Eine neue Konsequenz

Auch in Belgien und den Niederlanden geht es gegen Kolonialdenkmäler

Belgien und die Niederlande sind kleine europäische Länder, doch an kolonialer Ausbeutung waren beide im großen Stil beteiligt. Die beiden Nachbarn erlebten im Frühsommer eine auffallend parallele Debatte um die eigene Vergangenheit: Im Zuge von Protesten der Black Lives Matter-Bewegung nahmen antirassistische Aktivist*innen sich auch hier Denkmäler kolonialer Protagonisten vor. In Belgien konzentrierten sich diese vor allem auf König Leopold II., der von 1885 bis 1908 mit eiserner Hand über seinen Privatbesitz, den »Freistaat Kongo«, herrschte. In den Niederlanden waren das Ziel die damaligen Funktionsträger der Westindischen Kompanie (WIC) und der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC).

Für zusätzliche Brisanz sorgte jeweils ein historisches Datum: Die Niederlande gedachten am 1. Juli der formalen Abschaffung der Sklaverei in Surinam und auf den von ihnen kolonisierten Antilleninseln im Jahr 1863. In Belgien stand am 30. Juni das 60. Unabhängigkeitsjubiläum der Demokratischen Republik Kongo an. Beide Anlässe gaben den Ereignissen einen inhaltlichen Rahmen und zeitlichen Fokus. Fraglos gilt in beiden Fällen auch, dass danach die allgemeine Aufmerksamkeit wieder abnahm.

Festzuhalten ist dennoch: Die Aktionen an kolonialen Denkmälern zeugen von einer neuen Konsequenz, mit der die belastete Vergangenheit diskutiert und als Grundlage des aktuellen Rassismus wahrgenommen wird. In Belgien etwa, wo Aktivist*innen mehrere der 17 Statuen Leopolds II. mit roter Farbe bemalten, entfernten die Kommunen in Gent und Leuven Monumente des tyrannischen Monarchen, ebenso – zumindest vorläufig – im Antwerpener Distrikt Ekeren, wo das Denkmal zuvor angezündet worden war.

Nichtsdestotrotz offenbart die Denkmalfrage eine bemerkenswerte Ambivalenz. Einer Umfrage der Universität Antwerpen zufolge finden zwar drei Viertel der Befragten eine Entschuldigung Belgiens gegenüber Kongo angebracht. Zugleich ist die Hälfte der Meinung, Belgien habe in der einstigen Kolonie mehr Gutes als Schlechtes bewirkt – eine Diskrepanz, die offenbar mit dem auffällig niedrigen Wissensstand der Befragten zur Kolonialgeschichte zu tun hat.

Noch alle Statuen am Platz

Dass noch mehr Denkmäler entfernt werden, ist derzeit nicht zu erwarten. Die dominierende Reaktion der belgischen Politik ist eher, entsprechende Monumente mit Erklärungstafeln zum historischen Kontext zu versehen. So fordert etwa Silke Beirens, grüne Dezernentin in Ostende, das dortige Monument nicht einfach abzubauen, da sonst auch die Kolonialgeschichte vergessen werde. Lieber wolle man der Vergangenheit »direkt ins Gesicht schauen«. Um auch die Kritik daran im öffentlichen Raum sichtbar zu machen, plant man am Ostender Reiterstandbild ein »Gegen-Monument«.

In den Niederlanden wurde noch keine der betroffenen historischen Figuren vom Sockel geholt. Die Protestaktionen im Juni stellten aber einen ersten Vorstoß in Richtung einer fundamental kritischen historischen Sichtweise dar. Diese stellt die bis heute anhaltende Bewunderung für WIC und VOC sowie das vermeintlich »Goldene 17. Jahrhundert« in Frage, als die koloniale Handelsmacht Niederlande auf dem Höhepunkt ihrer Macht war.

In den Fokus gerieten etwa der Generalgouverneur in Niederländisch-Indien, Joannes van Heutsz (auch bekannt als »Schlächter von Aceh«), WIC- Kommandant Piet Hein, VOC-Gouverneur Jan Pieterszoon Coen und ihr Mitbegründer Johan van Oldenbarnevelt. Das Standbild des Letzteren versah die Gruppe Aliansi Merah Putih (»Rot-weiße Allianz«, eine Anspielung auf die indonesische Flagge) mit antikolonialen Parolen. Aktionen bei weiteren Denkmälern sind angekündigt. Damit rückt auch die bisher vermiedene Auseinandersetzung mit der gewalttätigen niederländischen Vergangenheit in Indonesien in den Blickpunkt.

Von einer erweiterten Perspektive im niederländischen Diskurs zeugt auch, dass Ende Juni mit dem antikolonialen Aktivisten Anton de Kom erstmals eine Person aus Surinam in den offiziellen historischen Kanon des Landes aufgenommen wurde. Mitte Juli stand sein Buchklassiker »Wir Sklaven aus Surinam« 86 Jahre nach der Veröffentlichung erstmals auf der Bestsellerliste.

Die niederländische Politik hängt dieser Entwicklung insofern hinterher, als eine offizielle Entschuldigung für die Verbrechen der Sklaverei weiterhin aussteht. »Solange die nicht ausgesprochen ist, wird die Trauer bleiben«, so Marian Markelo, Vorstandsmitglied des Instituts zur Erforschung der Sklaverei NiNsee, auf der diesjährigen Gedenkfeier in Amsterdam. Tatsächlich fand sich während einer Parlamentsdebatte über institutionellen Rassismus keine Mehrheit für einen entsprechenden Vorschlag. Laut Premier Mark Rutte berge eine Entschuldigung »das Risiko, dass sie unsere Gesellschaft polarisiert«.

Im sorgfältigen Vermeiden dieses Schritts und seiner etwaigen Folgen in Form von Reparationsforderungen liegt eine weitere Parallele zum Nachbarland Belgien. Dort brachte ausgerechnet König Philippe das Thema auf den Tisch, als er in einem Schreiben an den kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi sein »tiefstes Bedauern« angesichts der Erfahrungen der Kongoles*innen unter belgischer Herrschaft aussprach.

Charis Basoko, Politologe und Menschenrechtsaktivist aus Kinshasa, begrüßte dies in der Zeitung De Morgen als »einen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern«. Als deren logische Folge nannte er eine Entschuldigung. Bei den Feierlichkeiten zum 30. Juni in Matonge, einem kongolesisch geprägten Quartier Brüssels, wurde die Aussprache des Königs von Redner*innen als »erste Etappe« bewertet.

Dafür, dass die Debatte darüber bald wieder belebt wird, könnte nicht zuletzt die neue »Kongo-Kommission« sorgen, die nach dem Sommer im belgischen Parlament ihre Arbeit beginnen soll. Ihre Mission: die koloniale Vergangenheit des Landes aufarbeiten und für Versöhnung sorgen.