Vorratsdatenspeicherung: Moderne Begehrlichkeiten

in (15.06.2007)

Videoüberwachung öffentlicher Plätze, Sammlun biometrischer Daten, funkende Pässe, Online-Rasterfahndungen, Überwachung des E-Mail-Verkehrs, Bundestrojaner...

... Lauschangriff, Verbot von Anonymisierungsdiensten, Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizei durch "gemeinsame Arbeitsdateien", Nutzung der Maut-Daten für die Strafverfolgung, anlasslose Personenkontrollen, europäische Fingerabdrucks-Datenbank und nun auch noch - Vorratsdatenspeicherung.

Hinter dem Begriff Vorratsdatenspeicherung verbirgt sich ein Gesetzesentwurf, der die Verpflichtung aller Telediensteanbieter festschreibt, alle "Verkehrsdaten" (mindestens) sechs Monate zu speichern und sie den Behörden auf Anfrage zur Verfügung zu stellen.
Dieser Gesetzentwurf wird am 6. Juli dem Bundestag vorgelegt und könnte dann nächstes Jahr in Kraft treten. Telediensteanbieter sind z.B. Telefonanbieter, Internetanbieter, Mailprovider und Mobilfunkanbieter. Verkehrsdaten dokumentieren, von welchem Apparat über welchen Weg zu welchem Apparat eine Kommunikationsverbindung aufgebaut wurde.

Um es konkreter zu machen: Es geht darum zu speichern, wer wann mit wem wie lange und von wo telefoniert, und wer wann von wo welche Internetseite besucht oder Emails verschickt hat. Das heißt, Personen werden geortet, Bewegungsprofile erstellt und geschäftliche wie private Kontakte rekonstruiert. Um diese Überwachung zu gewährleisten, ist ein Verbot von Anonyminisierungsdiensten oder anonymen E-Mail-Konten vorgesehen.

Es geht zwar (noch) nicht um eine Speicherung der übertragenen Inhalte, aber schon durch die Auswertung von Nutzerprofilen z.B. beim Internetsurfen lassen sich weitreichende Aussagen über politische Interessen, Hobbies, persönliche Vorlieben etc. treffen. Somit ist eine - vom Gesetzgeber postulierte - Trennung von Verkehr- und Inhaltsdaten de facto nicht möglich.

Und was ist daran jetzt neu?

Die neue Qualität dieser Überwachungsmaßnahme liegt in der systematischen verdachtsunabhängigen Überwachung aller Telekommunikation aller Bürger der EU. Ohne jeden Verdacht sollen diese sensiblen Informationen gesammelt und gespeichert werden. Sie sind dann für die Verfolgung vieler Straftatbestände zugänglich - auch für sogenannte Online-Kriminalität, wie das "illegale" Runterladen von Musik. Auch wer sich dummerweise an einem belebten Ort aufhält, an dem eine Straftat begangen wird, findet sich - wenn er just in dem Moment telefoniert hat - unter den Verdächtigen wieder.

Und warum der ganze Kram?

Wie bei allen Sicherheitsgesetzen und Grundrechtseinschränkungen der letzten Jahre liegt die Begründung im "Kampf gegen den Terrorismus", die pauschale Überwachung von 450 Millionen EU-Bürgern bringt dafür aber überhaupt nichts. Vielleicht werden Anonymisierungsdienstleister im Ausland attraktiver, zur Kriminalitätsbekämpfung ist die Vorratsdatenspeicherung aber bestimmt nicht zu gebrauchen. "Für Kriminelle bliebe es einfach, mit relativ simplen technischen Mitteln eine Entdeckung zu verhindern", sagt selbst der Europäische Verband der Polizei.
Worum es zumindest auch geht, zeigt der jetzt diskutierte Gesetzesentwurf, der den Zugriff auf die Daten nicht nur Strafverfolgungsbehörden, sondern auch Geheimdiensten, der Musikindustrie und anderen Staaten im Rahmen von internationalen Verträgen gewähren will: Der grundgesetzlich garantierte Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor dem Staat wird rückgebaut, das Kontrollnetz soll engmaschiger werden.