Der Wandel kommt

Klimapolitik kann sozial oder unsozial verlaufen

Der Klimawandel mitsamt seinen Folgen ist nicht mehr aus den gesellschaftlichen Debatten wegzudenken. Entsprechende Transformationsprozesse sind im Gang und sie sind mit wirtschaftlichen Interessen verquickt. Dagegen braucht es eine sozial-ökologische Kehrtwende und Klimagerechtigkeit.

Acht Jahre ist es im Dezember dieses Jahres her, dass, während Tausende auf den Straßen von Paris protestierten, das Abkommen von Paris beschlossen wurde. Es war das erste Klimaabkommen seit dem Kyoto-Protokoll von 1997. Acht Jahre, in denen viel zu wenig geschehen ist angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise und ihrer deutlicher werdenden Folgen. Man könnte mit Blick auf die aktuelle Lage der Klimapolitik sagen: Fast nichts ist passiert.

Die Treibhausgas-Emissionen haben im Jahr 2022 mit 36,8 Gigatonnen einen neuen Höchststand erreicht, anstatt zu sinken, wie es nötig wäre, um noch einen letzten Rest Chance zu haben, die globale Erwärmung unter dem angestrebten 1,5-Grad-Ziel zu halten. Weltweit planen Staaten neue Öl- und Gasförderprojekte, wie ein jüngst von Oil Change International veröffentlichter Bericht zeigt. Über ein Drittel dieser Planungen für die Ausweitung der Förderung geht auf die USA zurück, dem größten Ölproduzenten weltweit, gefolgt von Kanada und Russland. Der Sommer 2023 war, wie schon der davor, der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen.

Die Klimakonferenz der Vereinten Nationen findet dieses Jahr in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt, deren Wirtschaft auf dem Export fossiler Brennstoffe basiert. Der Präsident der Konferenz ist zugleich der CEO des staatlichen Ölkonzerns. Ob es in diesem Jahr eine Einigung darauf geben wird, in den Vertragstexten niederzuschreiben, dass es notwendig ist, aus den fossilen Brennstoffen auszusteigen, steht weiter in den Sternen. Denn der Widerstand vieler Länder gegen eine solche Formulierung und die Lobbyarbeit der Ölkonzerne, die seit Jahren eine immer stärkere Präsenz bei den internationalen Klimaverhandlungen zeigen, haben dies bisher immer verhindert.

Es sind aber auch acht Jahre, in denen viel geschehen ist: Dazu gehören die Wahlen der ‚Klimawandelskeptiker‘ Donald Trump in den USA und Jair Bolsonaro in Brasilien zu Präsidenten und ihre Abwahl wenige Jahre später, die Corona-Pandemie und die wirtschaftlichen Verwerfungen, die sie wiederum ausgelöst hat, sowie der Ukraine-Krieg mit seinen Folgen auf die Energiepolitik weltweit. Acht Jahre, in denen sich – wenngleich der Blick auf die aktuelle Lage dies oft verdeckt – auch in der internationalen Klima- und Wirtschaftspolitik viel verändert hat. Manches, das Grund zu vorsichtiger Hoffnung, und anderes, das Grund zur Sorge gibt.

Schneller Klimawandel und langsames Handeln

Denn tatsächlich hat sich auch im Bereich Klima durchaus etwas getan. Es stimmt, dass die Emissionen einen neuen Höchststand erreicht haben und in den letzten 30 Jahren nur zweimal gesunken sind: Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 und infolge der Corona-Pandemie 2020. Aber der Anstieg hat sich zuletzt deutlich verlangsamt. Die Emissionen stiegen laut des Berichts der Internationalen Energie Agentur (IEA) 2022 um 0,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr an, trotz eines globalen Wirtschaftswachstums von über drei Prozent und trotz der Tatsache, dass viele Länder infolge der Energiekrise wieder vermehrt Kohle statt Gas verfeuerten. Damit setzt sich ein Trend fort, den der pandemiebedingte Einbruch und die nachfolgende wirtschaftliche Erholung unterbrochen hatten: Die Emissionen steigen zunehmend langsamer. Wenn sich nicht radikal etwas ändert, dürften sie – schätzt auch die IEA, die lange Zeit vor allem die Interessen der Energiebranche vertrat – ihren Höchststand bereits in den nächsten Jahren erreicht haben und nicht weiter steigen.

