Gesundheit in der Krise

Aktuelle Herausforderungen im Gesundheitssystem

Personalmangel, zunehmende Privatisierung von Gesundheitsleistungen, Gefahren für Datenschutz von Patient*innen – in diversen Beiträgen vergangener GID-Ausgaben hat es sich bereits angedeutet: Das deutsche Gesundheitssystem bedarf an vielen Stellen einer kritischen Überprüfung.

https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gesundheitssystem/252/gesundheit-der-krise

Die aktuelle Ausgabe des GID setzt daher einen speziellen Fokus auf aktuelle Probleme und Diskussionen aus diesem Bereich. Sie leistet damit eine notwendige Kontextualisierung unserer medizinischen Schwerpunktthemen – Reproduktionstechnologien, genetischer Datenschutz, Gendiagnostik, Gentherapien, biomedizinische Forschung – und dreht sich um die Fragen: Was sind konkrete Auswirkungen der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitssystems? Welche Akteur*innen gibt es und wo üben sie ihren Einfluss aus? Wie könnte die Erforschung und Verteilung von Gesundheitsleistungen in Zukunft gestaltet werden? Durch die hohe Komplexität der Netzwerke an Akteur*innen und Institutionen, die darüber entscheiden und verwalten, wie die Gesundheitsversorgung sich hierzulande gestaltet, ist es nicht möglich das gesamte Themenfeld auf zwölf Seiten auszuleuchten. Daher beschränken sich unsere Autor*innen auf einzelne Teilaspekte, die gemeinsam dennoch einen guten Überblick geben.

Einen besonders akuten Krisenherd beleuchtet die Journalistin Kirsten Achtelik in ihrem Artikel über Mängel in der Versorgung von Patient*innen in Kliniken. Nach Jahrzehnten der Umstrukturierung des Krankenhaussystems nach ökonomischen Maßgaben treten aktuell die absehbaren und dennoch dramatischen Konsequenzen zu Tage.

Derweilen setzt der Gesundheitsminister Jens Spahn auf „Digitalisierung first, Bedenken second“. Nach Warnungen von Expert*innen wie Elke Stevens werden Patient*innen durch Lücken in der geplanten IT-Infrastruktur des Gesundheitssystems gefährlichen Datenschutzrisiken ausgesetzt. Die Geschäftsführerin der Digitalen Gesellschaft beschreibt in ihrem Beitrag die negativen Konsequenzen des „Digitale Versorgung Gesetz“ für die informationelle Selbstbestimmung von Versicherten.

Die Entwicklung von Medikamenten ist ein klassischer Bereich in dem die Interessen von Unternehmen und die von Patient*innen in Konflikt geraten. Beate Wieseler ist Leiterin des Ressorts für Arzneimittelbewertung am Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). In einem Artikel für die Fachzeitschrift BMJ hatte Sie letztes Jahr mit Kolleg*innen darauf aufmerksam gemacht, dass viele pharmazeutische Neuerungen auf dem deutschen Markt nicht besser wirken als bereits vorhandene Medikamente. Ich habe Sie unter anderem gefragt, wie medizinische Forschung stärker von Patient*inneninteressen geleitet werden kann.

Gregor Bornes beschreibt in seinem Artikel die Rolle des Hauptauftraggebers des IQWiG: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) entscheidet welche Gesundheitsleistungen Kassenleistung werden. Als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen im G-BA vermittelt Bornes Einblicke in den Prozess der umstrittenen Einführung der nichtinvasiven Bluttests für Schwangere auf Trisomien in die Regelversorgung.

Nach diesen Problemaufrissen schließt der Schwerpunkt mit einem Bericht der Journalistin Jasmin Kalarickal über das Gesundheitskollektiv Berlin. Deren Mitglieder denken Gesundheit nicht nur medizinisch, sondern auch sozial und politisch und wollen zukünftig Patient*innen dementsprechend behandeln. Das Beispiel erinnert daran, dass gemeinnützige Medizin keine Utopie bleiben muss, sondern eine Entwicklung hin zu Unabhängigkeit von Wirtschaftsinteressen und zu mehr Solidarität im Gesundheitssystem möglich ist.