonferenzen vorgestellt. Bis dahin sind Änderungen möglich. Doch der Beschluss geht weit über alles hinaus, was bis dahin in Sachen Asylrechtsverschärfung in Deutschland auf dem Tisch lag. 

Europäische Verschärfungen

Mit ‚sicheren Drittstaaten‘ waren bisher in der Regel Staaten gemeint, durch die Asylsuchende auf dem Weg in die EU reisen. Dieses Verständnis ist Grundlage des im Dezember 2023 angenommenen sogenannten Grenzverfahrens als Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es sieht vor, alle Ankommenden in geschlossene Lager direkt an den Außengrenzen zu stecken und unter bestimmten Voraussetzungen ihre Asylanträge nur noch in Schnellverfahren zu prüfen. Unter anderem soll als erstes geprüft werden, ob die Ankommenden zuvor in einem ‚sicheren Drittstaat‘ waren, in dem sie auch Asyl beantragen könnten. Dann sollen sie direkt dorthin abgeschoben werden können.

Ein Grundproblem: Keiner der Staaten, die dafür theoretisch infrage kommen – die Türkei, Tunesien, Marokko oder manche Balkanstaaten –, hat Lust, dabei mitzumachen. Ohne sie funktioniert das Ganze aber nicht. Ein weiteres Problem: Schutzgarantien wären schnell ausgehebelt. Staaten wie etwa die Türkei schieben massenhaft in Regionen ab, in welche die EU selbst viele Flüchtlinge nicht abschieben darf, etwa Syrien oder Afghanistan.

Das Konzept der Schnellverfahren geht auf einen Vorschlag des damaligen deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU) von 2019 zurück. In Griechenland wird das Modell seit Jahren bereits in Pilotprojekten praktiziert. EU-weit sollte es ab Januar 2026 greifen. Doch vielen geht das nicht schnell und nicht weit genug.

Die Ampel hatte in der Zwischenzeit einen ‚Migrationsbeauftragten‘ – den FDP-Politiker Joachim Stamp – ernannt. Er will, dass »auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden«, wie er der FAZ sagte. Stamps wichtigste Aufgabe ist, dafür einen Partnerstaat zu finden. Bisher hatte er dabei aber keinen Erfolg. Sein Konzept sieht vor, dass anerkannte Flüchtlinge nach einem Verfahren in Nordafrika nach Deutschland ausreisen dürfen. 

Deutscher Ruanda-Plan

Der Union aber genügt auch das nicht. Ihr jüngster Beschluss für das Grundsatzprogramm will, dass sowohl die Verfahren als auch die spätere Aufnahme komplett in andere Staaten ausgelagert werden. Das entspricht jenem Modell, das die britische Regierung seit 2019 in Verhandlungen mit Ruanda verfolgt. London will alle Ankommenden nach Kigali ausfliegen und sie dort ein ruandisches Asylverfahren durchlaufen lassen. Wer anerkannt wird, soll in Ruanda bleiben dürfen. Ruanda erhält dafür eine finanzielle Kompensation. Schon jetzt sind über 120 Millionen Pfund nach Kigali überwiesen worden. Bisher haben britische Gerichte die Abschiebungen nach Ruanda allerdings ausnahmslos unterbunden.

Völlig offen und ungeklärt ist bei all diesen Ansätzen, was mit Abgelehnten geschehen soll, die nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeschoben werden können. Bleiben sie in dem Land des outgesourcten Asylverfahrens? Wenn nicht – wo dann? Es ist nach derzeitigem Stand der Dinge völlig illusorisch, dass die Bundesregierung einen Staat finden kann, der auf Dauer Zehn- oder Hunderttausende Asylsuchende aus Deutschland nimmt, auf dem eigenen Territorium Asylverfahren durchführt und danach, wie es die Union will, die Menschen behält. Die Afrikanische Union etwa hat schon 2019 einen Grundsatzbeschluss gefällt, nachdem keines ihrer Mitglieder bei Asyl-Externalisierungsmodellen mitzieht. Ruanda setzt sich freilich über diesen Beschluss hinweg.

Dass die Union ein derartig windiges und praktisch undurchführbares Konzept in den Mittelpunkt ihrer Asylpolitik stellt, zeigt, wie blank die Nerven bei ihr liegen. Bei Fraktionsvize Jens Spahn wurde das kürzlich sehr deutlich: »Entweder beendet die demokratische Mitte die illegale Migration nach Deutschland – oder illegale Migration beendet die demokratische Mitte in Deutschland«, schrieb er auf Twitter. Wenn wir mit den Flüchtlingen nicht aufräumen, räumt die AfD mit uns auf – so sieht man es mittlerweile in der Union und auch in anderen Parteien. So gab es in den vergangenen Monaten einen regelrechten Überbietungswettbewerb immer neuer Anti-Flüchtlings-Vorschläge. 