Natürlich ist das viel zu wenig. Eigentlich müssten die Emissionen jedes Jahr um sieben Prozent sinken, um eine realistische Chance zu haben, die Erwärmung der Erde unter 1,5 Grad zu halten. Aber die Beobachtungen zeigen dennoch: Es bewegt sich etwas, der Umbau ist im Gang, wenn auch zu langsam, zu spät. Angesichts der Tatsache, wie weitreichend die Veränderungen sind, welche gewaltige Aufgabe es ist, das globale Wirtschafts- und Produktionssystem von einer Energiebasis auf eine andere umzustellen, ist es dennoch ein Erfolg, dass er überhaupt begonnen hat. Weltweit lässt sich ein starker Zuwachs an erneuerbaren Energien beobachten – diese haben 90 Prozent des steigenden Bedarfs an Energie im letzten Jahr gedeckt. Und während in den USA die Emissionen weiter leicht gestiegen sind, sind sie in der EU gegenüber dem Vorjahr gesunken. Vor allem aber sind sie in China stabil geblieben. Das ist deshalb bedeutsam, weil ein Großteil des starken Anstiegs an Treibhausgasemissionen über die letzten Jahre auf China zurückging. Das liegt auch daran, dass europäische und nordamerikanische Unternehmen energieintensive Prozesse über die letzten Jahrzehnte überwiegend nach China ausgelagert haben. Die Volksrepublik hat in den letzten Jahren aber massiv in erneuerbare Energien investiert, das Konzept der ‚ökologischen Zivilisation ‘ – seit 2017 ein Leitbild der Kommunistischen Partei – spielt in der öffentlichen Debatte und Politik des Landes zunehmend eine wichtige Rolle. Und die EU und die USA sind nachgezogen: Anstatt sich weiterhin möglichst aus der Wirtschaft herauszuhalten, lässt sich spätestens seit der Corona-Pandemie die Rückkehr des Staates und der großen Konjunkturprogramme feststellen.

Das 900-Milliarden-Dollar-Programm, das die US-Regierung unter Joe Biden 2022 verabschiedet hat, heißt zwar Inflation Reduction Act (IRA), also Gesetz zur Reduzierung der Inflation, ist aber im Grunde ein gewaltiges Investitionspaket, welches die USA fit machen soll für den Wettbewerb im Bereich (grüner) Zukunftstechnologien. Über 780 Milliarden US-Dollar gehen in den Bereich Klima und Energie. Die EU ist kurz darauf nachgezogen und hat ihren Green Deal von 2019 noch einmal ausgeweitet: Eine Billion Euro verteilt über zehn Jahre sollen die Umstellung der Wirtschaft auf grüne Technologien anstoßen und Europa bis 2050 als ersten Kontinent ‚klimaneutral‘ machen. Das bedeutet keineswegs, dass die Macht der Ölkonzerne damit der Vergangenheit angehört. Sie haben weiterhin großen Einfluss, und sie werden diesen noch über viele Jahre hinweg geltend machen. Dennoch: Der Übergang zu einer post-fossilen Wirtschaft läuft, holprig und widersprüchlich zwar, aber mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaften im Norden wie im Süden. Der Kapitalismus, scheint es, hat sich erneut als anpassungsfähiger erwiesen, als es seine Kritiker*innen gehofft haben. Die Zeit, als die kapitalistischen Eliten darauf gesetzt haben, den Klimawandel und den menschlichen Beitrag zu leugnen, Maßnahmen dagegen zu verhindern oder durch weitgehend wirkungslose Mechanismen wie Ausgleichsmaßnahmen aus dem System fernzuhalten, gehört der Vergangenheit an. Dass der Klimawandel eine massive Bedrohung ist, und dass er, ungeachtet aller Maßnahmen, das Leben auf der Erde über die nächsten Jahrhunderte prägen wird, ist allgemein anerkannt: Das System stellt sich darauf ein, damit umzugehen.

