Polnisches Gewaltritual

Jedes Jahr versammeln sich Zehntausende am polnischen Nationalfeiertag in Warschau zu einem nationalistischen Aufmarsch rechter Gruppen. Auch Aus­schreitungen und Übergriffe gehören dabei zum alljährlichen Ritual in der polnischen Hauptstadt. Dieses Jahr griffen Nationalisten und Hooligans zwei linke Hausprojekte und LGBT-Einrichtungen an und lieferten sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei.

Der 11. November ist in Polen offizieller Nationalfeiertag: Im Gedenken an die Unabhängigkeit von 1918 wird der Tag von offizieller Seite jedes Jahr mit Gedenkveranstaltungen, Zeremonien und Paraden in vielen Städten des Landes begangen.  Aber auch extrem rechte Gruppen nutzen den Tag für nationalistische Aufmärsche. Federführend sind dabei die Gruppen »Allpolnische Jugend« (MW) und das »Nationalradikale Lager« (ONR), die ihren größten Aufmarsch jedes Jahr in Warschau veranstalten. Dieser endet traditionell am Denkmal von Roman Dmowski, einem der Väter des polnischen Nationalismus und überzeugten Antisemiten, der 1911 einen Boykott jüdischer Unternehmen organisierte.

Erschreckend ist dabei vor allem die breite gesellschaftliche Akzeptanz, die dieses rechte Großevent in Warschau besitzt. Nicht nur militante Nationalisten und andere Radikale sondern auch politisch nicht weiter organisierte AnwohnerInnen und Familien mit Kindern beteiligen sich an dem Aufmarsch mit bis zu 30.000 TeilnehmerInnen. Was die doch sehr unterschiedlichen Beteiligten eint, sind die in Polen weit verbreitete Homophobie und der Antikommunismus. Beide ermöglichen es extrem rechten Gruppen im Land immer wieder, Menschen außerhalb des eigenen Milieus für Kundgebungen und Demonstrationen zu gewinnen. Auch zahlreiche Hooligans unterschiedlichster Fußballvereine legen am 11. November ihre traditionellen Fan-Feindschaften beiseite, um gemeinsam unter Losungen wie »Polen, das sind wir!« und »Gott, Ehre, Vaterland« bei dem Aufmarsch durch die Innenstadt zu ziehen.

Seit einigen Jahren erfreut sich der »Unabhängigkeitsmarsch« auch international zunehmender Beliebtheit. In diesem Jahr beteiligten sich unter anderem Delegationen aus den Niederlanden, Italien (Forza Nuova), Ungarn (Jobbik), Slowakei und Spanien mit eigenen Fahnen oder Transparenten an dem Aufmarsch und bauten ihre Vernetzung aus.

Deeskalatives Polizeikonzept ermöglicht rechte Randale

Besonders prägend sind allerdings die genauso traditionellen Gewaltausbrüche durch randalierende TeilnehmerInnen. Die Schuld dafür wird jedoch immer Anderen gegeben: 2011 galt noch eine antifaschistische Blockade als Vorwand für die Krawalle. Vergangenes Jahr hieß es dann von den Rechten, die Polizei hätte mit vermummten Provokateuren die Ausschreitungen begonnen, um den Aufmarsch in einem negativen Licht darzustellen. Auch in Polen inszenieren sich die Rechten gerne in der Opferrolle. Deswegen versuchte in diesem Jahr die Polizei ein deeskalatives Konzept, um keine Angriffsfläche für die Randalierer zu bieten, schuf damit aber lediglich einen Freiraum für rechte Gewalt.

Offensichtlich geplant und ermutigt durch die mangelnde Polizeipräsenz, griff die Mischung aus Hooligans und Ultranationalisten das alternative Hausprojekt »Przychodnia« in einer benachbarten Seitenstraße an. Fast eine halbe Stunde konnten sich die bewaffneten Rechten an dem Objekt austoben, warfen Steine und Feuerwerkskörper auf das Gebäude, schlu­gen mit Hämmern die Scheiben ein und versuchten ins Innere zu gelangen. Dort hatten sich die Hausbewohner_innen verbarrikadiert und verteidigten sich vom Dach aus mit Flaschenwürfen und Molotow-Cocktails, wodurch ein Eindringen der Angreifer verhindert werden konnte. Die Schäden am Haus allerdings sind hoch: Alle Fensterscheiben gingen zu Bruch, zwei auf dem Hof geparkte Autos wurden demoliert, eins davon angezündet. Hausbewohner_innen betonten, dass Polizeieinheiten nur wenige hundert Meter entfernt in Bereitschaft standen, aber trotzdem über 20 Minuten brauchten um einzuschreiten. Auch als die Polizei mit einem Großaufgebot am Haus eintraf, gingen die Attacken weiter. Einen weiteren Angriff auf ein anderes Hausprojekt konnte die Polizei durch den Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas unterbinden. Daraufhin zog der Mob wenige hundert Meter weiter und steckte ein LGBT-Mahnmal in Form eines Regenbogens aus Kunstblumen in Brand. Gröhlend und johlend beklat­schte der Mob den brennenden Schweif oder posierte für Fotos vor dem verhassten Homosexuellen-Mahn­mal. Stun­denlang bekam die Polizei den Mob nicht unter Kontrolle, bis in die Nacht kam es zu Straßenschlachten.

Bilanz des diesjährigen »Unabhängigkeitsmarsches« sind 72 festgenommene Randalierer und zwölf verletzte Polizisten. Der Versuch der rechten Medien, die Attacken auf die linken Hausprojekte als Verteidigungshandlungen gegen Angriffe aus den Häusern umzudeuten, liefen schnell ins Leere. Stattdessen gab es nach Angaben der Bewohner_innen eine unerwartet breite Solidarität: Viel positiver Zuspruch aus der Nachbarschaft, solidarische Hackerangriffe auf polnische Neonazi-Internetseiten und eine kraft­volle Demonstration nur wenige Tage später in Warschau.