Die AfD rechts überholen

Spahn forderte, irreguläre Migration sei gegebenenfalls mit »physischer Gewalt« aufzuhalten – eine Formulierung die fraglos weiter enthemmende Wirkung auf staatliche Knüppeltrupps am Evros, an den Zäunen von Melilla oder im Süden Kroatiens hat.

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel befand CDU-Chef Friedrich Merz, dass Deutschland keine Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen könne. »Wir haben genug antisemitische junge Männer im Land.« So missbrauchte er den islamistischen Terror des 7. Oktober, um Antisemitismus als Migrationsproblem zu zeichnen – und so die ohnehin verfolgte härtere Gangart gegen Einwanderung als angeblichen Beitrag zum Schutz jüdischen Lebens zu adeln.

Der schleswig-holsteinische FDP-Abgeordnete Maximilian Mordhorst forderte ein »politisches Betätigungsverbot für Nicht-EU-Ausländer« – also »kein Wahlrecht (auch nicht in Kommunen), keine Mitbestimmung in Parteien oder anderen Gremien, keine Versammlungsfreiheit«. Autoritärer geht es kaum. Und FDP-Vize Wolfgang Kubicki machte den völlig abstrusen Vorschlag einer »Obergrenze für den Migrantenanteil pro Stadtteil von 25 Prozent«. Wie das möglich sein soll – Zwangsumsiedlung? Vermietungsverbot? Wohnungsenteignung? –, sagte er nicht. Doch darauf kommt es nicht an. Es ist das populistische Signal, das für Kubicki und andere derzeit zählt: Wir machen auch was gegen die Ausländer, dafür braucht es keine AfD.

Und so ist schon jetzt das, was vor Jahren noch kaum denkbar war und nur von Hardlinern wie Ungarns Premierminister Viktor Orbán gefordert wurde, Konsens in Europa, dem selbsternannten »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«: Wer hier ankommt und Aufnahme sucht, ob alt, ob krank, ob jung, ob unbegleitet, wird erst einmal eingesperrt. Darauf verlassen, dass sein Schutzanspruch noch geprüft wird, kann er oder sie sich nicht mehr.

Umso irritierender ist, wie die grüne Außenministerin Annalena Baerbock im Dezember das GEAS-Paket auf Twitter lobte, welches schlichtweg nichts von dem enthält, wofür ihre Partei angetreten ist: Die Einigung auf das neue GEAS sei »dringend notwendig & längst überfällig«. In »unserem gemeinsamen Europa« brauche es »für alle verlässliche Regeln für Migration & Asyl«, und für diese seien »Humanität und Ordnung« die »Leitplanken, die für alle gelten.« 

Kriminalisierung von Solidarität 

Die neuen Gesetze richten sich indes nicht nur gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen jene, die ihnen helfen. NGOs können auf Grundlage der neuen Bestimmungen als »nichtstaatliche feindliche Akteure« eingestuft werden, die die EU »destabilisieren«. Welche Möglichkeiten der Repression das eröffnet, ist leicht vorstellbar.

Nur wenige Wochen später, im Januar 2024 stimmten die Ampel-Fraktionen im Bundestag für das Gesetz »zur Verbesserung der Rückführung«, das »Abschiebehemmnisse« beseitigen soll. »Wir werden dafür sorgen, dass die Menschen ohne Bleiberecht schneller unser Land verlassen müssen”, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Unter anderem bekommt die Polizei deutlich ausgeweitete Befugnisse bei der Suche nach Ausreisepflichtigen und der Identitätsfeststellung von Betroffenen. Zudem wird die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage verlängert.

Vor allem aber sieht das Gesetz die Verschärfung von Strafen für Schleuser vor. Bestraft werden soll nicht nur wer Personen gegen Bezahlung in den Schengen-Raum bringt, sondern auch wenn die Schleusungshandlung »wiederholt« oder »zugunsten von mehreren Ausländern vorgenommen wird«. Handelt es sich um Minderjährige gilt dies als strafverschärfend. Greifen soll die Strafbarkeit allerdings nur, wenn über Land geschleust wird. Das Innenministerium will so klargestellt haben, dass die Rettung Schiffbrüchiger nicht vom Gesetz erfasst ist. Die Seenotrettungs-NGOs indes fürchten eine Ausweitung der Kriminalisierung.

 

Christian Jakob ist Reporter bei der taz.