Homophobie und die extreme Rechte

Homophobie ist ein als solcher wenig beachteter, aber zentraler Bestandteil extrem rechter Ideologie und ermöglicht es der extremen Rechten bis weit in die »gesellschaftliche Mitte« anschlussfähig zu sein. Die zentrale Stellung von Homophobie in extrem rechten Strukturen ist darauf zurückzuführen, dass sich die extreme Rechte auf ein traditionelles Familienideal stützt, dem die Annahme von Geschlechterdifferenz und Heterosexualität zu Grunde liegt. Die Ideologie beinhaltet eine patriarchale Ordnung, in deren Zentrum die heterosexuelle Familie steht. Diese wird als Keimzelle der herbeigesehnten »Volksgemeinschaft« verstanden, dessen Träger der deutsche »Volksgenosse« ist: Der Mann als Beschützer der Familie und »politischer Soldat« und die Frau als Mutter und Hüterin des Heims. Der Zugehörigkeit zur »Volksgemeinschaft« stand und steht der Ausschluss alles »Fremden« gegenüber. Diejenigen, die den Vorstellungen der »Volksgemeinschaft« nicht entsprechen, werden abgewertet, bedroht, ihre Existenz negiert oder vernichtet. Neben Migrant_innen, Geflüchteten, Jüdinnen und Juden sowie Linken werden Homo-, Inter- und Transsexuelle von der extremen Rechten als unnatürlich und »volksschädigend« stigmatisiert. Daraus ergibt sich eine politische Praxis, die auch Menschen zum Ziel rechter Gewalt macht, die sich nicht in die Matrix von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität einordnen lassen.

Ein theoretischer Einstieg

In der Rechtsextremismusforschung sind Sexismus, Homophobie und Trans­phobie als Idelogieelemente der extremen Rechten selten Hauptanalysegegenstand, sondern treten eher als Randerscheinungen auf. Ursula Birsl beschreibt in ihrer Einführung zum Sammelband »Rechtsextremismus und Gender«1 zwei Dimensionen, die der extrem rechten Ideologie zugrunde liegen. Die »Ideologie der Ungleichheit der Menschen« unterteilt sich in eine »Differenzierung nach außen« und in eine »Differenzierung nach innen«. Während die erste durch biologistische Zuschreibungen eine Hierarchie zwischen vermeintlichen »Ethnien und Rassen« herleitet, macht die zweite diese an sozialen Gruppen und Geschlecht fest. Beide versuchen eine »Ungleichwertigkeit und eine Hierarchisierung der Gesellschaft« durch biologistische Argumentation zu legitimieren. Die zweite Dimension extrem rechter Ideologie macht Birsl an der »Gewaltperspektive« fest. An der Akzeptanz von Gewalt erkennt sie den Unterschied zwischen konservativer und extrem rechter Ideologie, die sich in Hinblick auf die Konstruktion von Familie, Geschlecht und Sexualität ansonsten nicht unterscheiden. Die Beschäftigung mit Homophobie setzt daher sowohl eine Auseinandersetzung mit der extremen Rechten, als auch mit der Gesellschaft voraus. Denn genauso wenig wie Rassismus können Homophobie und Sexismus in der extremen Rechten untersucht werden, ohne die gesellschaftliche Ebene mit in Blick zu nehmen. Nach der Intersektionalitätstheorie lassen sich Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht an einer einzigen Kategorie festmachen, sondern zeigen sich in einer Verschränkung von »class, gender und race«. Die Verschränkung von Machtverhältnissen, die sich aus der Unterdrückung und Diskriminierung von Menschen aus rassistischen, klassistischen und sexistischen Gründe ableiten, sind leider alltägliche Phänomene in der Gesellschaft. Homophobie ist nicht nur in der extremen Rechten ein Thema zur Mobilisierung, sondern auch in der sogenannten »Mitte der Gesellschaft« herrschen starre Geschlechterbilder und -Normen vor, die ihren Ausdruck in der Diskriminierung jener finden, die nicht in die hetero-normative Matrix2 passen.