Ungleiche Verteilung der Klimafolgen

Dieser Umgang gibt zugleich Anlass zur Sorge. Denn die Transformation, wie sie derzeit beginnt, enthält nicht nur höchst problematische Aspekte – etwa das Setzen auf riskante Großtechnologien wie das unterirdische Speichern von Kohlenstoff. Sie läuft auch höchst ungerecht ab und verschärft die soziale Ungleichheit, die Prekarisierung und Marginalisierung weiter Teile der Bevölkerung – im Globalen Norden ebenso wie im Globalen Süden. Das bezieht sich nicht nur auf die Tatsache, dass, wie die Klimagerechtigkeitsbewegung seit Jahren betont, die Ärmsten am meisten unter der Klimakrise zu leiden haben. Ganz gleich, ob es tatsächlich gelingt, den Anstieg der Emissionen abzubremsen oder zu stoppen, wird die Temperatur global sehr wahrscheinlich um mehr als um 1,5 Grad ansteigen. Extremwetterereignisse wie Starkregen und langanhaltende Dürren werden noch häufiger auftreten. Durch die langsame Ausdehnung des wärmeren Wassers steigt der Meeresspiegel noch über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende an – selbst wenn die Emissionen sofort gestoppt werden würden.

Wie verheerend diese Entwicklungen und Ereignisse sind, hängt allerdings nicht vorrangig vom Klima ab – sondern davon, wie gut Gesellschaften darauf vorbereitet sind. In den letzten Jahren hat es vor allem im Globalen Norden einen starken Schwenk in der Klimapolitik gegeben – weg vom Fokus auf den Klimaschutz hin zum Fokus auf Klimawandelanpassung. Das fordern soziale Bewegungen aus dem Globalen Süden, wo die Folgen des Klimawandels längst deutlich spürbar sind, seit langem. Der Schwenk hin zur Anpassung erfolgt nun jedoch vor allem in den reichen Ländern: Diese setzen vermehrt Ressourcen ein, um sich an die zu erwartenden Folgen anzupassen. Dazu gehört es, Städte hitzetauglich zu machen, Notfallpläne für Extremwetterereignisse zu erstellen, Wasserauffangbecken und Hochwasserschutz zu bauen oder Flächen zu entsiegeln, damit sie bei Starkregen leichter Wasser aufnehmen können.

Solche Anpassungsmaßnahmen sind selbst in den Industrieländern ein schwieriges Unterfangen. Hier rächen sich die Folgen von dreißig Jahren neoliberaler Sparpolitik mit den daraus folgenden maroden Infrastrukturen, ausgedünnten Verwaltungen und leeren Kassen auf kommunaler Ebene. Auch hier werden die Folgen des Klimawandels die Ärmeren und Schwächeren ungleich stärker treffen. Und was schon die reichen Staaten vor Herausforderungen stellt, ist in den ärmeren Ländern der Welt kaum zu bewältigen. Diese bräuchten dringend eine wirksame Unterstützung, um sich anzupassen und ihre Bevölkerungen vor den schwerwiegendsten Folgen der globalen Erwärmung zu schützen. Stattdessen stehen viele von ihnen, auch aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, kurz vor dem Staatsbankrott.

Wer bezahlt den Klimaschutz?

Aber nicht nur die Klimawandelfolgen, auch die Kosten des Umbaus der Wirtschaft sind höchst ungleich verteilt. So brachten in den Monaten vor dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2019 zunächst soziale Bewegungen aus den USA, bald darauf auch aus vielen weiteren Staaten weltweit, die Idee eines Green New Deals auf. Das Programm soll in Anlehnung an den New Deal des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren zugleich die Klimakrise und die soziale Ungleichheit bekämpfen. Die neuen Vorschläge unterschieden sich teils stark voneinander, und sie hatten je ihre eigenen Schwächen – vor allem dass manche von ihnen auf fortgesetztes oder gar steigendes Wachstum setzten, wurde von Seiten sozialer Bewegungen kritisiert. In ihrer Kernbotschaft stimmten diese Programme überein: Es ist möglich, Klimaschutz auch sozial gerecht umzusetzen. Diese Green New Deals blieben eine Idee, wenn auch eine einflussreiche. Die Programme, die schließlich umgesetzt wurden, übernahmen die Begriffe und Slogans der Vorschläge, aber sie ließen die sozialen Aspekte weg. Dazu gehört zum Beispiel die Frage, wer die Kosten für Klimaschutz bezahlen soll und wie Klimaschutzprogramme so gestaltet werden können, dass sie nicht auf dem Rücken der Schwächsten im Norden wie im Süden umgesetzt werden.

