Palästina in der neugeordneten Welt

Ein zweiter Blick auf die Osloer Verträge

in (20.01.2020)

Vor 25 Jahren war klar, dass die Neue Weltordnung, die George W. Bush am 11.9.1990 anlässlich des Krieges gegen den Irak vor dem U. S. Congress verkündet hattei, bis auf Weiteres irreversibel war. Die mit der politischen Wende von 1989 bis 1991 einhergehenden Machtverschiebungen bedeuteten auch für den Nahen und Mittleren Osten fundamentale politische, ökonomische und militärische Einschnitte. Der Bürgerkrieg im Libanon wurde 1990 eingefroren, und die Waffen wurden nach Jugoslawien verschoben. Im Golfkrieg 1990/91 spielte die in Auflösung begriffene Sowjetunion nur noch die Rolle des Jasagers zur US-amerikanischen Politik am Golf. Syrien, bisher eng an die Sowjetunion gebunden, hatte sich trotz massiver öffentlicher Proteste der US geführten Anti-Irak-Koalition angeschlossen. Ägypten ebenso. Yasser Arafat hingegen reiste nach Bagdad und ließ sich Arm in Arm mit Saddam Hussein ablichten. Kuweit wies daraufhin die dort lebende, sehr wohlhabende palästinensische Bevölkerung aus. Die nun ausbleibenden Steuereinnahmen der PalästinenserInnen aus dem kleinen Emirat wie auch die aus dem mit Sanktionen belegten Irak - von beiden Staaten bisher an die PLO weitergeleitet - und das Ende der Zuwendungen durch den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfeii ließen den Reichtum der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO versiegen. Mit Auflösung der sozialistischen Staatssysteme verlor die PLO ihre Rolle als Devisenbeschafferin und Zwischenhändlerin zur Umgehung des Westembargos gegen sozialistische Wirtschaftssysteme und die (im Gegenzug) gewährten Möglichkeiten relativ autonomen Handelns vom Boden bisher befreundeter Staaten ebenso wie deren politische Rückendeckung.

Bald nach Waffenstillstand im Irak fand 1991 die Madrider Friedenskonferenz statt, die für die PLO unmittelbar in die Verhandlungen in Washington führte, deren Ergebnisse als Osloer Verträge bekannt sind. Die zunächst als Friedensverträge bezeichneten Abkommen Oslo I (Prinzipienerklärung über eine vorübergehende Selbstverwaltung, 1993) und Oslo II (Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen, 1995) ermöglichten die Rückkehr der aus dem Exil operierenden PLO nach Palästina sowie die Errichtung einer international anerkannten palästinensischen Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah und Gaza. Theoretisch sollten die Verträge für einen Zeitraum von fünf Jahren gelten, in denen ein Endstatus verhandelt würde. Praktisch haben sie erst Checkpoints, dann die Mauer gebracht. Sie haben der palästinensischen Autonomiebehörde die Verantwortung für die Sicherheit Israels übertragen und so in den von ihr verwalteten Gebieten sukzessive einen Polizeistaat etabliert. Sie haben die der PLO unterstellten Autonomiebehörde zum Hampelmann Israels gemacht.

Vor Oslo hatte die PLO den Sexappeal von Outlaws, Kampf und Wagemut. Sie wusste sich in Szene zu setzten und symbolisierte international erfolgreich den Kampf gegen Unterdrückung. Es gelang der PLO, ihre totale Abhängigkeit von ihr wohlgesinnten oder sie duldenden Staaten aus dem breiten öffentlichen Bewusstsein herauszuhalten. Ihre diplomatische Strategie sowie den Aufbau ihres bürokratischen Apparats hat die PLO konsequent publiziert. Diesem Weg bleibt sie treu. Bekam sie 1974 den Beobachterstatus bei der UNO, wurde Palästina 2012 zum „non-member observer state“ der Vereinten Nationen. Der neue Status bedeutet, dass Palästina nun als Staat bezeichnet werden kann und seine Behörden als Regierungiii. Nur Staaten können einen Antrag auf Mitgliedschaft bei der UNO einreichen, dafür müssen sie ein Territorium und eine Bevölkerung haben und friedliebend sein. Auf internationaler Bühne schafft es Palästina, seine Existenz zu festigen. Die Osloer Verträge waren hierfür notwendig. Das macht ihren Inhalt und die daraus entstandene Brutalität nicht besser. Im Rückblick und angesichts der internationalen politischen Lage der frühen 1990er Jahre jedoch nachvollziehbar.

Irit Neidhardt ist Politkwissenschaftlerin und Filmverleiherin. Sie betreibt mec film, eine internationale Verleih- und Vertriebsfirma für Filme von arabischen RegisseurInnen. Sie arbeitet als Filmkuratorin, Referentin und Autorin zum Themengebiet Kino und arabische Welt.

i Address Before a Joint Session of the Congress on the Persian Gulf Crisis and the Federal Budget Deficit, bush41library.tamu.edu/archives/public-papers/2217

ii RGW (1949-1991) internationale Organisation der sozialistischen Staaten unter Führung der Sowjetunion.

iii Siehe palestineun.org/wp-content/uploads/2013/08/012-UN-Memo-regarding-67-19.pdf