Die Verhandlung von Homosexualität fokussiert in der Regel männliche Homosexuelle, was auf die Konstruktion männlicher Hegemonialität in der Gesellschaft zurück zu führen ist. Tatsächlich nämlich, so stellt die australische Soziologin Raewyn Connell fest, existiert heute »keine Beziehung unter Männern, die mehr symbolische Last tragen würde als jene zwischen Schwulen und Heterosexuellen.«3 Homophobie ist daher keine angeborene Eigenschaft oder irgendein natürlicher Instinkt, sondern resultiert aus der Abwehrhaltung der nach Hegemonialität strebenden Männlichkeit. Der als verweiblicht dargestellte homosexuelle Mann gilt als Bedrohung des Männerbundes, der sich bis heute in Politik, Wirtschaft, Militär, Sport usw. wiederfindet. Die in erster Linie gegen Schwule gerichtete Homophobie kann daher als eine Art Korrektiv einer sich heterosexuell gebenden hegemonialen Männlichkeit verstanden werden.

Schwule Nazis?

Wie ist trotzdem zu erklären, warum es immer wieder (männliche) Nazis in der »Szene« gab und gibt, die sich mehr oder minder offen zu ihrer Homosexualität bekennen oder eine ideologische Verknüpfung von »Nationalsozialismus und Homosexualität« (so der Titel eines in den 1980ern formulierten Pamphlets von Michael Kühnen) versuchten? Der vermeintliche Widerspruch lässt sich auflösen, wenn man sich die Äußerungen dieser in der Quantität seltenen Protagonisten anschaut, die ihre Homosexualität stets rechtfertigen müssen. Sie müssen argumentieren, dass ihr sexuelles Begehren keine Auswirkungen auf ihre Zuverlässigkeit als »politische Soldaten« habe und sie nicht daran hindere, »richtige« Männer zu sein. Der heterosexuelle Neonazi hat in der Bewegung als Kamerad zu dienen, der schwule Neonazi muss zusätzlich seine Männlichkeit unter Beweis stellen. Die eigene Homosexualität muss also stets mit der Betonung ungebrochener Männlichkeit erkauft werden. Rosa von Praunheim hat diesen Aspekt in seinem Film »männer helden schwule nazis« aufgegriffen.

Homosexuelle im Nationalsozialismus

Schwule und Lesben wurden bereits im Kaiserreich und in der Weimarer Republik aufgrund des § 175 (»widernatürliche Unzucht«) verfolgt. Die Nationalsozialisten verschärften diesen Pa­ragraphen im Jahr 1935 und begannen mit der Verfolgung tausender homo­sexueller Männer. Der Nationalsozialismus pflegte zu Beginn ein ambivalentes Verhältnis zu männlicher Homosexualität. Spielte die Homosexualität des SA-Führers Ernst Röhm für Adolf Hitler noch 1931 angeblich keine Rolle und galt ihm als »Privatangelegenheit«, wurden Homo­sexu­elle nach dem Machtantritt der Nazis 1933 brutal verfolgt. Die NS-Ideologie sah Homosexualität als »Seuche«, an der »unser Volk« zugrunde gehe. Hein­rich Himmler, seines Zeichens SS-Reichsführer und Chef der Deutschen Polizei, erklärte 1937 auf einer SS-Gruppenführerbesprechung, dass »der Homosexuelle ein durch und durch psychisch kranker Mensch« sei. Beson­ders in einer übertriebenen »Vermännlichung« sah Himmler eine Gefahr, der er mit stärkeren Förderung von hete­rosexuellen Beziehungen auch schon zwischen minderjährigen Jungen und Mädchen begegnen wollte. Dem »Männerbund«, der noch die SA prägte, setzte er die SS-Sippengemeinschaft gegenüber. Daneben aber forcierten die Nationalsozialisten den Ausschluss von Homosexuellen aus der »Volksgemeinschaft«. Der im Jahr 1935 verschärfte Paragraph 175 machte die Verfolgung tausender homosexueller Männer mög­lich. Sowohl Sex als auch »unzüchtige Handlungen« konnten zwischen sechs Monaten Gefängnis und zehn Jahre Zuchthausstrafe bedeuten. Die Zahl der Verurteilungen verzehnfachte sich auf jährlich 8.000. In der von Himmler eingerichteten »Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und der Abtreibung« sowie auf sog. Rosa-Listen erfassten die Nazis etwa 100.000 homosexuelle Männer. Bedeutete die Verfolgung homosexueller Männer zu Beginn noch meistens Gefängnisstrafen, in denen sie schikanösen Sonderbedingungen un­terlagen, änderte sich dies fundamental ab 1940. Himmler verfügte, dass homosexuelle Männer, die als nicht mehr »erziehbar« galten, nach ihrer Haftstrafe in Vorbeugehaft in ein KZ zu nehmen seien. Dort erhielten sie den »rosa Winkel« und wurden teilweise gezielt in Mordaktionen der SS getötet. Schätzungsweise gelang es nur ca. 40 Prozent jener Männer mit dem rosa Winkel, das Lagersystem zu überleben. Einige von ihnen wurden nach 1945 wiederum inhaftiert, weil sie ihre Freiheitsstrafe nach dem weiterhin gültigen Paragraphen 175 noch nicht verbüßt hatten. Lesbische Frauen stan­den dagegen weniger stark im Fokus der Verfolgungsbehörden als schwule Männer. Da sie zudem im Konzentrationslagersystem meistens das schwarze Dreieck für »Asoziale« erhielten, fiel ihre Präsenz dort im Vergleich zu den homosexuellen männlichen Gefangenen weniger auf – was ihre Nichtbeachtung in der historischen Forschung nach sich zog.