Was bleibt, ist ein Klimaschutz, der, von den Staaten der industrialisierten Welt vorangetrieben, einer neoliberalen und neokolonialen Logik folgt. Nicht nur erfolgt die Regulierung vor allem über Preise und trifft damit die finanziell Schwächeren am stärksten. Dazu werden Ausgleichsmechanismen, die etwa die Ampel-Regierung im Wahlkampf noch versprochen hatte, kurzerhand gekippt. Zudem haben die EU und die USA, ebenso wie China, eine rücksichtslose Suche nach den Rohstoffen und Lieferstätten begonnen, die für die aktuelle Transformation der Wirtschaft nötig sind: Die Nachfrage nach Mineralien wie Lithium oder Kobalt explodiert – oft verbunden mit schweren ökologischen Folgen und sozialen Konflikten, wie gegenwärtig in Argentinien. Und in den neuen Produktionsstandorten für ‚grünen‘ Wasserstoff, wie etwa im Falle Namibias, hat der Energieexport Vorrang vor der Sicherstellung der Versorgung der lokalen Bevölkerung.

Handlungsbedarf für Transformation

Und wo ist die emanzipatorische Linke? Während im Süden zahlreiche soziale Bewegungen gegen den intensivierten Extraktivismus, gegen die unsozialen Folgen einer grünen Transformation ankämpfen, hat sich in der Linken im Norden eine entgegengesetzte Dynamik ergeben. Die Erkenntnis, dass die globale Erwärmung nicht mehr ganz aufgehalten werden kann, zusammen mit der Präsenz dystopischer Katastrophenszenarien, die auch von der Wissenschaft immer stärker in den Vordergrund gerückt werden, hat einen Teil der Aktiven in eine lähmende Ohnmacht versetzt. Vielen ist es nur noch möglich, sich eine schreckliche Zukunft vorzustellen. Der Aktivismus verengt sich darauf, deutlich zu machen, wie dramatisch die Situation ist – beziehungsweise zu warnen, wie viel schlimmer sie noch werden wird. Doch die Zeiten, als eine Mehrheit der Menschen daran zweifelte, dass die Erde sich erwärmt und dass diese Erwärmung durch menschliche Aktivität verursacht ist, sind zumindest in Mitteleuropa längst vorbei: In der jüngsten Studie des Umweltbundesamtes, das alle zwei Jahre die Einstellung der Menschen zu Klima- und Umweltschutz untersucht, zeigt sich, dass über 90 Prozent der Menschen den ökologischen Umbau der Wirtschaft befürworten, ja sogar fordern. Es zeigt sich aber auch, dass drei Viertel der Menschen fürchten, dass er zu mehr sozialer Ungerechtigkeit und zu verschärften gesellschaftlichen Konflikten führt.

Es geht also längst nicht mehr vorrangig darum, den Menschen die Notwendigkeit von Handeln in der Klimakrise deutlich zu machen – sondern zu zeigen, dass der nötige Umbau auch auf andere Weise möglich ist als so, wie er derzeit geschieht. Es muss nicht zwangsweise eine kapitalistische Umwälzung sein, welche die bestehende Ungleichheit und Ausbeutung weltweit verschärft. Dystopien helfen dabei nicht. Sie sind die Verkörperung einer Auffassung von ‚natürlichen Grenzen‘, dem Überlebenskampf in der ‚Endzeit‘, ein klassisches Terrain rechten Denkens. Auf die Konstruiertheit und problematischen politischen Implikationen solcher Diskurse von eindeutig zu berechnenden Grenzen und apokalyptischen Untergangsszenarien haben linke Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen immer wieder hingewiesen.

Die Geschichte wird weitergehen und die Menschheit wird einen Umgang mit der Klimakrise finden. Ob dieser Umgang die Ungleichheit und Ausbeutung von Menschen verschärft oder für mehr Gerechtigkeit und ein besseres Leben sorgt, das ist es, worum derzeit gerungen wird. Dabei braucht es alle, die sich einbringen, um solidarisch mit jenen, deren Stimme im laufenden Umbau kein Gehör findet, und in kritischer Allianz mit der Wissenschaft für einen gerechten Umgang mit der Krise zu kämpfen.

Juliane Schumacher ist Mitglied der Arbeitsgruppe »Environment and Justice« am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin. Im letzten Jahr erschien von ihr das Buch »Die Regierung des Waldes. Klimawandel, Kohlenstoffmärkte und neoliberale Naturen in Marokko« im transcript Verlag.