Unter Stigmata wie »sexuelle Abweichungen« oder »Asozialität« wurde zudem auch ein im nationalsozialistischen Sinne »unangepaßtes Verhalten« von Kindern und Jugendlichen geahndet. Der Vernichtungswille, welcher der »Differenzierung nach innen« folgend bereits sozialabweichendes Verhalten umfassen konnte, führte die Betroffenen in die Maschinerie eines sog. Jugendschutzlagers.4

Fehlende Entschädigung

Für viele Homosexuelle bedeutete auch der 8. Mai 1945 mitnichten die Freiheit: Der Paragraph 175 galt, wenn auch etwas abgemildert, weiterhin, sodass zahlreiche homosexuelle Männer entweder noch eine Reststrafe aus der Zeit des »Dritten Reiches« zu verbüßen hatten, oder aber erneut verurteilt werden konnten. In der DDR blieb der Paragraph 175 bis 1968, in der BRD bis 1969 in Kraft, doch auch danach galt er in beiden Staaten lange Zeit weiterhin für Beziehungen mit Jugendlichen. Eine Regelung, die verlogenerweise bei heterosexuellen Beziehungen nicht angewendet wurde. Aus dieser teilweisen Kontinuität der Gesetzeslage konnten sie auch nicht mit Entschädigungszahlungen rechnen. Erst 2002 hob der Deutsche Bundestag NS-Unrechtsurteile gegen Homosexuelle auf, für die meisten Überlebenden viel zu spät. Erst 2008 wurde das Denkmal für die verfolgten Homosexuellen des NS im Berliner Tiergarten eingeweiht.

Die Gegenwart

Im Deutschland der Gegenwart lassen sich aktuelle Zahlen und Einschätzungen über Zu- bzw. Abnahme homophober Übergriffe von Rechts nur schwer finden. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass das homophobe Motiv eines Übergriffs nicht als solches kenntlich gemacht wird und somit auch nicht in der Statistik auftaucht. Auch gehen die verschiedenen rechten Strömungen unterschiedlich mit dem Thema um. In ihrem Artikel »AN und Gender« im Sammelband »Autonome Nationalisten« zitieren Eike Sanders und Ulli Jentsch ein Video von »Media Pro Patria«, in dem es heißt: »Statt zuzusehen, wie Völker durch Abtreibung, Schwulen- und Mischehen ein neues Gesicht bekommen, trage auch du deinen Teil zu unserer Zukunft bei.«5 Die Jugend der »Bürgerbewegung Pro Deutschland« distanziert sich auf ihrer Internetseite von Homophobie, um anschließend Homosexuellen jegliches Recht auf Gleichstellung zu versagen: »Wir, als Patrioten wollen ein gesundes Miteinander zwischen Männern und Frauen, egal ob diese heterosexuell oder schwul veranlagt sind; wir wollen jedoch nicht die Abschaffung unserer Gesellschaft, deren Grundgedanke die Kinder sind und die entstehen in dieser Welt durch eine Beziehung zwischen Mann und Frau. Und die Kinder sollten auch die Möglichkeit haben unter einem Dach zu leben, wo es eine Mama und einen Papa gibt. JA zur Familie, JA zum  friedlichen Miteinander, und NEIN zur Homoehe, NEIN zum Adoptionsrecht für Schwule und Lesben, NEIN zur Homophobie!«6 Während die einen versuchen, sich tolerant gegenüber Homosexuellen zu geben, sprechen die anderen ihre Homophobie klar aus. Gemeinsam ist ihnen, dass Sexismus und Homophobie gerne als rassistische Zuschreibungen ge­gen­über Menschen mit Migrationshintergrund benutzt werden. »Die Rechte von Frauen und von Homosexuellen haben in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Aufwertung erfahren. Ungeachtet aller Tatsachen wurde ein ›Wir‹ konstruiert, das in seiner Inszenierung als kollektive Identität wie selbstverständlich Sexismus und Homophobie ausgelagert hat. Sätze, die die Wörter ›westlicher Lebensstil‹, ›unsere Kultur/Werte‹ beinhalten, erklären sich heute von selbst. […] Migrant_innen heißen jetzt nur noch ›Muslime‹ und werden dafür verantwortlich erklärt, dass mit ihnen die vermeintlich überkommenen Phänomene Frauen-, Lesben- und Schwulenfeindlichkeit wieder in ›unser‹ Land ›zuwandern‹.«7

Der Kommentar der »Pro Deutschland-Jugend« erschien als Reaktion auf die Proteste gegen das von der französischen Regierung erlassene Gesetz zur Ehe zwischen Homosexuellen. Im Mai 2013 hatten Zehntausende in Frankreich gegen das am 18. Mai in Kraft getretene Gesetz demonstriert. Die Mobilisierungskraft homophober Kampagnen in weiten Teilen der extremen Rechten und ihr Zusammenspiel mit Konservativen gegen die Gleichstellung von Heterosexuellen und Homosexuellen zeigt, wie weit Homopobie in der Gesellschaft verankert ist. Besonders eindrücklich lässt sich die Überschneidung von Homophobie der extremen Rechten und der sogenannten »Mitte der Gesellschaft« aktuell in Russland beobachten. Während Neonazis Jagd auf Homosexuelle machen und im Internet zu Übergriffen aufrufen8, beschließt die Regierung perfiderweise ein Gesetz gegen »Propaganda für nicht-traditionelle Sexualität«. Das von Wladimir Putin im Juni 2013 unterschriebene Gesetz stellt das positive Sprechen über Homosexualität in Anwesenheit von Jugendlichen oder in Medien unter Geldstrafe. »Ausländer, die gegen das neue Gesetz verstoßen,  können mit Geldbußen von bis zu 100.000 Rubel (etwa 2.300 Euro) bestraft werden. Zudem erhalten die russischen Behörden die Möglichkeit, sie bis zu 15 Tage in Gewahrsam zu nehmen und des Landes zu verweisen.«9 Die Folgen sind gravierend. Wie wir in der letzten Ausgabe des Antifaschistischen Infoblatts berichteten, verletzten drei Männer den 23-Jährigen Vladislav Tornovoi, als sich dieser als homosexuell outete, so stark, dass er kurz nach dem Übergriff an seinen Verletzungen starb. Auch der 39-Jährige Oleg Serdiuk wurde Ende Mai auf der Halbinsel Kamschatka aus homophoben Gründen ermordet.10 Wie der Internetblog Publikative.org am 6. August 2013 berichtete, gab es nach Angaben des Menschenrechtsaktivisten Dr. Valentin Degtyarev ein weiteres Opfer, das an den Folgen einer homophoben Gewaltorgie gestorben ist. »Unter anderem hatten die Neonazis des schwulenfeindlichen Netzwerks ›Occupy Pädophilie‹ einen jungen Mann aus Usbekistan in einen Hinterhalt gelockt, ihn gedemütigt, geschlagen und misshandelt. Sie filmten ihre Taten und stellten das Video ins Netz.«11

In der 100sten Ausgabe des Antifaschistischen Infoblattes beschäftigen wir uns mit dem Thema extreme Rechte und Homophobie. Neben einem Artikel zu den Protesten in Frankreich, werden Artikel zu »Homophobie im Rechtspopulismus«, zur »Fa­milienpolitik von Rechts«, über »Das Kühnen-Papier«, die »Konstruktion männlicher Homosexualität im Nationalsozialismus« und  »Homophobie im Maskulismus« versuchen, ein Bild über verschiedene rechte Beegungen, deren Homophobie und Überschneidungen zur sogenannten »Mitte der Gesellschaft« zu zeichnen.